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"Die Wende war Schock und Glück zugleich"

Joscha Weber3. Oktober 2015

Heike Drechsler ist zur Wendezeit eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen. Im DW-Interview spricht die ehemalige Leichtathletin über ihre Karriere, die turbulente Wende und den Sport vor und nach 1990.

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Heike Drechsler
Bild: picture-alliance/dpa/T. Niedermüller

Heike Drechsler - eine Gewinnerin der Wende

DW: Heike Drechsler, Deutschland feiert 25 Jahre Wiedervereinigung - kann der deutsche Sport mitfeiern?

Heike Drechsler: Ja, er kann mitfeiern! Der deutsche Sport hat sich seit der Wende weiterentwickelt und ist sehr erfolgreich. Auch in der Breite sind wir sehr gut aufgestellt. Aber natürlich gibt es auch noch einige Bereiche, in denen sich das Sportsystem verbessern kann. Zum Beispiel haben viele Sportler damit zu kämpfen, Beruf und Sport miteinander zu verbinden.

Über 40 Jahre lang war auch der deutsche Sport geteilt und stand sich in erbitterter Konkurrenz gegenüber. Erkennen Sie im heutigen deutschen Sport noch Spuren dieser Trennung?

Natürlich hat jeder Sportler seine Prägung, je nachdem, wo er herkommt. Aber ich bin der Meinung, dass wir inzwischen schon sehr gut zusammengewachsen sind. Das war nicht immer so: Kurz nach der Wende gab es viele Probleme, zum Beispiel, dass viele DDR-Trainer im Westen nicht übernommen worden sind. Da ist viel Wissen verloren gegangen. Der Sport wurde damals ein bisschen kaputt gemacht. Das war für viele eine schwierige Zeit. Für mich persönlich lief es ganz gut: 1993 habe ich bei der WM in Stuttgart gewonnen und das Publikum hat meinen Namen gerufen.

Warum hat es so lange gedauert, bis der deutsche Sport zusammengewachsen ist?

Sport war in der DDR ein Politikum und ein Aushängeschild. Der Sportler selbst ein "Diplomat im Trainingsanzug", wie es immer so schön hieß. Natürlich wurden wir auch benutzt von diesem System. Der Staat kämpfte um Anerkennung und da war der Sport das einfachste Mittel. Mir als Athletin kam das sehr zugute, weil wir dadurch sehr gute Bedingungen hatten. Allein in der Leichtathletik hatten wir einen Stab von 20 Trainern. Wer könnte das heute noch finanzieren?

Weitspringerin Heike Drechsler beim 200 Meter Weltrekord 1986 (Foto: dpa)
1986: Heike Drechsler läuft gleich zweimal Weltrekord über 200 MeterBild: picture-alliance / dpa

Ihren letzten Wettkampf für die DDR - die EM 1990 in Split - haben sie gewonnen. Eine schöne Erinnerung?

Es war der letzte DDR-Wettkampf und der erste nach der Babypause. Das war eine besondere Atmosphäre für mich. Ich erinnere mich, dass das DDR-Emblem auf meiner Sportkleidung nur angehaftet war und auch tatsächlich abfiel. Das war wie ein Symbol. Schön fand ich, dass wir schon gemeinsam mit den westdeutschen Athleten ausmarschiert sind.

Wie haben Sie die Zeit der Wende erlebt, als Athletin und als Mensch?

Ich war damals in der Babypause und hatte genug mit meinem Kleinen zu tun. Daher habe ich die Wende eher am Fernseher erlebt. Ich begriff anfangs gar nicht, was da abging. Ich fühlte mich wie im falschen Film. In der DDR gab es ja lange Zeit gar keine Alternative, man hatte sich mit den Gegebenheiten abgefunden. Dann kam die Wende und die war beides: ein Schock und ein Glück.

Sportlerin Heike Drechsler beim ISTAF Berlin 2004 (AP Photo/Herbert Knosowski)
Auf dem Sprung ins Karriereende: Drechsler beim ISTAF Berlin 2004Bild: picture-alliance/dpa/H. Knosowski

Was dominierte damals zur Wendezeit bei Ihnen: der wehmütige Blick zurück auf die DDR oder die Vorfreude auf das, was nun kommen sollte?

Beides war da. Einerseits kannte ich ja alles in der DDR, vieles war so vertraut. Andererseits war ich auch immer ein neugieriger Mensch. Und nach der Wende war tatsächlich vieles anders: Auf einmal hatte ich einen Manager, der Dinge für mich organisiert und plötzlich konnte man wirklich Geld mit dem Sport verdienen. Für mich startete ein ganz neues Leben und es war auch wichtig, aus dem alten Denkschema herauszukommen. Es war ein langer Lernprozess, der auch manchmal hart war. Aber es war vor allem eine Chance, die ich für mich nutzen konnte.

Welche Werte haben Sie aus Ihrem DDR-Leben mit ins neue Leben genommen?

