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Politik

PiS-Durchmarsch gefährdet Grundrechte in Polen

Paul Flückiger Warschau
25. Oktober 2017

Vor zwei Jahren gewann Jaroslaw Kaczynskis Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) in Polen die absolute Mehrheit. Diese Machtfülle nutzt sie seither schamlos aus. Doch sie hält auch die meisten Wahlversprechen.

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Polen Medykow Ärzte Streik
Bild: picture-alliance/dpa/J.Bednarczyk

Viele Ärzte in Krakau gehen heute nicht zur Arbeit. Grund ist ein Streikaufruf der Mediziner in der Wojwodschaft Kleinpolen. Sie wollen mit der Arbeitsniederlegung ihre Warschauer Kollegen unterstützen. Dort sind bereits am 2. Oktober etwa zwei Dutzend Assistenzärzte in den Hungerstreik getreten. Mit der verzweifelten Aktion wollen sie eine sofortige Lohnerhöhung von umgerechnet rund 550 Euro erkämpfen. 

Die Regierung zeigt sich nach über drei Protestwochen zum Einlenken bereit. Jedoch will sie weniger Geld für die europaweit wegen Abwanderung am meisten unterbesetzte staatliche Gesundheitsversorgung ausgeben und nicht so schnell reagieren, wie es die Assistenzärzte wollen. In Polen kommen nur 2,2 Ärzte auf 1000 Einwohner, der EU-weit niedrigste Wert.

Typische Reaktion der Regierung

Sobald ihr der Wind rau entgegen weht, zeigt sich die Regierung scheinbar kompromissbereit, bleibt im Grundsatz aber hart. So ergangen ist es vor Jahresfrist bereits den Gegnern einer Einschränkung des im europäischen Vergleich sehr restriktiven Abtreibungsrechts. Der von einem der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) nahestehenden rechtskatholischen Bürgerinitiative eingereichte Gesetzesentwurf wurde im Sejm auf Eis gelegt, inzwischen wird indes ein neues Abtreibungsverbot vorbereitet.

Polen Abstimmung im Unterhaus über Justizreform
Starker Mann im Vordergrund: Jaroslaw Kaczynski (Mitte)Bild: Reuters/Agencja Gazeta/S. Kaminski

Im Grunde aber hält Jaroslaw Kaczynskis rechtspopulistische Partei eisern an ihrem bereits im Wahlkampf 2015 vorgezeichneten Weg fest. Versprochen wurde den Polen damals eine massive Erhöhung der Sozialausgaben sowie ein tiefgreifender Staatsumbau, die "gute Wende" genannt. Genau zwei Jahre nach dem überwältigenden Wahlsieg (37,6 Prozent der Stimmen, 235 von 450 Sitzen) hat es die PiS dank der Stopfung von Steuerlöchern tatsächlich geschafft, ihre wichtigsten Sozialversprechen zu halten. So erhalten Familien erstmals seit der Wende von 1989 ein Kindergeld, das kaufkraftbereinigt sogar höher als jenes Schwedens ist. Auch wurde das Rentenalter von 67 wieder auf 65 Jahre (60 Jahre für Frauen) gesenkt.

Einhaltung von Wahlversprechen

Neben dem sozialen Manna werden jedoch auch Wahlversprechen eingehalten, die tief in das demokratische Grundgefüge eingreifen. So wurden die bisher öffentlich-rechtlichen Staatsmedien (Radio, TV und Presseagentur PAP) den PiS-Interessen unterworfen. Die Pressefreiheit geriet dadurch in Gefahr, wobei Polen auf ein traditionell starkes Privatfernseh- und -radionetz zählen kann. Das Verfassungsgericht wurde Kaczynskis Parteiinteressen völlig unterworfen. Die unabhängige Beamtenschaft ebenso. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Staatsstellen seitdem gemäß Parteibuch besetzt. Derselbe Elitenwechsel hat längst auch die Staatsfirmen erfasst. Die EU hat ein Rechtsstaatverfahren gegen Warschau eröffnet. Doch die PiS-Regierung zeigt sich davon unbeeindruckt. Denn sie weiß, dass sie auf das Veto Ungarns zählen kann. Dort haben die Rechtspopulisten die Macht bereits 2010 demokratisch erobert und seitdem Brüssel immer wieder ausgetrickst.

Einzig eine Justizreform, die auch die Gerichte der PiS unterwerfen sollte, ist einstweilen am Veto von Staatspräsident Andrzej Duda gescheitert, obwohl sich auch dieser politisch in Kaczynskis rechtsnationalem Lager verortet. Seit Wochen sind hier Verhandlungen zwischen Kaczynski und Duda im Gange, die eine Kompromisslösung zum Ziel haben. Damit soll vor allem eine Spaltung des Regierungslagers in der Halbzeit verhindert werden.

Beunruhigende Umfragen

Das forsche Vorgehen der PiS, die auch die Versammlungsfreiheit inzwischen eingeschränkt hat, hat nur laue Proteste provoziert. Allein gegen die Verschärfung des Abtreibunsrechts (Oktober 2016) und die Justizreform (Juli 2017) gingen Massen auf die Strasse. Insgesamt erfreut sich die PiS in Polen - im Gegensatz zu Brüssel und Berlin - auch zwei Jahre nach ihrem Wahlsieg einer großen Zustimmung. Laut der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS kann Kaczynskis Regierungspartei heute gar auf etwas mehr Zustimmung bauen als vor zwei Jahren, nämlich 38,4 Prozent. Abgeschlagen auf dem zweiten und vierten Platz finden sich die beiden liberalen Oppositionsparteien "Bürgerplattform" und "Die Modernen". An dritter Stelle findet sich die ebenfalls rechtspopulistische Bewegung "Kukiz'15", die im Sejm oft die PiS unterstützt. 

Polen Demonstration in Warschau
Gegen die Justizreform der PiS: Proteste im Juli in WarschauBild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Wie viel solche Umfragen wert sind, stellt jedoch eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts CBOS infrage. Demnach haben im März 58 Prozent der Polen angegeben, es sei heutzutage besser, seine politische Überzeugung nicht offen zu äußern. 37 Prozent der Befragten fühlten sich in ihrer Freiheit zur Meinungsäußerung nicht eingeschränkt. Kurz nach der Wende, 1993, war es ziemlich genau umgekehrt. Damals waren 60 Prozent überzeugt, ihre politische Meinung völlig frei äußern zu können, 33 Prozent bezweifelten dies.

Baldige Regierungsumbildung?

Obwohl die PiS mit allen Patreipräferenz-Umfragen zufrieden sein kann, hält sich seit Wochen hartnäckig das Gerücht, dass für November eine Regierungsumbildung geplant sei. Je nach Standpunkt der Warschauer Politauguren soll diese tiefgreifend ausfallen oder nur kosmetisch sein. Auf Kaczynskis Abschussliste als gesetzt gilt der Infrastrukturminister. Auch der Stuhl von Regierungschefin Beata Szydlo soll wanken. Selbst in PiS-Kreisen ist inzwischen zu hören, am besten wäre es, wenn Kaczynski die Regierungsgeschäfte offiziell und nicht nur von der Hinterbank aus übernähme. Allerdings hat sich Szydlo in den letzten 24 Monaten immer wieder als loyale Managerin des Parteichefs beweisen. Einen Grund, sie ausgerechnet jetzt abzusetzen, gibt es deshalb nicht.