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Diplomatisches Desaster

Alexander Kudascheff20. März 2003

In diesen Tagen erinnern sich immer mehr Europäer an 1914. Und sie erinnern sich an ein berühmtes Bonmot des britischen Außenministers Loyd George: wir sind alle in den Krieg hineingeschlittert.

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Genauso ist es diesmal. Die Amerikaner wollten den Krieg, die Deutschen ihn ebenso entschieden nicht. Und obwohl Partner, Alliierte sogar, haben sie den Zwist nur in der Öffentlichkeit, aber niemals hinter verschlossenen Türen ausgetragen. Das gilt auch für die Franzosen, die lange unentschlossen wirkten bis sie auf die deutsche Linie einschwenkten und sie teutonischer vertraten als die Deutschen selbst. Auch sie sprachen - wie Gerhard Schröder - lieber mit Putin als mit Bush und schon gar nicht reisten sie nach Washington, als man noch etwas hätte abwenden können.

Vorkriegsopfer

Der englische Premier wiederum hatte sich auf Gedeih und Verderb der Bush-Administration angeschlossen - und hörte auch nicht mehr auf die anderen. Und so kam es wie es kommen musste: alle sprachen, gelegentlich sogar miteinander, aber sie hörten sich nicht zu - und sie suchten keine gemeinsame Lösung. Die Folge: bevor der Krieg ausbrach gab es schon eine Reihe politischer Opfer.

Zunächst: die Vereinten Nationen, die als Plattform und Forum, als Vermittler, als Instanz an die Wand gefahren wurden, einschließlich des Sicherheitsrates und seiner Resolutionen. Dann die transatlantischen Beziehungen, besonders die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sie froren auf einem absoluten Tiefspunkt ein - und das schließt Frankreich als neuen Prügelknaben der amerikanischen Presse inzwischen mit ein. Dann die europäische Union. Sie zerfiel in mindestens zwei Lager: die Pro- und die Anti-Amerikaner, auf der einen Seite Blair, Aznar, Barroso, Rasmussen und Berlusconi, auf der anderen der Rest mit unterschiedlichen Nuancen, geführt von Frankreich und Deutschland.

Chefdiplomat und Statist

Erstaunlich dabei: die Deutschen, die sonst immer den Weg der Vernunft vorgeben und beschreiten, hinter dem sich die große Mehrheit versammeln kann, fielen diesmal durch radikale Rigorosität aus. Und neben dem Zwist der Clubmitglieder kam es dann noch zum Streit mit den Neuen, die sich mehrheitlich Washington anschlossen. Die Folge: rüde Attacken von Chirac gegen Balten, Polen und andere - verwundertes Schweigen auf dieser Seite, schließlich glaubte man den Kommandoton des Warschauer Pakts längst vergangen. Und in diesem Konflikt versank die gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik gleich mit, wurde der europäische Chefdiplomat zum Statisten auf der politischen Bühne. Solana war plötzlich nicht mehr als ein außenpolitischer Niemand.

Und die NATO, das größte, das beste Militärbündnis der Welt? Niemand brauchte es, niemand rief nach ihm, auch wenn Generalsekretär Lord Robertson die Allianz zum politischen Schleuderpreis anbot. Für einen Krieg, der noch gar nicht begonnen hatte, waren das genug Opfer. Und es gilt uneingeschränkt das Wort Talleyrands: in der Politik gibt es kein größeres Verbrechen als die Dummheit. Und das fällt inzwischen den Europäern immer stärker auf. Selbst wenn der Krieg aus ihrer Sicht unbegründet bleibt, das diplomatische Handling war ein Desaster, das noch lange nachwirken wird.