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"Diese Serie ist etwas ganz Besonderes"

Das Interview führte Gero Schließ22. Juli 2006

Kent Nagano ist einer der ganz großen Dirigenten dieser Tage. Mit der Deutschen Welle sprach er über seine Arbeit in Berlin, neue Wege für klassische Musik und die außergewöhnliche Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle.

https://p.dw.com/p/8peU

Deutsche Welle: Zwischen dem Deutschen Symphonie-Orchester (DSO), Ihnen persönlich und der Deutschen Welle (DW) hat sich seit einigen Jahren eine enge Zusammenarbeit entwickelt. Erst die 13-teilige Serie von DW-RADIO "Kent Nagano in Berlin", dann Konzerte in Sofia, Moskau, Bukarest und Warschau und jetzt die TV-Reihe "Monumente der Klassik". Wie wichtig sind diese Projekte für das Orchester und Sie persönlich?

Kent Nagano: Die Zusammenarbeit zwischen dem DSO und der DW ist überaus wertvoll. Wir arbeiten sehr eng und vor allem sehr gerne mit der DW zusammen. Wir haben Partner gefunden, die ebenso wie wir an einer lebendigen und vor allem sinnvollen Konzertpraxis interessiert sind und ihre Aufgabe auch darin sehen, das Spezifische unserer künstlerischen Arbeit international zugänglich zu machen. Dass wir mit der DW nach Bukarest, Warschau und jetzt bald nach Abu Dhabi kommen können, ist ja im heutigen internationalen Orchestertourneebetrieb nicht so ohne weiteres möglich. Wir sind dankbar und freuen uns darüber, dass wir dank DW solche Möglichkeiten haben.

Ich habe in den vergangenen Jahren mit dem DSO in Berlin eine Arbeit entwickeln können, die von unserem Publikum mitgetragen und sehr stark honoriert worden ist - die generell dem Orchester viel Anerkennung gebracht hat. Die DW hat das Besondere unserer Arbeit erkannt und daraus geschlossen, dass diese künstlerische Arbeit noch stärker, als es durch Gastspiele und Tourneen möglich ist, auch international kommuniziert werden sollte. Eine solche Partnerschaft bringt aber auch Verantwortung und Verpflichtungen mit sich. Das ist das Besondere an solchen Zusammenarbeiten. Daraus entstehen immer wieder neue Impulse und Anforderungen an das Leistungsvermögen.

Sie waren jüngst in Warschau und Bukarest, wo die Sie auf Initiative der DW anlässlich des einjährigen Bestehens des DW-Metropolenradios ein Konzert dirigiert haben. Wie war Ihr Eindruck von der Resonanz im Publikums?


Nagano: Es war erstaunlich, mit welcher Herzlichkeit wir in Warschau und Bukarest empfangen worden sind und welch großartiges Publikum wir dort hatten. Die Reaktion in Bukarest auf unser besonderes Programm mit zwei jungen Komponisten, mit der koreanischen Komponistin Unsuk Chin und dem Münchner Jörg Widmann - in einen Zusammenhang mit Mozart Klarinettenkonzert und der Jupiter-Symphonie gestellt - war außerordentlich. Wir haben mit diesem Gastspiel und diesem Programm etwas ganz Spezifisches unserer künstlerischen Arbeit deutlich machen können; und dies genau ist es, was dann auch ein solches Gastspiel auszeichnet. In diesem Sinne verstehen wir uns tatsächlich als "Botschafter", uns nämlich für eine lebendige Musikpraxis einzusetzen.

Welche Erwartungen haben sie an die TV-Reihe "Monumente der Klassik"?

Monumente der Klassik - Kamera, DW-TV
Während der Dreharbeiten zu den "Monumenten der Klassik"

Nagano: Diese Serie ist etwas ganz Besonderes und Wichtiges. Wir stellen "Meisterwerke" vor, Bruckners 8. Symphonie, Mozarts "Jupiter"-Symphonie, Beethovens "Eroica" - insgesamt sechs. Das Konzept zielt drauf, das Publikum auf eine hochoriginelle Weise hineinzuführen in die Werkhintergründe, in die Entstehung und die verschiedenen technischen und ästhetischen Eigenschaften musikalischer Kompositionen. Dies aber in einer engen Verschränkung mit der konkreten Orchesterarbeit. Wir erwarten uns von dieser Serie, die eben auch TV-spezifisch angelegt ist, ein neues Interesse und einen neuen Impuls in der Auseinandersetzung mit der medialen Bearbeitung "klassischer Musik".

Welche Rolle können die Medien bei der Vermittlung von Kunst und Kultur, insbesondere der Musik, spielen?

Die Medien spielen natürlich eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Kunst und Kultur. Für mich ist dabei ein wichtiger Punkt, inwieweit hierbei für die Medien spektakuläre Aspekte, das Ereignishafte, im Vordergrund steht, oder ob es tatsächlich darum geht, dem Zuschauer und Zuhörer das Einzigartige von künstlerischer Arbeit im Sinne ihrer existentiellen Bedeutung zu vermitteln.

