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Risikojob Dolmetscher

Sven Pöhle6. August 2014

Ihre Arbeit ist für die Bundeswehr in Afghanistan unverzichtbar. Durch ihre Nähe zum Militär besteht für die einheimischen Übersetzer und Dolmetscher aber besondere Gefahr. Viele werden wegen ihrer Tätigkeit bedroht.

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Ein Dolmetscher der Bundeswehr (2.v.r.), Bundeswehrsoldaten (Hintergrund), afghanische Polizei (r) und Angehörige der Bürgerwehr unterhalten sich im Distrikt Char Darreh bei Kundus an einem Checkpoint (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich war mir des Risikos damals nicht bewusst", sagt Ahmed [Name von der Redaktion geändert]. Von 2010 bis 2013 stand der junge Afghane als Übersetzer in den Diensten der Bundeswehr und anderer Nationen der NATO-geführten ISAF-Truppen. Die Aufständischen im Land brandmarkten ihn für seine Unterstützung der ausländischen Militärs als Verräter. Dreimal bedrohten die Taliban Ahmed direkt. Einmal platzierten sie sogar Sprengsätze vor seinem Haus. Aus Angst um sein Leben und das seiner Frau verließen beide im vergangenen Jahr ihre Heimat.

Risikojob Übersetzer

Wie Ahmed geht es zahlreichen Helfern der internationalen Truppen in Afghanistan. Zu Spitzenzeiten beschäftigte die Bundeswehr rund 1500 sogenannte Ortskräfte, beispielsweise als Fahrer, Handwerker, Wachmänner oder Übersetzer. Derzeit sind es noch etwa 700. Eine besonders wichtige Funktion haben Dolmetscher und Sprachassistenten. Im Alltag arbeiten die Zivilisten eng mit den Soldaten zusammen. Durch ihren Einsatz wollen die Truppen unter anderem die Unterstützung der lokalen Bevölkerung gewinnen und kulturelle Missverständnisse verhindern. Für die deutschen Soldaten ist ihre Arbeit häufig überlebenswichtig. "Afghanische Ortskräfte sind sehr bedeutend für den Erfolg des Einsatzes in Afghanistan", sagt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr. Er bezeichnet sie aus eigener Erfahrung "oft als Schlüssel zum Erfolg".

Doch gerade die sichtbare Zusammenarbeit mit den internationalen Truppen mache Übersetzer und Dolmetscher zu Zielscheiben, sagt Linda Fitchett. Sie ist Präsidentin des Internationalen Verbands der Konferenzdolmetscher (AIIC), der mit seinen Partnerorganisationen FIT, IAPTI und Red T weltweit mehr als 80.000 Übersetzer und Dolmetscher vertritt. Gemeinsam mit den Partnerverbänden informiert AIIC über die Rechte und Pflichten von Dolmetschern, Übersetzern und ihren Auftraggebern. Die Verbände setzen sich für einen besseren Schutz und eine größere Unterstützung für die Sprachmittler während und nach Konflikten ein.

Ein Bundeswehrsoldat (l) und ein Dolmetscher (r) sprechen am 31.08.2011 nahe Kundus im Distrikt von Char Darreh mit einem Mann (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Ein Dolmetscher und ein Bundeswehrsoldat bei der täglichen Arbeit in AfghanistanBild: picture-alliance/dpa

Gefährliche Nähe zum Militär?

Eines der großen Ziele der AIIC und ihrer Partnerverbände ist eine UN-Resolution, die - ähnlich wie bei Journalisten oder Mitarbeitern des Roten Kreuzes - die Unversehrtheit von Dolmetschern und Übersetzern und deren unparteiischen Status anerkennt. Dadurch will man vermeiden, dass die Übersetzer in den Augen der lokalen Bevölkerung als Spione wahrgenommen werden.

Denn Gefahr besteht für die Übersetzer nicht nur während ihres Einsatzes an der Seite der Soldaten. Ein Großteil der afghanischen Dolmetscher befürchtet Racheakte der Taliban oder lokaler Aufständischer. Wie Ahmed erhalten auch viele andere Drohungen. "Einige Übersetzer versuchen daher, ihre Identität geheim zu halten", sagt Linda Fitchett, "aber ihre Feinde wissen, wer sie sind, wo sie sind und wie sie sie verletzten können."

Im November 2013 wurde ein Bundeswehr-Dolmetscher vor seiner Abreise nach Deutschland vermutlich von den Taliban ermordet. Etwa einen Monat nach dem Abzug der Bundeswehr aus der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kundus war seine Leiche in seinem Auto entdeckt worden. Fitchett und die AIIC gehen insgesamt von mehren Hundert getöteten und mehreren Tausend verwundeten Dolmetschern und Übersetzern seit Beginn des Afghanistankriegs aus. Fitchett befürchtet, dass ihre Zahl nach dem Abzug der internationalen Truppen Ende 2014 noch zunimmt.

Etwa 30-40 Übersetzer haben sich am 14.05.2013 vor dem PRT-Lager in Kundus versammelt um auf ihre gefährliche Situation aufmerksam zu machen. (Foto: Yama Sherzad/DW)
Vor dem PRT Kundus machten Übersetzer im Mai 2013 auf ihre gefährliche Situation aufmerksamBild: DW/Y.Sherzad

Deutsche Hilfe für Ortskräfte

Aktuell sind rund 790 afghanische Ortskräfte von deutschen Stellen wie dem Verteidigungs- oder dem Außenministerium angestellt worden. Die Bundesregierung hat zugesagt, die Helfer nach Deutschland zu holen, wenn sie konkret gefährdet sind. Allerdings müssen die Ortskräfte dazu beweisen, dass sie bedroht werden. Ein Gremium, in dem unter anderem Vertreter des Innen-, Außen und Verteidigungsministeriums sitzen, bewertet den Fall und spricht dann eine Empfehlung aus. Die Entscheidung über eine Aufnahme trifft letztlich das Bundesinnenministerium.

Dass jeder Fall einzeln und teilweise langwierig geprüft wird, sorgte in der Vergangenheit für Kritik am deutschen Vorgehen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière bezeichnete die Aufnahmepraxis im Juni als "verantwortungsvoll und vernünftig".

Bis Ende Juli 2014 wurden bei deutschen Stellen insgesamt 1084 der sogenannten Gefährdungsanzeigen gestellt. Bei etwas mehr als einem Drittel wurde eine individuelle Gefährdung festgestellt. 222 Helfer stellten in der Folge einen Visumsantrag. Nach Deutschland eingereist sind bislang 174 ehemalige Ortskräfte mit 391 Familienmitgliedern.

Zu ihnen gehört auch Ahmed. Zwei Monate hat es gedauert, bis er ein Visum bekam, nachdem er erneut bedroht wurde. Bereits zuvor hatte der 28-Jährige seinen Aufenthaltsort in Afghanistan mehrfach gewechselt. Inzwischen lebt er mit seiner Frau in Hamburg, erhält finanzielle Unterstützung vom Staat und lernt in einer Sprachschule Deutsch. Er selbst sei glücklich in Deutschland, sagt Ahmed, obwohl er seine Familie vermisse. Ihm macht Sorgen, dass auch seine Angehörigen bedroht werden könnten. Ob er jemals nach Afghanistan zurückkehren kann, weiß er nicht. "Wenn es dort wieder sicher ist, würde ich zurückgehen", sagt Ahmed. "Es ist schließlich mein Heimatland." Doch sicher ist es für ihn und viele andere nicht in Afghanistan.