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Die zwei Gesichter des FC Bayern

Pascal Jochem
13. April 2017

Bei der bitteren 1:2-Pleite gegen Real Madrid zeigen die Bayern eine starke erste Halbzeit, doch dann zerfällt das Team in Unterzahl fast in seine Einzelteile. Die Spieler glauben trotzdem an ihre Chance im Rückspiel.

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Arturo Vidal nach dem verschossenen Elfmeter. Foto: dpa-pa
Arturo Vidal hätte zum Matchwinner der Bayern werden könnenBild: picture-alliance/SvenSimon/F. Hoermann

Es hätte wieder einer dieser großen Fußballabende werden können. Zumeist braucht es dafür einen Anführer, und den hatten die Bayern. Arturo Vidal schlüpfte am Mittwoch imViertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Real Madrid tatsächlich in diese Rolle, allerdings nur für 45 Minuten. So lange pflügte der Chilene über den Rasen, jagte dem Ball hinterher und warf sich in jeden noch so schmutzigen Zweikampf. Selbst den "Trash-Talk" mit Real-Gegenspieler Karim Benzema schien er zu genießen. Vidal gab den Bayern in der ersten Halbzeit ein Gesicht: Das Messer zwischen den Zähnen, aggressiv, angriffslustig. Beispielhaft sein wuchtiger Kopfballtreffer (25. Minute) nach einem Eckball, das Produkt von Entschlossenheit und perfektem Timing. Vidal ist 1,80 Meter groß und nicht gerade als Kopfballungeheuer bekannt.

Unterstützt wurde Vidal von Thiago, der immer wieder technische Finessen einstreute, und Javi Martinez als Abräumer, der die Defensive zusammenhielt. Ergo: Die Bayern spielten nicht überragend, aber sie hatten dank ihrer Präsenz im Zentrum das Spiel bis auf wenige Szenen der Gäste im Griff. Bis kurz vor der Pause die Partie kippte und die Münchner Champions-League-Festwochen, die mit den beiden 5:1-Siegen im Achtelfinale gegen Arsenal so richtig Schwung aufgenommen hatten, ein abruptes Ende nahmen - nach zuletzt 16 ungeschlagenen Heimspielen in der Königsklasse. Der letzte Gegner, der einen Sieg aus München mitnahm: Real Madrid vor fast genau drei Jahren.

Elfmeter als Wendepunkt

Arturo Vidal, fast schon zu selbstbewusst, trat zum umstrittenen Handelfmeter an und schoss das Leder auf die Tribüne statt zur 2:0-Vorentscheidung ins Tor (45'+1). "Das ist natürlich schade, aber wir machen Arturo keinen Vorwurf”, sagte Arjen Robben, ganz der Teamplayer. Vielleicht hätte er selbst antreten sollen, obwohl auch er nicht seinen besten Tag hatte. Dank geschickter Raumaufteilung und Reals cleverer Außenverteidiger kam Robben anders als in den vergangenen Wochen im ganzen Spiel kaum zur Entfaltung. Robert Lewandowski, der etatmäßige Strafstoß-Schütze, hatte nicht aushelfen können. Der Bayern-Torjäger saß mit verletzter Schulter auf der Tribüne und machte Selfies mit den Fan.

Vidals Schuss vom Elfmeterpunkt fliegt übers Tor. Foto: dpa-pa
Vidals Schuss vom Elfmeterpunkt fliegt übers Tor - der Wendepunkt des Spiels Bild: picture-alliance/GES/W. Eifried

"Mit dem 2:0 im Rücken wäre das Spiel sicherlich anders gelaufen”, sagte Robben noch. Und genau damit hatte er das Problem der Bayern auf den Punkt gebracht. Der verschossene Elfmeter war so etwas wie der Wendepunkt im Münchner Spiel. Er ließ Real am Leben, und den Münchenern und ihren Fans in der Arena machte ein rapider Leistungsabfall in Halbzeit zwei zu schaffen. "Das ist schon ein anderer Gegner als sonst, gegen so ein Weltklasse-Team kann man sich nicht aussuchen, wie ein Spiel verläuft”, versuchte Kapitän Philipp Lahm das Ungemach nach der Pause zu erklären. Thomas Müller machte unterdessen "fehlende Überzeugung und Gier” sowie "mangelndes Selbstbewusstsein” als Knackpunkt fest.

Fest steht, dass die Bayern durch schläfriges Abwehrverhalten nur zwei Minuten nach Wiederanpfiff das 1:1 durch Cristiano Ronaldo kassierten (47.). Und sich kurz darauf auch noch selbst schwächten, als Martinez nach einem taktischen Foul mit Gelb-Rot vom Platz flog (61.). Es bleibt rätselhaft, warum die Bayern sich in der zweiten Halbzeit kaum noch mit Fußball beschäftigten. Plötzlich gelangen nicht mal mehr einfache Kurzpässe. Das Gesicht der Bayern nahm ängstliche Züge an. Anführer Vidal wurde zum hilflosen Mitläufer. Arjen Robben war abgemeldet, Jerome Boateng in der Abwehr nach langer Verletzungspause noch nicht ganz auf der Höhe, Thomas Müller, aufgeboten in vorderster Front als Lewandowski-Ersatz, ein Schatten seiner Selbst.

Rekord für Ronaldo

Ronaldo und sein Teamkollege Asensio bejubeln das 2:1 für Real. Foto: dpa-pa
Ronaldo: 100 Champions-League-Tore Bild: Reuters/M. Dalder

Und so ermöglichten die Münchner Ronaldo nicht nur sein 99., sondern auch noch sein 100. Tor in der Champions League (77.). Damit hat der Portugiese nun in der ewigen Torjägerliste der Königsklasse drei Treffer Vorsprung auf Lionel Messi. Dabei fiel Ronaldo in der ersten Halbzeit fast nur durch Fehlpässe auf und trieb selbst Coach Zinedine Zidane zu sonst seltenen Wutanfällen an der Seitenlinie.

Dass Ronaldo zum Matchwinner wurde, lag auch daran, dass die Bayern in Unterzahl plötzlich führungs- und kopflos agierten. Wann hat man zuletzt eine Münchner Mannschaft gesehen, die im eigenen Stadion derart um Gegentore bettelte? Einzig Manuel Neuer verhinderte mit mehreren Glanzparaden einen höheren Rückstand. "Wir haben gezeigt, was wir können”, verkündete Real-Kapitän Sergio Ramos, als er nach dem Abpfiff zufrieden durch die Katakomben der Münchner Arena schlenderte. "Jetzt sind sie dran.”

Aus Real, dem großen Rivalen auf Augenhöhe, ist mittlerweile so etwas wie ein Angstgegner geworden. "Wir sind noch nicht tot”, sagte indes Trainer Carlo Ancelotti. "Mit dem Ergebnis können wir leben. Wir brauchen jetzt kein Fußballwunder”, meinte Thomas Müller. Das ist die positive Nachricht aus deutscher Sicht. Auch Real ließ zu viele Torchancen aus und die Bayern damit am Leben. Eine kleine Chance fürs Rückspiel besteht noch. Bleibt nur die Frage, welches Gesicht die Bayern denn am kommenden Dienstag im Estadio Bernabeu zeigen.