Was können Sie als weltweit geschätzter Dirigent tun, um für die klassische und zeitgenössische Musik ein neues, ein jüngeres Publikum zu gewinnen?

DW-TV Monumente der Klassik Ludwig van Beethoven
Szenenfoto aus "Monumente der Klassik"Bild: DW

Wir beobachten weltweit ein hohes Interesse an klassischer Musik, sehen aber tatsächlich auch das Problem, dass jüngere Menschen offensichtlich sich heute schwer tun, Zugang dazu zu gewinnen. In diesem Kontext spielt sicher eine erhebliche Rolle, welche Bedeutung Musik und den musischen Fächern im Ausbildungssystem zugebilligt wird. Ich glaube aber an die Kraft und die nach wie vor geltende Bedeutung der klassischen Musik. Ich denke, wir müssen viel mehr über die Veranstaltungsstrukturen nachdenken, in denen klassische Musik angeboten wird. Da liegen vielleicht eher die Probleme für jüngere Menschen. Ganz konkret aber: Wir tun in Berlin im Rahmen unserer Arbeit inzwischen eine ganze Menge, um junge Menschen für unsere Arbeit und für das Besondere "großer" Kunstmusik zu gewinnen. Da gibt es Projekte mit Musikern unseres Orchesters, die speziell darauf angelegt sind, als Arbeitsprojekte junge Menschen mit klassischer Musik vertraut zu machen und ihnen vielfältige Zugänge zu ermöglichen. Wir als Dirigenten haben, da uns erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit zuteil wird, diesbezüglich eine große Verantwortung, uns dafür zur Verfügung zu stellen und für die klassische Musik zu werben.

Sie geben 2006 Ihren Posten als Chefdirigent des DSO auf und werden Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München, bleiben also in Deutschland aktiv. Ist das Zufall oder haben Sie sich ganz bewusst so entschieden?

Für jeden Musiker ist es etwas Großartiges, in Deutschland arbeiten und wirken zu können. Hier sind die Traditionen spürbar und werden in einer Breite gepflegt, wie das einzigartig in der Welt ist. Bedenken Sie, in Deutschland gibt es weit über 100 professionelle Sinfonieorchester, die
vielen anderen Aktivitäten nicht gerechnet. Ich bin sehr glücklich, dass mich mein künstlerischer Weg nach Deutschland und nach Berlin geführt hat. Die Münchner Staatsoper musikalisch zu leiten, das war ein Angebot des bayerischen Kultusministers. Ich bin sehr glücklich über diese Berufung.

Wie sehen Sie die Unterschiede im Musikleben auf beiden Seiten des Atlantiks?

Es gibt da schon beachtliche Unterschiede. Die liegen begründet in den doch verschiedenen kulturellen Traditionen und deren Verankerungen in den Gesellschaften und den gesellschaftspolitischen Strukturen. Die künstlerische Praxis in Europa, vielleicht besonders in Deutschland ist trotz neuerdings erheblicher finanzieller Probleme offen und zugleich stabil. Man hat den Eindruck, dass die Frage nach dem Sinn der Kunst und der künstlerischen Arbeit sehr ernst genommen wird und immer noch wichtiger ist als der repräsentative Aspekt. In den USA spielt letzteres eine große Rolle. Doch im internationalen Maßstab repräsentativ kann nur das sein, was höchsten Qualitätsansprüchen genügt. Das ist mit ein Grund, warum es in Amerika inzwischen so viele gute Orchester gibt und warum dort die entsprechende Arbeit so ernst genommen wird. Höchstleistungen sind es eben, die die notwendigen finanziellen Mittel ermöglichen.

Die Berliner Orchesterszene ist im Umbruch. Wohin geht die Reise und welche Perspektiven hat das DSO?

Monumente der Klassik
Kent Nagano und DW-Intendant Erik Bettermann am 12.5.2006 in Berlin
Leider kann man nie genau sagen, wohin die Entwicklungen führen. Aber ich denke, wir, das Orchester und ich, haben in den Jahren unserer Zusammenarbeit etwas ganz Wesentliches entwickelt: Wir haben der Konzertpraxis und der künstlerischen Arbeit des DSO ein sehr eigenes Gesicht und eine neue Qualität gegeben. Dass das so ist, dürfen wir aus den positiven Reaktionen in Berlin und überall, wo wir öffentlich musizieren, schließen. Wir haben versucht, unserer Arbeit einen nach draußen erkennbaren "Sinn" zu geben. Und entsprechend auch haben wir die Programmatik unserer Arbeit vertieft. Wir laden Komponisten als composer in residence ein, wir haben einen Schönberg-Preis etabliert für wichtige zeitgenössische Komponisten; das Orchester betreibt Projekte für Kinder und Jugendliche, die darauf angelegt sind, langfristiges Interesse aufzubauen. Darin stecken sehr positive Perspektiven, zumal man inzwischen auch außerhalb Berlins erkannt hat, dass das Deutsche Symphonie-Orchester eine spezielle und dabei hochattraktive Rolle spielt.