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Schlange stehen für Asyl

Alkyone Karamanolis13. Februar 2009

Griechenland ist in den vergangenen Monaten immer wieder für seinen Umgang mit Flüchtlingen kritisiert worden. Zwei Asylsuchende sollen nun beim Warten vor der Asylbehörde von der Polizei schwer verletzt worden sein.

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Flüchtlinge stehen wartend an einer Mauer (Foto: Alkyone Karamanolis)
Nicht jeder, der wartet, bekommt einen TerminBild: Alkyone Karamanolis

UNHCR, Pro Asyl, Human Rights Watch, Europäischer Flüchtlingsrat – sie alle haben vernichtende Berichte abgegeben: Griechenland verfüge über kein funktionierendes Aufnahmesystem, weniger als 800 Heimplätzen standen im vergangenen Jahr für 15.000 Antragsteller zur Verfügung und auch sei ein faires Asylverfahren nicht garantiert.

Doch die Probleme der Asylsuchenden beginnen lange vor dem Verfahren. Wer bei der Asylbehörde vorsprechen und seinen Antrag einreichen will, muss samstags vor Morgengrauen kommen, wenn die Termine der nächsten Woche vergeben werden. Jede Woche warten so Tausende in der Nacht in einem verkommenen Athener Industriegebiet in der Schlange.

Geplatzter Traum von Europa

So hatte sich Samir Europa nicht vorgestellt. Es ist 23 Uhr, er steht in der Schlange, zum neunten Mal. Seine Hoffnung: Dass er am Morgen eine Terminzusage erhält, um seinen Asylantrag einzureichen. Schließlich ist Samir, der seinen wirklichen Namen lieber nicht nennen möchte, schon seit vier Monaten in Griechenland. Ohne abgestempelten Antrag - also illegal und obdachlos.

"Jedes Mal warte ich bis Samstagmorgen", erzählt Samir, "und jedes Mal werden meine Hoffnungen enttäuscht. Wenn ich am Anfang der Schlange stehe, wählen die Polizisten Leute vom Ende aus. Wenn ich am Ende stehe, holen sie die Leute, die vorne warten. Das scheint mein Schicksal zu sein." Die Asylbehörde befindet sich in einer heruntergekommenen Gegend. Die Straßen sind nicht befestigt, bei starkem Regen bilden sich große Pfützen. Es gibt keine Sitzmöglichkeit, die Wartenden lehnen meist an einer Mauer.

Menschen ohne Rechte

Blick auf Athen (Foto: Bilderbox)
Die Flüchtlinge in Athen haben mit den Behörden zu kämpfenBild: Bilderbox

Manche der Flüchtlinge tragen Decken um die Schultern, andere versuchen, sich mit Planen und Plastiktüten gegen die feuchte Athener Kälte zu schützen. Etwa 2000 bis 3000 Menschen sind in dieser Nacht gekommen. Eine entwürdigende Prozedur, findet ein junger Mann aus Sri Lanka: "Die Menschenrechte werden hier nicht gewahrt. Wir sind keine Tiere! Wir denken, und wir fühlen. Wären wir Tiere, würde ich das Verhalten der Polizei verstehen. Aber wir haben Gefühle - genauso wie sie!"

Nur etwa 300 Menschen werden am kommenden Morgen einen Termin erhalten. Am Ende der Straße haben Polizisten eine Absperrung errichtet. Dahinter warten vor allem Pakistaner und Bangladeschis, die, die schlechtesten Chancen haben. Vorzug erhalten Frauen und Kinder, Kranke sowie Wartende aus afrikanischen Ländern, aus dem Irak und Afghanistan.

Diese Auslese verstoße gegen das Flüchtlingsrecht, beklagt der griechische Ombudsmann Andreas Takis in einem kürzlich veröffentlichten Bericht. Ebenso sieht es der Griechenland-Experte Karl Kopp von Pro Asyl: "Das ist eigentlich unbeschreiblich. Hier sind 2000 bis 3000 Menschen und warten, dass ein paar wenige, relativ willkürlich ausgewählt, vielleicht Zugang zu diesem Gebäude kriegen, dass sie dann einen Asylantrag stellen können." In der Zwischenzeit droht einigen von ihnen Inhaftierung, wenn sie von der Polizei kontrolliert werden. Ein iranischer Asylsuchender sei monatelang inhaftiert gewesen und habe mehrfach versucht, dort einen Asylantrag zu stellen. Das sei verweigert worden, so Takis.

Willkür oder Ohnmacht

Griechenland verweist darauf, dass es mit dem Zustrom der Flüchtlinge überfordert ist. Vor einigen Monaten hat die Athener Asylbehörde wegen Überlastung, wie es hieß, die Annahme von Anträgen für mehrere Wochen ganz ausgesetzt. Ein Polizist, der anonym bleiben will, erklärt die Taktik des nächtlichen Schlangestehens hingegen als Methode der Abschreckung.

Flüchtlinge wärmen ihre Hände am offenen Feuer (Foto: Alkyone Karamanolis)
Sie warten die ganze Nacht lang - oft vergeblichBild: Alkyone Karamanolis

Die Wartenden verbrennen Müll, um sich zu wärmen - der Rauch nimmt einem den Atem. Andere urinieren am Straßenrand. Und fast alle haben die Nacht im Stehen verbracht. "Ich bin unglaublich müde", sagt einer der Flüchtlinge. "Es ist kalt, ich war die ganze Nacht auf den Beinen. Verzeihung, dass ich das sage, aber diese Situation ist sehr, sehr schwierig. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich in solch einer Lage befinde - und es ist eine sehr harte Erfahrung!"

Warten, hoffen und Glück haben

Gegen halb sechs Uhr morgens kommt Bewegung in die Menge. Die Polizisten zählen und wählen einige Wartende aus, die offenbar einen Termin erhalten sollen. Nach welchen Kriterien das geschieht, ist den Betroffenen selbst nicht klar. "Sie haben mich gesehen und ausgesucht. Ich denke, es hat damit zu tun, wie man sich verhält. Manche hier sind ungeduldig und drängeln", erklärt einer der Wartenden. Das sei nicht die richtige Art. Aber wenn man sich ruhig verhalte, sollen die Polizisten erkennen, dass man ein Gentleman sei - und ließen einen vor.

Einer der Männer hat sich in die Gruppe eingeschlichen und wird rausgeworfen - er sei kein Iraker, befindet der Polizist und verjagt ihn. Die übrigen werden in kleinen Gruppen in Richtung Behörde abgeführt - das Bild erinnert an einen Gefangenenzug. Eine der Frauen lächelt den Polizisten dankbar zu. Als es hell wird und der nächste Tag kommt, werden Autoreifen und Müll sichtbar sowie der Hof einer improvisierten Romasiedlung. Zwei Taubstumme halten ihre Anträge hoch - 2008 ausgefüllt und noch nicht eingereicht. Nächsten Samstag werden sie wiederkommen. Und mit ihnen gut 2000 Menschen, die auch heute wieder kein Glück hatten.