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Die Zeit zurückspulen

6. März 2002

Einst haben Jungs ihre Lieblingssongs aus dem Radio mitgeschnitten und die kunstvoll beschriftete Kassette im Pausenhof ihrer Angebeteten übergeben. Heute werden gebrannte CDs überreicht – oder doch nicht?

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Kultobjekt Mix-KassetteBild: AP

In seinem Bestseller "High Fidelity" setzte Nick Hornby der selbstgemixten Kassette 1995 gerade noch rechtzeitig ein Denkmal - bevor die digitale Revolution Endlos-Pop via Internet und CD über die Welt brachte. Jetzt wird der identitätsstiftende Wert, den "Mix-Tapes" einst hatten, an der Hamburger Uni erforscht.

60, 90 oder 120

Audio Kassette
Bild: AP

Wie ausdauernd waren Generationen von Tape-Bastlern damit beschäftigt, Bänder - mit 60, 90 oder 120 Minuten - aufzunehmen, auszublenden und hin und her zu spulen! "Jungs wollten Mädchen mit Tapes beeindrucken, weil ihnen andere Formen der Kommunikation abgingen", sagt der Hamburger Volkskundler Gerrit Herlyn, der in einem Seminar derzeit stapelweise Mix-Tapes untersucht. Mädchen hätten es noch nie so stark mit dem Mixen gehabt.

Heute hören, kaufen und schenken manche im Retro-Trend wieder echte Vinyl-Platten und Kassetten. Die Zeit des Tapes läuft aber schneller ab, als jemals ein Kassettendeck ans andere Ende spulen konnte. Wurden im Jahr 2000 in Deutschland noch rund 50 Millionen unbespielte und 20 Millionen bespielte Kassetten verkauft, waren es zehn Jahre zuvor nach Angaben des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft drei Mal so viele unbespielte und sogar fast vier Mal so viele bespielte. 2003 will Herlyn Tapes im Hamburger Museum für Kommunikation ausstellen - museale Reminiszenzen 40 Jahre nachdem 1963 die ersten Kompaktkassetten in Deutschland bestaunt wurden.

Zeitalter des CD-Brenners

In der DDR gingen Kassetten mit bunten, selbstgestalteten Covern bald von Hand zu Hand. Aufgenommen am heimischen Mono-Rekorder, häuften sich die musikalischen Kleinodien zu wahren Schatzsammlungen. Heute sind die Kassetten wegen der mäßigen Bandqualität oft nur noch mit recht nostalgischen Nebengeräuschen zu genießen. Allerdings wurde schon der entsprenchende High-Tech-Ersatz gefunden. "Die gleichen Prinzipien wie bei den Tapes funktionieren auch bei den aktuellen Formaten", sagt die Berliner Musiksoziologin Susanne Binas. Heute kommen die Songs aus dem Internet und werden auf CD gebrannt.

In Subkulturen der aktuellen Musikszene funktionieren ähnlich wie früher die vom regen Tape- und LP-Tausch zusammengehaltenen Milieus. Die Club- und DJ-Szenen legen nämlich Wert auf ihre Avantgarde-Haltung - ähnlich, wie das Rock- und Popfans früher taten. "Heute läuft das allerdings mehr über die Kompetenz, die man im Netz entwickeln muss, als über die Musikstile", sagt Binas. Auch wenn die neuen musikalischen Netzgemeinschaften das Tape eigentlich nicht mehr brauchen, kommt es in digitalen Nischen bisweilen zu unverhofften Ehren. "Innerhalb der DJ-Kultur gibt es sogar Techno-Tapes mit Kultstatus", sagt Volkskundler Herlyn. Nach wie vor tauschen Rapper und DJs ihre Musik auf Tapes untereinander aus. Ob die Kassette vielleicht doch die CD überleben wird? dpa/(fro)