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"Dinos Diner"

Daniel Scheschkewitz, Washington DC19. Mai 2006

Eine Überlandfahrt in der amerikanischen Provinz bietet manche Überraschung, vor der vor allem europäische Mägen nicht immer gefeit sind.

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Sonntagmorgen, irgendwo an der Küste New Jerseys. Die als "Heritage Trail" – als Kulturerbe - markierte Landstrasse schlängelt sich durch mannshohes Schilfgraß, an malerischen Buchten entlang. Es geht durch Orte, in denen die Zeit hinter den Holzfassaden der weißgetünchten Fischercottages buchstäblich stehen geblieben scheint. Vor dem glasverzierten Eingang der Methodisten-Kirche sammeln sich die Gottesdienstbesucher - ein Sonntagsidyll, wie man es in Europa inzwischen suchen muss.

Doch was tun diese Menschen, wenn sie Hunger verspüren? Noch dazu am Muttertag, an dem die typische amerikanische Hausfrau außer mit dem obligatorischen Blumenstrauß auch durch eine Einladung zum Restaurantbesuch geehrt wird. Der Ehrbezeugung sind, wie wir erfahren mussten, enge Grenzen gesteckt. Zumindest in diesem Teil des südlichen New Jerseys, wo "Dinos Diner" eine Mischung aus Billig-Pizzeria und klassischem "American Diner", das weit und breit einzige Lokal ist.

Ladies mit XXL-Kleidergrößen

Und was für eins! An der Tür begrüßt Dino, ein in die Jahre gekommener Gigolo-Typ, die auftoupierten Ladies mit den XXL-Kleidergrößen persönlich, in dem sicheren Wissen, dass er und nicht die Qualität seiner Speisen die eigentliche Attraktion ist. Dino hat das klassische Profil eines antiken Römers, seine Pasta jedoch ist so überkocht, wie die meisten seiner Gäste überfettet sind.

Hatte Edward Hopper die Diner-Theke in seinem berühmten Gemälde "Night Hawks" durch das Straßenlicht der Neonlaternen in eine unvergleichliche Atmosphäre getaucht, so überzeugt bei Dino vor allem die schmierige Fettschicht auf den Plastiktischen.

Gastronomische Nuancen durch aufgewärmtes Bratfett

Ein American Diner ist in der Regel rund um die Uhr geöffnet, und zumindest in diesem wurde zwischen den Mahlzeiten nicht der Tisch abgewischt. Die fotokopierte Speisekarte vom Frühstück liegt neben der vom Mittagessen, vermutlich gibt es das T-Bone-Steak darüber hinaus auch am Abend. Rein geschmacklich dürfte wohl nur das wieder aufgewärmte Bratfett dabei für gastronomische Nuancen sorgen.

Während der weich gekochte Broccoli auf dem Beilagenteller sein vitamin- und geschmackloses Dasein fristet, die Eiswürfel im Plastikglas das Chlor des Leitungswassers verdünnen, schleicht sich die noch jugendliche Bedienung heran. Ob ihr die Worte Bitte und Danke jemals über die Lippen gekommen sind, muss einem genauso zweifelhaft erscheinen wie die Verdaubarkeit des zähen Steaks und der vor Fett triefenden Fritten. Ein widerstandsfähiger Magen und eine gut gefüllte Ketchup-Flasche bleiben als letzte Hoffnung.

Bis auf den letzten Platz gefüllt

Der Blick der europäischen Gäste, deren Akzent die Bedienung vor mittelschwere Verständnisprobleme stellt, schweift deutlich entzückt von den unerwarteten Gourmetfreude durch Dinos Restaurant, das sich nun fast bis auf den letzten Platz mit Gästen füllt. Haute Cuisine hat hier heute Hochkonjunktur und aus der Küche, deren Geheimnisse sich den Gästen unverhüllt, weil räumlich nicht getrennt, darbieten, dringt unaufhörlich der betörende Geruch von Bratfett.

Auf den Tischen türmen sich unterdessen die Essensreste. Eine amerikanischen Portion hat vor allem groß zu sein, denn die Zufriedenheit des Kunden bemisst sich nicht selten dadurch, dass genug für den "Doggy Bag" übrig bleibt, jene in Styropor verpackte Restmahlzeit, die von den Gästen unbewältigt wie ein liebes Andenken nach Hause getragen wird. Dass die Überbleibsel wirklich dem Hund zugute kommen, dürfte sich in vielen Fällen als Illusion erweisen. Schließlich kostet auch bei Dino ein Mittagessen um die 20 Dollar, was in diesem Teil von Small-Town-Amerika eben auch Geld ist.

Alles und das Gegenteil

Wir verzichten auf das Extra-Schmankerl für Zuhause und hoffen auf einen Espresso in der vagen Hoffnung, dass Dinos ethnische Wurzeln uns zu einem halbwegs versöhnlichen Abschluss des Mittagsmahles verhelfen könnten. Doch die Bedienung verzieht nur ihr Gesicht, als sei Espresso eine bislang unbekannte Geschlechtskrankheit und kein Kaffeegetränk. Dabei ist New York mit seinen vielen italienschen Einwanderern nur gut anderthalb Autostunden entfernt. Zwischen den Gourmet-Tempeln Manhattans und dieser Provinz liegt zwar nur der "New Jersey Turnpike", doch trennen sie Welten. Amerika ist eben alles und sein Gegenteil.