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Doll: "Du darfst kein Besserwisser sein"

26. März 2017

Ex-Nationalspieler Thomas Doll arbeitet seit mehr als drei Jahren als Trainer in Ungarn. Im DW-Interview spricht er über die Entwicklungen im Land, dem Einfluss des deutschen Fußballs und seine persönlichen Erfahrungen.

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Ferencvaros Budapest Thomas Doll
 press conference
Bild: picture alliance/dpa/F.Demir

DW: Herr Doll, wie fußballverrückt sind die Ungarn?

Thomas Doll: Ja, das hält sich eigentlich in Grenzen. Wenn sie richtig fußballverrückt wären, dann würden die Stadien auch immer voll sein. Im Sommer 2016 waren sie sehr fußballverrückt durch die Europameisterschaft. Da kann man doch sehen, das in diesem Land eine unglaubliche Fußballtradition gibt. Leider ist das nicht mit in die Liga herüber gekommen.

Hat sich durch EM-Teilnahme also gar nichts entwickelt?

Doch. Ich denke schon, das sich dennoch etwas entwickelt hat. Viele Mannschaften bekommen neue Stadien. Gerade im Osten ist das ja nicht so einfach zu realisieren, vor allem finanziell. Wir waren die Ersten, die ein neues Stadion bekommen haben. Viele Mannschaften ziehen jetzt nach. Das Stadion in Debrecen ist auch neu. Jetzt bekommen auch MTK Budapest,  Haladás Szombathely und Vasas Budapest ein neues Stadion. Das Stadion von Újpest wird auch bald folgen. Also da sind schon ganz gute Dinge entstanden. Leider sind die Zuschauerzahlen bisher nicht gestiegen.

Wie muss man hier in Ungarn als Trainer auftreten, um akzeptiert zu werden?

In erster Linie ist es wichtig, das du deine Fachkompetenz im Verein vernünftig vermittelst. Du darfst kein Besserwisser sein, sondern vielleicht so ein bißchen ein Revolutionär. Also ein paar neue Dinge ausprobieren und ein paar eingefahrene Dinge ändern. Ich glaube, das die Ungarn sehr, sehr stolz sind. Wir haben vom ersten Augenblick alle mit in unser Boot genommen. Egal, ob das unser Trainerteam war, oder auch alle anderen Leute im Verein. Deshalb haben sie gesehen, das wir im Trainerteam (der Deutsche Ralf "Katze" Zumdick arbeitet mit Doll als Co-Trainer bei Ferencváros, Anm. d. R.) nicht nur unser eigenes Ding machen wollen. Außerdem muss man fleißig sein und viel Zeit investieren. Nur so erkennen die Leute, das man die Arbeit ernst nimmt und den Job nicht nur als Durchgangsstation begreift. Wir wollen hier etwas Schönes aufbauen.

Neben ihnen ist auch der Ex-HSV-Trainer Michael Önning Coach in der  ungarischen Liga, der ungarische Nationaltrainer Bernd Storck ist ebenfalls Deutscher. Warum gibt es so viele deutsche Trainer in Ungarn?

UEFA EURO 2016 - Ungarn vs. Portugal *** Österreichs Trainer Storck
Nationaltrainer Ungarns: StorckBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Es war kein Platz mehr in Deutschland für diese deutschen Trainer. Ich bin jetzt mal ganz ehrlich. Und dann geht man eben auch mal einen Umweg. Ich bin ja vor drei Jahren hierher gekommen. Danach ist Bernd gekommen. Danach ist Michael gekommen. Man sieht, dass gute Dinge mit in den ungarischen Fußball hereingekommen sind. Michael hat Vasas stabilisiert und vor dem Abstieg gerettet. In dieser Saison steht er sogar oben in der Tabelle und hat ein Spitzenteam geformt. Bernd hat unglaublich viel geändert im ungarischen Fußball. Wir arbeiten sehr professionell. Auch wir bei Ferencváros arbeiten seit über zwei Jahren mit einem GPS-System, wo wir die Leistung unserer Spieler im Training jeden Tag messen können. Trotzdem haben wir hier den Fußball nicht neu erfunden. Es passt zur Zeit ganz gut.

Was zeichnet Bernd Storck in seiner Arbeitsweise als ungarischen Nationaltrainer eigentlich aus? Welchen Fokus legt er in seiner Arbeit?

