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Drogen-Krieg in Rio als Action-Thriller

20. Januar 2011

Wenn die Polizei mit Hilfe des Militärs in Rio de Janeiro eine Favela, eines der vielen Armenviertel stürmt, um bewaffnete Drogenhändler zu verhaften, sind die Fernsehkameras immer live dabei.

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Erstürmung einer Favela durch das Militär: das Fernsehen ist life dabei (Foto: DW/E. Klotsikas)
Erstürmung einer Favela durch das Militär: das Fernsehen ist life dabeiBild: Eleni Klotsikas

Hubschrauber kreisen über dem Kriegsschauplatz. Sie gehören dem brasilianischen Militär. Einer jedoch sticht durch ein anderes Logo hervor: er gehört dem Medienimperium Globo und überträgt die aus der Luft aufgenommenen Bilder live in Fernsehen. Am Boden wird gerade Vila Cruzeiro, eines der Hauptquartiere des brasilianischen Drogenhandels im Norden von Rio de Janeiro, gestürmt. Mit Marine-Panzern und hartem Geschoss bahnen sich Soldaten und Polizisten im Kugelhagel der Drogendealer den Weg hoch auf den Hügel. Mitten im Kriegsgetümmel rennen Reporter mit schusssicheren Westen und Mikrofonen in der Hand umher und berichten live fürs brasilianische Fernsehen. "Schüsse! Schüsse!", ruft der Reporter von Record-TV panisch, während er sich immer wieder zu seiner Kamera umdreht und völlig außer Atem ins Mikrofon hechelt, wie gefährlich doch diese Militäroperation ist. Die Absurdität kennt keine Grenzen.

Militär- und Polizeichefs als Dauergäste im Fernsehen

Reporter und Soldaten während einer Gefechtspause (Foto: DW/E. Klotsikas)
Ruhe vor dem Sturm: Reporter und Soldaten während einer GefechtspauseBild: Eleni Klotsikas

Inzwischen filmt der Helikopter von Globo eine Massenflucht bewaffneter Drogendealer in eine benachbarte Favela. Sie werden vom Militär aus der Luft beschossen, einige stürzen nieder. Als TV-Zuschauer fühlt man sich kurzzeitig an ein Videospiel erinnert, doch gezeigt wird Reality-TV, Krieg live. Unterbrochen werden die Kriegsbilder hin und wieder von den Kommentaren hoher Militär- und Polizeifunktionäre, die als Dauergäste in den Fernsehstudios die Fragen der Moderatoren beantworten.

Wer hier eigentlich bei wem 'embedded' ist, diese Frage stellt sich seit der letzten Militäroperation vor mehreren Wochen auch die Medienprofessorin Ivana Bentes von der Universität Federal von Rio de Janeiro. "Nie hat es das vorher in dem Maße gegeben, dass Militär- und Polizeichefs permanent im Fernsehen zu sehen waren, während die Journalisten zusammen mit dem Militär die Invasion in den Favelas durchführten“, stellt sie fest. "Das war ein und dieselbe Operation!“

Neues Image für Rios Polizisten

Ivana Bentes vermutet hinter dieser engen Medienkooperation eine Imagekampagne der Polizei. Seit Jahren verbindet die Bevölkerung von Rio de Janeiro nur Negatives mit den Ordnungshütern: Korruption, Willkür, Gewalt. Es galt als offenes Geheimnis, dass viele der schlecht bezahlten Sicherheitskräfte auf der Lohnliste der Drogenbosse standen.

Passend zur neuen Sicherheitspolitik des Bundesstaates von Rio Janeiro, nach der bis zu den großen Sportereignissen 2014 und 2016 die Drogenbanden aus den unzähligen Favelas vertrieben werden sollen, muss auch ein neues Image der Polizei her, vermutet Bentes. Die Botschaft soll bis in Ausland gesendet werden: Einst unmotivierte Polizisten greifen nun durch und erobern die Favelas zurück, die in den letzten Jahrzehnten von bewaffneten Drogenbossen wie ein eigener Staat im Staat regiert wurden. Die Botschaft soll heißen, Rio wird sicher, glaubt Bentes.

Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag bei der Erstürmung eines Hauses in einer Favela in Rio (Foto: DW/E. Klotsikas)
Bilder von schießenden Soldaten werden im Fernsehen direkt übertragenBild: Eleni Klotsikas

Von einer gezielten Medienstrategie will der Kommandant der Polizeispezialeinheit Bope, Paulo Henrique de Moraes, so direkt nichts wissen. Er ist sich jedoch bewusst, dass ohne Kommunikation kein Krieg gewonnen wird. Im Interview mit DW-WORLD.de räumt er ein, dass die positive Berichterstattung der Medien über die letzte Militäroperation auch entscheidend für deren Erfolg gewesen ist. "Nur so fühlen sich unsere Männer motiviert, ihr eigenes Leben zu riskieren“, sagt Moraes.

Auch im Internet weiß er sich und seine Truppe in Szene zu setzen. Im Internet zirkuliert ein Video, in dem er seinen Männern kurz vor der Erstürmung einer Favela, in der sich die bewaffneten Dealer verschanzt haben sollen, Mut zuspricht. "Heute ist das große Finale. Wir werden sie windelweich prügeln“, peitscht er seinen Leuten ein. Die Männer halten am Ende der Rede ihre Gewehre in die Luft und jubeln. Der Jubel artet in einen Schlachtruf aus.

Drogenkrieg so spannend wie WM-Finale

Moraes' Medientaktik scheint aufzugehen. Seit der letzten Militäroffensive werden Polizisten und Soldaten im ganzen Land als Helden gefeiert. Bei der Sprengung einer Mauer auf dem Hügel der Favela Vila Cruzeiro kurz nach der Invasion der Sicherheitskräfte sind alle Journalisten wieder anwesend. Die unverputzte Backsteinmauer diente den bewaffneten Drogendealern einst als Festung, um unliebsame Eindringliche unter Beschuss zu nehmen. Das Befestigen des Sprengstoffs, das Legen der Zündschnur - jeder Schritt wird von den Kameras minutiös festgehalten. Die Journalisten gehen zusammen mit den Polizisten in Deckung, plaudern, rauchen Zigaretten, reichen sich gegenseitig das Feuerzeug.

Die letzte Militäroperation hat beide Seiten zusammengeschweißt. So empfindet es auch die Reporterin Ana Claudia Costa von der auflagenstarken Tageszeitung O Globo. Sie ist auch vor der Invasion schon einige Mal hierher gekommen, um zu berichten, unter anderem auch als die Leiche eines Kollegen, der von Drogendealern ermordet worden war, geborgen wurde. Immer wieder musste sie sich vor Schüssen ducken, erinnert sich Ana Claudia Costa. Mit der Polizei gemeinsam den Hügel zu besteigen, um die Drogendealer zu verhaften, das sei für sie ein großartiger, emotionaler Moment gewesen: "Das fühlte sich an, wie das Endspiel einer Fußballweltmeisterschaft“, sagt die Reporterin. Ihre Zeitung O Globo verglich die Militäroffensive mit der Vertreibung der Nazis aus Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Kamerera-Leute und Fotografen beobachten den Militäreinsatz (Foto: DW/E. Klotsikas)
So spannend wie ein WM-Finale: life-Übertragung vom Kampf gegen die DrogenmafiaBild: Eleni Klotsikas

Bloggen für ein besseres Image

Unter den anwesenden Journalisten ist auch der Reporter Camillo Coelho. Er hat vor einiger Zeit die Seiten gewechselt und betreibt jetzt im Auftrag der Polizei einen sogenannten "Befriedungsblog". Jede "befriedete" Favela, so sieht es der neue Sicherheitsplan der Regierung vor, bekommt eine eigene Polizeistation, in der sogenannte Friedenspolizisten für Recht und Ordnung sorgen sollen. Camillo Coelho soll über das Leben der Favela-Bewohner nach der Vertreibung der Drogenbanden schreiben. In Wirklichkeit schreibt er aber über das soziale Engagement einiger weniger Polizisten in den Armenvierteln. "Die Bewohner anderer Favelas, die das mitbekommen, wollen auch solche Polizisten in ihrer Nähe haben und so verändert sich das Bild der Polizei in Rio nach und nach", erläutert er seine Strategie.

Ob sich das Bild der Polizei wirklich nachhaltig verändert hat, bleibt fraglich. Die Mehrheit der Favela-Bewohner scheint die Militäroffensiven gegen die Drogenmafia trotz der Gefahren zu befürworten. Noch nie war ihre Bereitschaft, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, derart groß. Die Telefon-Hotline, unter der die Bürger aufgerufen waren, Namen und Versteck von Drogendealern anzuzeigen, verzeichnete Anruferrekorde. Viele hoffen aber auch, dass ihr neues Bild von der Polizei nicht nur ein PR-Coup ist.

Autorin: Eleni Klotsikas
Redaktion: Mirjam Gehrke