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"Die Wiederwahl Uribes bedeutet vier Jahre mehr Leiden"

Das Gespräch führte Steffen Leidel 27. Mai 2006

Seit über vier Jahren ist die kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt in der Hand von FARC-Rebellen. Dass sie noch immer nicht frei ist, sei auch Präsident Uribe vorzuwerfen, sagt ihr Ehemann, Juan Carlos Lecompte.

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Verschleppt seit Februar 2002: Ingrid BetancourtBild: picture-alliance

DW-WORLD.DE: Vor kurzem ist in Kolumbien ein Deutscher nach fünf Jahren in Gefangenschaft freigelassen worden. Ist das ein Hoffnungsschimmer, dass auch Ihre Frau bald wieder freikommt?

Juan Carlos Lecompte Buch über Ingrid Betancourt
Juan Carlos LecompteBild: AP

Juan Carlos Lecompte: Ich kenne die Ehefrau des Deutschen, außerdem habe ich den gleichen Anwalt wie sie. Ich war vor allem erleichtert, als ich von der Freilassung des Deutschen erfuhr. Er war ein Jahr länger als Ingrid entführt. Das gibt mir etwas Hoffnung, aber ihr Fall ist anders als der des Deutschen. Er wurde entführt, um Geld zu erpressen. Die Entführung von Ingrid ist politisch motiviert. Sie wird erst freigelassen, wenn die kolumbianische Regierung einige Guerilleros freilässt, die in kolumbianischen Gefängnissen einsitzen. Davon hängt auch die Freilassung von anderen Politikern ab, sowie die von drei Nordamerikanern und von 34 entführten Polizisten und Soldaten.

Wann haben Sie zuletzt von Ihrer Frau gehört?

Das letzte richtige Lebenszeichen ist vom 30. August 2003. Das ist bald drei Jahre her. Es war ein Video von vier Minuten, in dem Ingrid sehr stark auftritt - so wie es ihre Art ist. Aber Gerüchte gibt es jeden Monat neu.

Was für Gerüchte?

Manchmal gibt es Botschaften von den Anführern der Guerilleros. Die einen sagen, Ingrid gehe es sehr gut gesundheitlich, andere sagen, sie sei tot oder schwer krank. Das letzte Gerücht war, dass ihre Begleiterin in der Gefangenschaft, Clara Rojas, einen Sohn in Gefangenschaft bekommen haben soll. Ich glaube keines der Gerüchte.

Aber das muss doch schmerzhaft sein.

Die sind grausam und das schlimme ist, dass die kolumbianischen Medien diese Gerüchte verbreiten und sie manchmal so darstellen, als handele es sich um wahre Nachrichten. Die haben kein Mitleid. Die Opfer der Entführungen und deren Angehörige werden behandelt wie Aussätzige. Die Gesellschaft im Allgemeinen weist uns zurück und die Regierung will mit diesem Thema einfach nichts zu tun haben.

Wissen Sie denn ungefähr, wo Ihre Frau sich aufhält?

Sie ist in Gewalt des "Bloque Sur" der FARC. Der operiert im Süden Kolumbiens in der Nähe der Grenze zu Ecuador und Peru. Das Gebiet, in dem sich aufhalten könnte, ist riesig, vielleicht doppelt so groß wie die Schweiz.

Am Sonntag wird gewählt. Mit ziemlicher Sicherheit wird der US-freundliche Präsiden Alvaro Uribe wiedergewählt. Viele Kolumbianer sagen, dass Uribe das Land wieder etwas sicherer gemacht hat. Wie bewerten Sie seine Regierungszeit?

Die Regierung Uribe hat eine mächtige Werbemaschinerie. Es sind Amerikaner, die ihn beraten, die gleichen Leute, die Bush beraten. Aber Uribes Regierung hat keinen wirklich wichtigen Guerillero gefasst. Die Guerilla hatte vor 15 Jahren rund 16.000 Kämpfer, heute sind es 19.000 oder 20.000. Sie hat sich vielleicht etwas zurückgezogen, aber besiegt ist sie nicht. Uribe hat vor vier Jahren versprochen – und deshalb wurde er auch gewählt – der Guerilla ein Ende zu bereiten. Das hat er nicht geschafft. Und was die Entführten angeht: Es scheint, dass dieses Thema Uribe überhaupt nicht interessiert. Es wird im Wahlkampf kein Wort darüber verloren. In jedem anderen Land der Welt, in dem es 3000 Entführte geben würde, wäre das das Thema Nummer Eins.

