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Duo statt Kakophonie?

Gérard Foussier20. Januar 2003

Das Ziel des Elysée-Vertrages von 1963 war die Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen. Das ist gelungen. Mittlerweile geht es aber in den deutsch-französischen Beziehungen um mehr, meint Gérard Foussier.

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An jedem Pariser Zeitungskiosk hängt in diesen Tagen ein Plakat mit großer Überschrift: "Der Nationalsozialismus und die Deutschen". Mit Hitler-Konterfei und Hakenkreuz-Fahnen wirbt eine Populär-Zeitschrift über Geschichte für eine Sondernummer - ausgerechnet zum 40. Jahrestag der 1963 im Elysée-Palast feierlich besiegelten Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen. Keine Empörung, aber auch kein Applaus - Normalität?

Nüchterne Beziehung

Die ohnehin geschichtsbewussten Franzosen haben längst keine Angst mehr vor einem angeblich übermächtigen Deutschland. Aber die mythische Freundschaft - die jetzt mit übertriebenem Nachdruck in jeder politischen Rede, auf unzähligen Kolloquien, in vielen Veröffentlichungen und im Rahmen von Partnerschaftskomitees unterstrichen wird - sollte die Nüchternheit der Beziehungen nicht verdecken.

Ja, Normalität ist eingekehrt. Der Vertrag von 1963 hat seine Funktion erfüllt. Versöhnung ist, vor allem für die junge Generation, kein Thema mehr, weil sie schon als selbstverständlich empfunden wird. Und wenn das Verhältnis zwischen Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder wahrlich nicht die Qualität und die Intensität früherer Beziehungen hat, bleibt der gegenseitige Schulterschluss dennoch der einzige Schlüssel auf dem Weg zur Einigung Europas.

Ein Duo statt einer Achse

Der gemeinsame Wortschatz ist nun um einen neuen Begriff reicher geworden: das "Duo". Von "Achse" spricht keiner mehr - vor allem London mochte das Wort nicht. Von "Tandem" ist nicht mehr die Rede - wer sollte übrigens auf einem solchen Gefährt vorne sitzen? Und von "Ehepaar" auch nicht - vielleicht ein Ausdruck der Midlife-Crisis? Nun macht das "Duo" die Runde - ein musikalisch anmutender Begriff gegen eine drohende Kakophonie, einen Missklang?

Auf der qualvollen Suche nach Symbolik haben beide Länder anlässlich dieses Jubiläums die Chance verpasst, dem deutsch-französischen Motor neuen Treibstoff zuzuführen. Die deutsche Debatte um den gemeinsamen Auftritt aller Bundestagsabgeordneten und aller Parlamentarier der französischen Nationalversammlung im geschichtsträchtigen Schloss von Versailles war teilweise peinlich, zeugte aber von verzweifelter Machtlosigkeit, als könnten Frankreich und Deutschland ihre Freundschaft nur durch medienwirksame Symbole bekräftigen.

Keine deutsch-französische Nacht

Nicht weniger peinlich wirkte Ende Dezember der von Chirac und Schröder empfohlene Aufruf zu einer gemeinsamen deutsch-französischen Nacht am 22. Januar: Restaurants zum Beispiel sollten an diesem Abend die kulinarischen Spezialitäten des Nachbarn auftischen. Wackelpudding und Leberkäs gegen Coq au vin und Froschschenkel - dies mag 1963 ein nettes Anliegen zur besseren Verständigung gewesen sein.

Vierzig Jahre später dürften beide Bevölkerungen doch etwas wählerischer geworden sein. Die zahlreichen persönlichen Beziehungen haben nämlich nicht verhindert, dass heute immer weniger Bürger die Sprache des Nachbarn erlernen, dass Kulturinstitute geschlossen werden, dass das Budget des erfolgreichen Deutsch-Französischen Jugendwerks nie der Inflation angepasst wurde und dass die Information über das jeweilige Partnerland in den Medien immer noch zu wünschen übrig lässt.

Zwerg und Riese

Endgültig vorbei ist es mit der Behauptung, Deutschland sei ein wirtschaftlicher Riese und ein politischer Zwerg - und Frankreich umgekehrt - was die Komplementarität der Freundschaft ausdrücken würde. Ob man mit dem Nachbarn effektiv zusammenarbeiten kann oder nicht, ist nicht mehr die philosophische Frage im Vordergrund der bilateralen Beziehungen - fest steht, dass man ohne ihn nicht weiter kommt.

Denn es geht längst nicht mehr um einen Schmusekurs zwischen Paris und Berlin, es geht um die Gestaltung des zukünftigen Europas. Erst wenn das deutsch-französische Duo, egal wie sich die Regierungen jeweils gegenseitig mögen, gemeinsame Wege zur Einheit und zu funktionsfähigen Mechanismen der Union findet, wird Europa eine politische Größe in der Welt sein.