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Lebenswelt Gastronomie: Von "The Bear" bis "She-Chef"

Philipp Jedicke
22. Juni 2023

Am 22. Juni erscheint die zweite Staffel von "The Bear". Die Erfolgsserie ist Teil eines medialen Phänomens: Seit Jahren steigt der Output an Spielfilmen, Serien und Dokus zum Thema Gastronomie enorm. Warum?

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Zwei weibliche Hände, hinter einem Rücken verschränkt, halten eine Pinzette
Filmstill aus "She-Chef"Bild: Camino Filmverleih

Die Serie war der Überraschungserfolg des Jahres 2022: Die US-amerikanische Produktion "The Bear: King of the Kitchen" zeigt auf atemberaubende Weise den Alltag in einer Imbissküche. Fiebrig inszeniert, schnell geschnitten und mit geradezu schmerzhaft authentischen Bildern hat man das Gefühl, mitten im Gewusel dieses Räderwerks zu sein. Und man leidet mit der Hauptfigur Carmen "Carmy" Berzatto (Jeremy Allen White) fast körperlich mit, wenn am Vortag kein Roastbeef bestellt wurde.

Selten wurde die Arbeit in einer Küche so intensiv und authentisch dargestellt - samt militärischem Umgangston, verbalem und körperlichem Missbrauch, Dauerstress und unmenschlichen Arbeitszeiten. Ein Arbeitsalltag wie ein Minenfeld, den sich enorm viele Zuschauerinnen und Zuschauer weltweit ansehen. Kein Wunder, denn das Interesse an den Lebensrealitäten von Spitzenköchen und -köchinnen hat in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. 

Filmstill aus "The Bear": Ein Mann mit Schürze sitzt erschöpft auf einer Arbeitsplatte
Pure Erschöpfung: Jeremy Allen White als Carmy Berzatto in "The Bear"Bild: Matt Dinerstein/Disney+/FX/dpa/picture alliance

Gastro-Thema: Boom seit der Jahrtausendwende

Was mit einem steigenden Angebot an TV-Kochsendungen um die Jahrtausendwende begann, ging mit Dokuserien wie der ARTE-Reihe "Zu Tisch in..." (seit 2001), "Anthony Bourdain: No Reservations" (2005–2012) oder der CNN-Serie "Anthony Bourdain: Parts Unknown" (2013 – 2018) weiter. Die von der Kritik gelobte und mehrfach preisgekrönte Dokuserie "Chef's Table" (seit 2015) ist eine der bekanntesten Netflix-Serien mit mehreren Spin-Offs. Spielfilme wie "Chocolat" von Lasse Halström (2000), der Animations-Hit "Ratatouille" (2007) von Disney und Pixar oder "Pig" von Michael Sarnoski (2021), mit Nicolas Cage in der Hauptrolle, porträtieren Küchen als Orte, an denen Sinnlichkeit und Träume genauso existieren wie große Enttäuschungen und Tragödien.

Filmstill aus "Ratatouille": Eine Ratte hält vor einem jungen Koch Petersilie über einen Topf
Eine Ratte als Spitzenkoch: Szene aus "Ratatouille"Bild: imago/Cinema Publishers Collection

Der österreichische Filmkritiker und Podcaster Christoph Prenner bestätigt im DW-Interview, dass es sich "in dieser Ballung schon um ein eher neues Phänomen handelt". Und er sieht das enorme Angebot an Küchengeschichten als "eine logische Folgeerscheinung jenes Reality-TV-Trends, der in den letzten eineinhalb Jahrzehnten Köche und Köchinnen zu modernen Rockstars zu verklären verstand". Serien wie "The Bear", die den Blick "hinter den Vorhang des schönen Scheins" würfen, seien also "gleichsam überfällig" gewesen. Überraschend für den Filmkenner Prenner ist es jedoch, dass dieser Perspektivwechsel nun eher von fiktionalen Formaten, von Serien und Filmen gewagt werde, als "vom vermeintlich authentischen Hochglanz-Food-Porn der Marke 'Chef’s Table'." 

Die Welt hinter den Schwingtüren

Oft brauche es, so Prenner, die zweite Ebene einer Satire oder eines Echtzeit-Thrillers, "um die unausgesprochenen Mechaniken und Schattenseiten eines Systems besonders akzentuiert" darzustellen. Doch auch immer mehr abendfüllende Dokumentarfilme haben sich in den letzten Jahren des Themas angenommen: Werke wie "El Bulli - Cooking In Progress" von Gereon Wetzel (2010) oder "Noma" von Pierre Deschamps (2017) schauen hinter die Kulissen von Spitzenrestaurants. Früher war die Welt hinter den Schwingtüren eine verborgene. Heute kennt fast jeder Begriffe wie Postenchef, Sous-Chef oder Küchenchef. 