Was bedeutet eine Wiederwahl Uribes für den Fall von Ingrid?

Eine Wiederwahl Uribes bedeutet für uns, dass wir weitere vier Jahre auf unsere geliebten Angehörigen warten müssen. Uribe hat nichts für die Entführten getan, ihn hat das Thema nie interessiert. Warum sollte er jetzt etwas tun? Ich finde, die Guerilla zeigt mehr Bereitschaft etwas zu tun als die Regierung.

Aber die Regierung behauptet, Anstrengungen unternommen zu haben, Kontakt zu den Entführten aufzunehmen...

Keineswegs. Jedes Mal, wenn eine Regierung - sei es Frankreich, die Schweiz oder Spanien -, das Rote Kreuz oder die kolumbianische Kirche den Kontakt zur Guerilla gesucht hat, blockierte die kolumbianische Regierung.

Inwiefern blockiert die Regierung?

Zum Beispiel: Frankreich hat versucht, direkt Kontakt mit der Guerilla aufzunehmen. Daraufhin erhielt die französische Regierung ein Protestschreiben, sie würde sich in die inneren Angelegenheiten Kolumbiens einmischen.

Was sind die politischen Motive der Entführer?

Sie wollen, dass ihre Gefährten aus den Gefängnissen freigelassen werden. Das ist alles. Sie haben Politiker, Soldaten und Polizisten in ihrer Gefangenschaft. Was sie wollen ist eine Gefangenentausch, mehr nicht. Das gibt es in jedem Krieg auf der Welt. Nur Uribe akzeptiert nicht dass es sich hier um einen Krieg handelt, sondern für ihn sind die Guerilleros Terroristen. Aber hier widerspricht er sich: Denn mit den rechten Paramilitärs führt er einen Dialog. Doch die sind genauso Terroristen, Drogenhändler und Mörder wie die Guerilla. Der einzige Unterschied ist, dass die rechts sind und die Guerilla links.

Gibt es denn einen Kandidaten bei den Wahlen, der aus Ihrer Sicht besser geeignet wäre?

Mir gefällt Carlos Gaviria (Kandidat der Linken) ein wenig, er hat ganz gute Ideen, aber mir gefallen nicht die Leute, die ihn umgeben. Ich werde ungültig wählen. Die einzige, die mir wirklich gefallen würde als Präsidentin, ist meine Frau.

Kolumbien ist inzwischen politische gesehen ein Ausnahme in Südamerika. In den meisten Ländern gab es einen Linksruck. Wieso tickt Kolumbien anders?

Wir sind eine Ausnahme in Südamerika. Wir haben Lula in Brasilien, Chávez in Venezuela, Tabare Vazquez in Uruguay, Kirchner in Argentinien, Bachelet in Chile. In Peru hoffe ich dass Ollanta Humala gewinnt und nicht Alan Garcia, der ist ein Bandit. Man muss den neuen Leuten eine Chance geben. Ganz Südamerika ist nach links gerückt - nur nicht Kolumbien. Und das liegt an der Guerilla. Die Kolumbianer fürchten die Linke, weil sie glauben, dass die Linke mit der Guerilla verknüpft ist. Kolumbien ist der letzte Brückenkopf der USA in Südamerika. Es ist das einzige was ihnen bleibt. Uribe ist wie ein kleiner Bush, ein lateinamerikanischer Bush. Beide reiten gerne, beide haben Fincas, beide sind klein, und beide führen gerne Krieg.

Was fühlen Sie angesichts Ihrer Situation: Hilflosigkeit oder glauben Sie, dass Sie etwas bewegen können?

Es ist ein Gefühl der totalen Ohnmacht. Es gibt einen Mangel an Solidarität von Seiten der kolumbianischen Regierung aber auch von Seiten der kolumbianischen Gesellschaft. Das Thema spielt im Wahlkampf keine Rolle. In Kolumbien gibt es mehr als 3000 Entführte. Wir brauchen internationale Hilfe, das können wir nicht alleine lösen.

Sollte die EU mehr tun?

Ich glaube, die EU könnte durchaus mehr tun. Ingrid ist auch europäische Staatsbürgerin, sie hat die französische Staatsangehörigkeit. Sie sagen zwar, sie tun, was sie können, aber ich denke, sie könnten mehr tun.

Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt war im Februar 2002 entführt worden und befindet sich seither in der Hand der Guerillaorganisation FARC.