Dass man für große Leistungen immer ein Team braucht. Dazu gehört für mich auch die Familie. Sie ist die kleinste Zelle in der Gesellschaft. Wenn die nicht funktioniert, kann man vieles nicht schaffen. Meiner Familie verdanke ich auch, dass ich mich nach der Wende gut zurechtgefunden habe. Und ich habe gelernt: Geld ist nicht alles.

Sportlerin Heike Drechsler Olympiade 1992
Der große Triumph: Heike Drechsler holt 1992 in Barcelona GoldBild: picture-alliance/Sven Simon

Keine zwei Jahre nach der Wende erlebten Sie ihre Sternstunde: Ihren ersten Olympiasieg 1992 in Barcelona.Wie hat sich dadurch Ihr Leben verändert?

Das war die Bestätigung, dass ich ein Riesentalent war. Natürlich: Olympische Spiele waren schon immer mein Ding. Schon als Kind war das irgendwie etwas Besonderes. 1988 war ich ja auch schon sehr erfolgreich, da hab ich drei Medaillen geholt im Sprint und im Sprung. Aber dann da ganz oben zu stehen - ich hatte ja sehr harte Konkurrenz mit der US-Amerikanerin [Jackie Joyner-Kersee, Anm. d. Red.] -, das war schon was Besonders und für mich auch ein Stück Anerkennung. Jetzt erst recht! Ich habe vielen bewiesen: Hey Leute, ich bin immer noch da. Ich bin nicht in einer DDR-Schublade, ich gehöre zu Gesamtdeutschland. Ich habe sehr gekämpft. Und der Wettkampf wäre beinahe in die Hose gegangen, weil ich mich so unter Druck gesetzt hatte.

Woher kam der Druck?

Ich hatte das Gefühl, mich doppelt beweisen zu müssen. So, als müsste ich mich rechtfertigen für die Zeit, die ich in der DDR war. Ich hatte wahnsinnig viele Kontrollen in dem Jahr, wohl mehr als alle anderen. Und das war sicher kein Zufall, das war eben auch Politik. An dem Tag, an dem ich Olympiasiegerin wurde, habe ich es auch an den Reaktionen der Zuschauer gemerkt: Jetzt bin ich angekommen. Ich hatte es allen bewiesen und vor allem mir selbst.

Sie haben mal gesagt, dass Ihre damaligen Rahmenbedingungen in der Leichtathletik besser waren als die heutigen. Warum ist das so?

Wegen der Ausbildung. Wir hatten in den Vereinen die besten Trainer. Wir hatten in den Schulen die besten Sportlehrer, die auch in den Vereinen engagiert waren. Es ging Hand in Hand. Das fehlt mir hier manchmal ein bisschen. Die Großen kamen auch in die kleineren Vereine - das wird ja hier kaum gemacht. Ich finde, die besten Trainer sollten auch an der Basis sein. Dort, wo es startet. Wenn man da Fehler macht in der Technik, dann hat man die das ganze Leben lang.

Die Leichtathletik steht nach den jüngsten Doping-Enthüllungen am Pranger. Was läuft falsch in Ihrem Sport?

Heutzutage muss man gläsern sein, sonst hat man keine Chance auf Glaubwürdigkeit. Wenn es Erklärungsbedarf gibt, müssen die Verbände auch handeln. Sie müssen aufklären. Und die Fakten müssen auf den Tisch, denn nur so hat man auch die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit wieder zurückzubekommen. Ich bin aber der Meinung, dass es den Sport generell betrifft und nicht nur die Leichtathletik. Dennoch: Die IAAF [der Welt-Leichtathletik-Verband, Anm. d. Red.] ist da unter Zugzwang. Ich hoffe, dass es mit Sebastian Coe [seit August 2015 IAAF-Präsident] besser wird.

Heike Drechsler, die bis zu ihrer Hochzeit Daute hieß, war eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen überhaupt. Schon zu DDR-Zeiten feierte sie als junge Athletin Siege bei Welt- und Europameisterschaften und holte Edelmetall bei Olympischen Spielen. Große Erfolge, hinter denen aber auch ein Fragezeichen steht: In DDR-Protokollen steht, dass Heike Drechsler unter anderem den Doping-Klassiker Oral-Turinabol erhielt. Drechsler behauptet, nie "wissentlich und willentlich Doping-Mittel genommen" zu haben, will ungewolltes Doping aber "nicht mehr ausschließen". Ihre größten Erfolge, wie die Olympiasiege im Weitsprung 1992 und 2000 feierte sie nach der deutschen Wiedervereinigung, was für Drechsler ein Beweis ist, dass sie auch unabhängig vom dopingverseuchten DDR-Sportsystem erfolgreich sein konnte. Heute arbeitet Drechsler als Repräsentantin einer Krankenkasse in der Gesundheitsprävention.

Das Interview führte Joscha Weber.