Filmstill aus "She-Chef": eine junge Frau mit Brille blickt konzentriert, um sie herum Kollegen
Agnes Karrasch in "She-Chef"Bild: Camino Filmverleih

Seit Mitte Mai läuft "She-Chef" von Melanie Liebheit und Gereon Wetzel in den deutschen Kinos. Der Film begleitet die junge Spitzenköchin Agnes Karrasch auf ihrem Weg vom Teamsieg bei der Kochweltmeisterschaft über mehrere Sternerestaurants, darunter das "Vendôme" in Bergisch-Gladbach und das "Disfrutar" in Barcelona, bis zum "Koks" (Färöisch für "Perfektionist"), einem völlig abgelegenen Sternerestaurant auf den Färöer-Inseln, wo sie auch ihren Freund kennenlernt. Wie im Vorbeigehen stellt "She-Chef" dabei wichtige Fragen nach der Zukunft dieser knallharten Arbeitswelt, nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 2023 hat der "Guide Michelin" 334 Sterne an deutsche Restaurants vergeben, nur elf davon werden von einer Frau geleitet. Umso wichtiger also, dass in "She-Chef" endlich eine Frau in der Männerbastion Spitzengastronomie porträtiert wird. 

Zeit für Wandel

"She-Chef" wird von der Filmkritik gelobt, und Karrasch hat auch viel positives Feedback von Köchinnen bekommen, wie sie im DW-Interview erzählt. Auf die Frage, was passieren muss, damit mehr Frauen in der Spitzengastronomie arbeiten, wird sie sehr deutlich: "Unabhängig vom Geschlecht: Wenn wir Nachwuchs finden wollen, müssen sich die Arbeitsbedingungen und der Ton gravierend ändern. Dazu kommt, dass der Beruf nicht sehr familienfreundlich ist. Das wird sich auch nicht ändern, das ist nun mal der Kochberuf, dass man tagsüber und auch abends arbeitet." Dennoch solle man, je nachdem, was in einem Betrieb möglich sei, über Teilzeitmodelle nachdenken.

Filmstill aus "She-Chef": Eine junge Frau hinter einem großen Küchentresen
Agnes Karrasch in ihrem ElementBild: Camino Filmverleih

Ähnlich wie in "The Bear" schallen auch in "She-Chef" immer wieder militärische Ausdrücke wie "Gefecht" oder "Posten" durch die Küchen. Auf die Frage, warum dieser scharfe Ton überhaupt nötig sei, antwortet Karrasch: "Es braucht eine gewisse Strenge, klare Regeln und Strukturen. Aber der militärische Tonfall ist meines Erachtens absolut nicht notwendig. Mein Freund sagt immer so gerne: 'Am Ende des Tages sind wir nur Köche, wir kochen Essen.' Wir retten kein Leben, wir sind auch nicht im Militär und schreiten nicht in den Krieg." Eigentlich sei es unangebracht und sogar lachhaft, diesen Tonfall heutzutage in der Gastronomie zu führen. 

Ein neuer Umgangston

Stattdessen sollte man viel mehr auf Führungsqualitäten der Küchenchefs und Sous-Chefs setzen: "Ich glaube, wenn man vom Team respektiert wird und klare Maßstäbe setzt, ist es absolut unnötig." Und sie fügt hinzu: "Wenn ich irgendwann in einer dieser Positionen bin und versuche, dieses Rad ein wenig zu ändern, dann habe ich auch eine Chance, dass wir Köche ran erziehen, die mehr auf Teamwork achten und respektvoller miteinander arbeiten. So kann man nämlich meines Erachtens genauso viel erzielen."

Filmstill aus "She-Chef": eine junge Frau in einer Fjordlandschaft zwischen zwei Männern, einer davon auf einem Steg
Endlich Frieden, auch im Umgang: Karrasch in "She-Chef" auf den Färöer-InselnBild: Camino Filmverleih

Ein wesentlich besserer Umgangston herrsche an Karraschs aktuellem Arbeitsplatz, dem Sternerestaurant "Koks". Dort sei es okay, um Hilfe zu bitten oder auch einmal nicht fertig zu werden, "du musst nur rechtzeitig Bescheid geben." Jeder habe schließlich unterschiedliche Qualitäten. "Das versuchen wir im 'Koks' unseren Köchen aufzuzeigen. Wir nehmen uns auch nicht so wichtig. Wir wollen natürlich abliefern und jeden Tag besser sein als gestern, aber wir versuchen, auf dem Boden zu bleiben."