1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Doping als Staatsplan

28. Oktober 2009

Spitzensport war in der DDR ein Instrument der Politik. Zahllose Olympiasiege zeugten aus Sicht der SED-Führung von der Überlegenheit des Systems. Erreicht wurden sie mit harter Auslese und staatlichem Massendoping.

https://p.dw.com/p/KHey
Symbolbild Doping in der DDR (Foto: dpa / Montage: DW)
Bild: picture-alliance / dpa / DW Montage

"Die Mädchen sind doch hier, um zu schwimmen, nicht zum Singen", so erklärte ein DDR-Schwimmtrainer bei den Sommerspielen 1976 in Montreal die tiefen Bassstimmen seiner muskelbepackten Frauenmannschaft. 'Die Mädchen' gewannen elf Goldmedaillen und trugen so ihren Teil zu einer Sternstunde des DDR-Sports bei. Im Medaillenspiegel landete das kleine Land mit nur 17 Millionen Einwohnern vor den großen USA auf Rang zwei. Der Staatsplan Doping hatte sich ausgezahlt.

Spitzensport als Mittel der Außenpolitik

Politisch war der Sport in der DDR von Anfang an. Der erste starke Mann Walter Ulbricht setzte direkt nach Gründung des zweiten deutschen Staats 1949 auf den Sport. Seine Idee, durch Breitensport in den Betrieben die sozialistische Idee in der Gesellschaft zu verankern und eine auch im militärischen Sinne wehrhafte Volksbewegung zu kreieren, misslang völlig. Erfolgreicher war sein Plan, den Spitzensport als politisches Mittel zu nutzen. Während das junge Staatsgebilde politisch jahrelang isoliert blieb, war der Sport die einzige Möglichkeit, internationale Anerkennung zu erreichen.

Machtkämpfe im gesamtdeutschen Olympiateam

Der Anfang gestaltete sich mühsam. Die Jahre bis 1964 waren vor allem geprägt von sportpolitischen Scharmützeln der beiden deutschen Staaten. "Da gab es von beiden Seiten nicht viele Freundlichkeiten", erklärt Grit Hartmann, die ein Buch über die Sportgeschichte der DDR geschrieben hat. "Die DDR-Führung strebte danach, ihren Willen nach politischer Eigenständigkeit zuerst im internationalen Sport zu verwirklichen", so Hartmann. Die Bundesrepublik habe versucht, mit allen Mitteln die sogenannte Hallstein-Doktrin durchzusetzen und ihren Status als einziges und "echtes" Deutschland zu wahren. Auf Betreiben der BRD und auf Geheiß des IOC stellten beide Staaten bis zu den Olympischen Spielen in Tokio eine gemeinsame Mannschaft. Sportpolitische Winkelzüge um Hymne, Flagge und Funktionärsposten waren an der Tagesordnung, und die sportlichen Ausscheidungswettkämpfe wurden mit großer Verbissenheit geführt.

Triumph in München

Einmarsch der DDR-Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München 1972 (Foto: dpa)
Unter eigener Flagge: Die DDR-Mannschaft 1972 in MünchenBild: picture-alliance / dpa

"Die DDR hat sich dann immer mehr auf den Spitzensport fokussiert", beschreibt Grit Hartmann die weitere Entwicklung. Politisch zahlte sich das aus. Zum ersten Mal wurde die DDR mit eigener Hymne und Flagge bei den Sommerspielen 1972 in München gewürdigt, erst ein Jahr später folgte die Anerkennung durch die Vereinten Nationen. "Der Sport hat die internationale Anerkennung des zweiten deutschen Staates erreicht", ist Hartmann überzeugt.

Sportlich Spitze und politisch treu

Für dieses Ziel hatte die SED-Spitze ein straffes System installiert. Das Manko, nur aus einer Basis von 17 Millionen Einwohnern Spitzenathleten zu generieren, wurde ausgeglichen durch ein einzigartiges Talentsichtungs- und Fördersystem. Geformt nach sowjetischem Vorbild und durchgeführt mit deutscher Präzision wurde daraus eine Medaillenschmiede. Spaß und Freude an der Bewegung wurden nicht berücksichtigt. "Man konnte sich die Sportart ja nicht selbst aussuchen", erzählt die ehemalige Schwimmerin Ute Krieger-Krause. "Ich kam auf die Jugendsportschule und durfte auf einmal nur noch schwimmen." Über Trainingszentren und Sichtungswettkämpfe wie die Spartakiaden kamen die jungen Sportler an die Sportschulen. Dort wurden sie systematisch gedrillt. Neben dem sportlichen Training wurde auch an der politischen Linientreue gearbeitet, erinnert sich Krieger-Krause: "Wir waren schon von Kindesbeinen an in dieser Diktatur sozialisiert. Als Sportler wurde auch immer an uns herangetragen, dass wir würdige Vertreter des Staats zu sein hätten."

Doping wird zum Staatsplan

DDR-Dopingopfer Ute Krieger-Krause (Foto: dpa)
"In der Diktatur sozialisiert": Dopingopfer Ute Krieger-KrauseBild: picture-alliance/ dpa

Doping war kein Thema. Die Einnahme von Pillen und Tabletten war für die Nachwuchssportler Gewohnheitssache. Kaum einer schöpfte Verdacht. "In der Schule gab es einen Informationsabend für die Eltern, da hieß es, die Kinder bekommen ab jetzt Vitamine und Mineralien wegen des harten Trainings", erklärt Ute Krieger-Krause. Auf die Idee, die Kinder hätten leistungssteigernde Hormone bekommen, sei deswegen keiner gekommen. Erste Dopingstudien habe es schon Anfang der 1960er-Jahre gegeben, ergänzt Autorin Hartmann: "Ganz systematisch wurde dann ab 1974 gedopt, mit Verabschiedung des Staatsplans 14.25." Davon betroffen waren alle Sportler, die bei internationalen Wettkämpfen an den Start gingen. Dazu zählten auch Juniorenwettkämpfe - also wurden auch Minderjährige mit Anabolika versorgt. "Das war ganz normal in den Alltag integriert", erzählt Ute Krieger-Krause. "Nach jedem Training mussten wir zum Trainer und die Pillen vor seinen Augen schlucken."

Kein Ende für die Opfer

So sollte es immer weiter gehen, wie Akten aus der Wendezeit belegen. Mit für den DDR-Haushalt horrenden Summen wurden die Forschung, die Trainingsbedingungen und die technische Ausrüstung der Spitzensportler voran getrieben. "Für den Olympiazyklus nach 1988 waren allein für Dopingforschung fünf Millionen Ostmark vorgesehen", stellt Grit Hartmann noch heute verblüfft fest. Was bleibt vom DDR-Sport, sind absurde Bestleistungen, die noch immer in den Rekordlisten auftauchen und hunderte Dopingopfer, die seither mit ihrer Gesundheit zu kämpfen haben. Zwar sind sie staatlich anerkannt, eine Opferrente wird ihnen aber bisher verweigert.


Autor: Jens Krepela
Redaktion: Claudia Unseld