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Jugendarbeitslosigkeit ist relativ

Martin Koch17. Juli 2013

In Spanien, Griechenland und anderen europäischen Staaten soll die Hälfte der jungen Leute arbeitslos sein. Das stimmt so nicht, sagen EU-Statistiker - und bringen Licht ins tabellarische Dunkel.

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Junge Demonstranten, die zur Bewegung "15-M" gehören, in Madrid im Mai 2012 Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!" Dieses - vermutlich zu Unrecht - Winston Churchill zugeschriebene Zitat passt auch gut auf das Dilemma der Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit: Es kursieren mehrere einander zum Teil widersprechende Werte.

Die Ursache für die Verwirrung: Es gibt in jedem der mittlerweile 28 EU-Mitgliedsstaaten nationale Arbeitsmarktstatistiken, in Deutschland erhoben von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Und es gibt die Zahlen, die von der europäischen Statistikbehörde Eurostat gesammelt werden. Die Ergebnisse sind wegen der sehr unterschiedlichen Struktur der jeweiligen Länder und ihrer unterschiedlichen Definition von Arbeitslosigkeit nicht vergleichbar – wie die viel zitierten Äpfel und Birnen.

Aus 55 Prozent werden 16 Prozent

So melden Medien beispielsweise immer wieder, dass in Staaten wie Griechenland oder Spanien laut Eurostat mehr als die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos sei. Diese Interpretation der Zahlen ist falsch – hält sich aber dermaßen hartnäckig in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Presse, dass die europäische Statistikbehörde sich nun genötigt sah, eine korrekte Interpretation der Zahlen zu geben. Denn auch Eurostat präsentiert zwei unterschiedliche Messgrößen für die Arbeitslosigkeit.

Beispiel Griechenland: In dem krisengeschüttelten EU-Staat gibt es rund eine Million Einwohner zwischen 15 und 24 Jahren. Von denen gehört jedoch nur knapp ein Drittel (310.000) zur sogenannten Gruppe der Erwerbspersonen. Damit bezeichnet man diejenigen, die einer Arbeit nachgehen können. Und von diesem Drittel ist in Griechenland tatsächlich etwas mehr als die Hälfte ohne Job, nämlich rund 170.000. Damit liegt die Arbeitslosenquote für diese Altersgruppe bei 55 Prozent.

Im Unterschied dazu werden die anderen zwei Drittel, die sich in Ausbildung oder Studium befinden und keiner Arbeit nachgehen, als Nichterwerbspersonen bezeichnet. Das heißt für Griechenland, dass von der Gesamtgruppe aller 15- bis 24-Jährigen nur jeder Sechste arbeitslos ist, der Erwerbslosenanteil liegt bei 16 Prozent.

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Arbeitslosenquote und Anteil an der Gesamtgruppe sind zwei unterschiedliche Größen

Ähnlich verändern sich die Werte für das andere gern zitierte Krisenland Spanien: Dort liegt die Arbeitslosenquote der Jugendlichen bei 53,2 Prozent, der Anteil an der Bevölkerungsgruppe der 15- bis 24-Jährigen jedoch nur bei 20,6 Prozent. Die Diskrepanz bei Jugendlichen ist viel größer als zum Beispiel bei älteren Referenzgruppen, weil viele von ihnen noch in der Ausbildung sind - und deshalb nicht zum Kreis der Erwerbstätigen gehören.

Doch sollte sich niemand durch die nun richtig interpretierten und niedriger erscheinenden Zahlen blenden lassen, warnt Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut der Wirtschaft in Berlin (DIW): "Die Zahlen sind immer noch dramatisch hoch und wenn jeder fünfte Jugendliche das Gefühl hat, dass er nicht gebraucht wird, dann ist das ein erhebliches soziales Problem."

Europäische Vergleichbarkeit

Ein wichtiger Unterschied zu den Arbeitsmarktzahlen der nationalen Einrichtungen wie zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit besteht darin, dass es sich bei den Eurostat-Daten um Ergebnisse von Befragungen handelt. Entsprechend der Vorgaben durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) lässt Eurostat in den EU-Mitgliedsländern repräsentative Interviews mit immer denselben Fragen in der Bevölkerung durchführen. In Deutschland übernehmen diese Aufgabe die statistischen Landesämter. Die Daten zur Erwerbslosigkeit bei Jugendlichen sind dabei Teil des sogenannten Mikrozensus. Das Statistische Bundesamt (destatis) führt die Ergebnisse zusammen und meldet sie als deutschen Wert an Eurostat.

Für Karl Brenke vom DIW haben sich diese Befragungen bewährt: "Das ist sinnvoll, weil sie nach demselben Erhebungsverfahren in allen Staaten durchgeführt werden, weil dieselben Definitionen verwendet werden. Von daher hat man die Möglichkeit, die Arbeitslosigkeit zwischen den Ländern zu vergleichen." Mit öffentlichen Statistiken, die aus den einzelnen Staaten zusammengesammelt würden, wäre das sicher nicht möglich, so Brenke.

Doppelung ist sinnvoll

Deutschland steht in punkto Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich sehr gut da: Nur vier von hundert Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren sind arbeitslos, das entspricht einer Quote in dieser Altersklasse von 8,1 Prozent. Das entspricht ungefähr den von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gesammelten Werten.

Duale Ausbildung - ein Modell für Spanien

Dass es eine übergeordnete europäische und viele nationale Behörden gibt, ist für BA-Sprecherin Ilona Mirtschin keine unnötige Doppelung. Im Gegenteil: Ein Verzicht auf die von ihrer Behörde erhobenen Daten sei nicht denkbar, weil diese ja einen unmittelbaren Einfluss darauf hätten, wie viel der Staat an Zuwendungen für Arbeitslose bereitstellen müsse, so Mirtschin: "Der große Unterschied zwischen nationaler und internationaler Berechnung besteht darin, dass im deutschen Sozialgesetzbuch festgelegt wird, dass arbeitslos nur zu zählen ist, wer sich bei der Arbeitsagentur gemeldet hat." Da Eurostat Umfragedaten nutze, reiche es aus, dass jemand angibt auf Arbeitssuche zu sein. Auf solchen Selbstauskünften lasse sich aber kein staatliches Sozialsystem begründen.

Und so wird es die beiden unterschiedlichen Verfahren, mit denen die Erwerbslosigkeit bei Jugendlichen festgestellt wird, vermutlich noch so lange geben, bis die Sozialgesetzgebung der EU-Staaten harmonisiert ist.