Ich denke er ist ein sehr akribischer Arbeiter. Er legt viel Wert auf Athletik seiner Spieler und hat auch viele neue Systeme eingeführt. Ihm ist es sehr wichtig, das die Spieler gern zur Nationalmannschaft kommen, was nicht immer der Fall war. Er hat sich ein neues Mitarbeiterteam geformt und die Nachwuchsarbeit neu geordnet. Ich denke, das er einen Klasse-Job macht. Die Ergebnisse und die Erfolge haben ihm auch Recht gegeben. Das ist ja wichtig, um den Verband und auch die Spieler hinter sich zu bekommen. Das hat er eindrucksvoll bewiesen, weil am Anfang ja viele immer wieder nach Pál Dárdai gerufen haben. Mittlerweile hat er dieser Mannschaft seine eigene Handschrift gegeben.

Sie haben ja viele deutsche Spieler, wie etwa den Ex-Bremer Janek Sternberg nach Ungarn geholt. Wie kommt das hier in Budapest an? 

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Thomas Doll: Für die Bundesrepublik Deutschland absolvierte der Offensivmann 18 Spiele und erzielte ein Tor.Bild: dpa

Wichtig ist natürlich, welche Qualität in den einzelnen Spielern steckt. Wenn der nur noch ein bißchen Geld mitnehmen möchte, kommt das natürlich gar nicht gut an. Das wäre auch nicht gut für uns, weil wir die Jungs ja holen. Wir müssen auf die Charaktere der Jungs achten. Wenn wir die Möglichkeit bekommen, einen Spieler zu holen, der gerade nicht die Chance hat in der Bundesliga zu spielen und eine neue Herausforderung sucht, dann ist das eine gute Möglichkeit für uns. Bevor wir jemanden aus Uruguay oder Argentinien verpflichten, den wir noch nie gesehen haben, der weit weg ist von zu Hause, glaube ich, bietet sich das an.

Was haben Sie persönlich während ihrer Zeit hier in Ungarn gelernt?

Das ich ab und zu geduldiger werden muss, auch wenn es nicht immer einfach ist am Spielfeldrand. Wo dann Situationen sind, wo dann der ein oder andere Ballverlust dabei ist, den  man aus einer anderen Liga vielleicht nicht kennt. Aber das geht meinen Trainerkollegen ja auch so. Und dann lernt man nicht jede Situation zu kommentieren oder sich zu ärgern. Fußball ist ja so facettenreich. In 90 Minuten kann so viel passieren. Ich bin ja immer noch am Lernen. Grundsätzlich finde ich es aber klasse, das die Leute, die hier arbeiten, immer noch mit großer Euphorie dabei sind. Außerdem sind sie offen für neue Einflüsse. Das ist gerade im Vergleich zu Deutschland ganz angenehm, wo doch viele Dinge hintenrum passieren, und dir dann als Trainer doch die Hände gebunden sind.

Was glauben Sie warum ist der deutsche Fußball für die Ungarn so interessant? Ist es der deutsche Erfolg bei der WM 2014 oder irgendwie immer noch das Trauma der Finalniederlage bei der WM 1954 in Bern?

Ich denke schon, das viele Ungarn immer noch in der Vergangenheit Leben und sich die Zeiten eines Ferenc Puskás oder Flórián Albert wieder herbei sehnen. Das waren großartige Fußballspieler. Die Zeit ist aber weiter gegangen und der deutsche Fußball hat sich weiter entwickelt. Es sind viele Gelder herein gekommen, durch die viele Fußballinternate entstanden sind. Außerdem hat sich natürlich die Trainerausbildung in Deutschland sehr entwickelt. Das geht eben nur, wenn man die nötigen Vorraussetzungen hat. Ich glaube, dasa viele, nicht nur die Ungarn, hochachtungsvoll nach Deutschland schauen. Die Bundesliga ist so unglaublich interessant, weil ja mittlerweile Topspieler da spielen und nicht mehr ins Ausland abwandern. Die Stadien sind voll und es ist immer was los. Es ist ein anderer Fußball als in Italien. Ich denke, das die Ungarn davor großen Respekt haben.

Thomas Doll ist ein ehemaliger Fußballspieler, der in der Bundesliga und sowohl für die DDR-Auswahl als auch für die DFB-Elf im Einsatz war. Nach verschiedenen Stationen als Vereinstrainer arbeit er seit vier Jahren nun beim ungarischen Klub Ferencváros Budapest.

Das Interview führte Steffen Focke