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DW-Amharisch: "Unsere Kiemen zum Atmen"

Ludger Schadomsky15. März 2015

Am 15. März 1965 ging das amharische Programm der Deutschen Welle für Äthiopien erstmals auf Sendung. Seitdem hat das Programm Millionen Hörer durch eine wechselvolle Geschichte Äthiopiens begleitet.

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Deutsche Welle 50 Jahre amharische Redaktion
Bild: DW/H. Bogler

Die erste Sendung vom 15. März 1965 erscheint im Rückblick so staatstragend wie das Protokoll am Hofe des damaligen äthiopischen Kaisers Haile Selassie: Noch vor der "Einführung in das neue amharische Programm" darf der Botschafter des Kaiserreichs Äthiopien in der BRD ein Grußwort an die Kurzwellenhörer vom Horn von Afrika richten. Der Programmstart bringe einen "Lichtstrahl" nach Äthiopien.

Es dauert nicht lange, bis der erste Hörerbrief im Funkhaus eintrifft. Das steht damals noch Köln, weshalb die DW bis heute in Äthiopien auch als "Radio Köln" bekannt ist. "Viele Grüße und herzlichen Dank für die amharische Sendung. Seitdem sie mit der Ausstrahlung begonnen haben, höre ich sie immer. Ich hoffe, dass Sie in der Zukunft noch mehr Sendezeit haben werden." schreibt Abdul Mamna Hassan.

War die Erstsendung noch 15 Minuten kurz sendet die DW heute an sieben Tagen in der Woche eine volle Stunde auf Amharisch.

Der Äthiopische Kaiser Haile Selassie (l.) mit Gastgeber Bundespräsident Theodor Heuss 1954 in Bonn Foto: dpa
Der Äthiopische Kaiser Haile Selassie (l.) mit Gastgeber Bundespräsident Theodor Heuss 1954 in BonnBild: picture alliance/dpa

Der Charme des Kaisers

Warum aber wurde neben den bereits existierenden Afrika-Sprachen Kiswahili und Haussa ausgerechnet Amharisch als Sendesprache ins Programm des deutschen Auslandsrundfunks genommen? Hatte der Charme des Kaisers bei seinem Besuch in Bonn 1954, dem ersten eines ausländischen Staatsoberhauptes in der jungen Bundesrepublik überhaupt, einen derart großen Eindruck hinterlassen?

"Äthiopien wurde ausgewählt wegen des internationalen Ansehens des äthiopischen Kaisers Haile Selassie und wegen der Rolle, die Äthiopien im Rahmen des Panafrikanismus spielte", sagt der langjährige Redaktionsleiter Frank Lemke. "1963 wurde die Organisation für Afrikanische Einheit gegründet und Äthiopien bot an, den Sitz zu übernehmen." Die deutsche Regierung, die natürlich ihr grünes Licht für Amharisch als DW-Sendesprache geben musste, war davon sehr angetan", sagt Lemke. So wurde die erste Sendung über Kurzwelle ausgestrahlt.

Durst nach Wahrheit

Redakteure des Amharischen Programms vor dem Kölner Dom
Gruppenbild vor Kölner Dom: Die DW sendete zunächst aus Köln, später folgte der Umzug nach BonnBild: DW/H. Bogler

Schon bald wird DW-Amharisch in Äthiopien der Hit und die lokale Sendezeit wird im Volksmund zur "DW-Stunde". Ein Hörer schreibt der Redaktion: "Wir in Äthiopien sind wie Fische ohne Kiemen. Erst DW-Amharisch verleiht uns Kiemen zum Atmen". Und so ist auch der Tenor der unzähligen Hörerbriefe, die die Redaktion erreichen.

Mitte der 1970er Jahre leiten Korruption und Hungersnöte das Ende der Monarchie von Kaiser Haile Selassie ein. Es folgen die dunklen Jahre des sogenannten Derg-Regimes unter Mengistu Hailemariam, bevor mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Europa Ende der 1980er Jahre auch am Horn von Afrika die Wachablösung erfolgt: Mit Meles Zenawi in Äthiopien und Isaias Afewerki in Eritrea, dem zweiten Zielmarkt von DW-Amharisch, kommen Anfang der 1990er Jahre vermeintliche Hoffnungsträger an die Macht. Immer dabei: Das amharische Programm der DW mit zeitweise 7 Korrespondenten in beiden Ländern, die tagesaktuell ihre Berichte zunächst per Telefon, später per Internet nach Deutschland überspielen.

Stimme der Freiheit

Doch im gleichen Maße, wie die einstigen Freiheitskämpfer Zenawi und Afewerki später ihre Länder zunehmend autoritär regieren, häufen sich die Angriffe auf den deutschen Auslandsrundfunk und sein amharisches Programm, das über Menschrechtsverletzungen und Einschränkungen von Zivilgesellschaft und Medien berichtet.

50 Jahre amharische DW-Redaktion
Äthiopien goes mobile - DW-Amharisch als Stimme der Freiheit geht mitBild: DW

Immer wieder wird die Kurzwellenausstrahlung durch sogenanntes "Jamming", das Aufschalten eines Störsenders, unterbrochen. China wird als Zulieferer der Technik genannt. "Wenn das Jamming anhält, leiden wir Äthiopier", so eine jüngste Zuschrift. Korrespondenten wird die Akkreditierung entzogen, zwei von ihnen flüchten nach Europa und beantragen dort politisches Asyl. In jüngerer Zeit haben Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) vermehrt die Internetzensur durch die äthiopische Regierung dokumentiert. "Die Deutsche Welle spielt eine ganz zentrale Rolle in der Bereitstellung von Informationen in einem Land, in dem es kaum Zugang zu freien und verlässlichen Informationen gibt", sagt Felix Horne, Äthiopien-Referent bei HRW.

Äthiopien: Radiomarkt mit sozialer Interaktion

50 Jahre nach Gründung ist DW-Amharisch heute der meistgehörte Auslandssender in Äthiopien. Auch der Generationenwandel scheint gelungen: 250.000 facebook-Fans, knapp ein Drittel aller facebook-User im 90 Millionen-Einwohner-Land folgen dem Programm und diskutierten mit den Redakteuren in Bonn im facebook-Chat. "Fürs Erste ist Äthiopien ganz sicher noch ein Radiomarkt", so DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff. Von einer Dienstreise nach Washington, wo eine große äthiopische Exilgemeinde lebt, brachte er die Erfahrung mit, dass selbst äthiopische Taxifahrer in den USA das amharische Programm der DW hören – freilich über ihr Smartphone. "Insgesamt werden wir uns sicher so aufstellen müssen, dass wir auch für die Menschen in Äthiopien mobil und über soziale Netzwerke verfügbar und erreichbar sind".

Glückwunsch vor der gefährlichen Passage nach Europa

Derweil nehmen viele langjährige Hörer und jüngere Nutzer die Gelegenheit wahr, dem äthiopischen Programm zum runden Geburtstag zu gratulieren. Ein besonders berührender Gruß stammt von einem Äthiopier namens Solomon aus Libyen: Gemeinsam mit seiner Frau hat er sich vor fünf Jahren in Äthiopien auf den Weg nach Europa gemacht und ist in Nordafrika in die Kriegswirren geraten. Trotz seiner prekären Lage dichtete er zum Jubiläum über sein Handy nach Deutschland: "Deutsche Welle - der Wahrheit verpflichtet und dem Kampf gegen Diskriminierung - ausgewogen und fair. Aus diesem Grund sind wir Ohrenzeugen von 50 Jahren Dienst an der Wahrheit."

Redakteurin Lidet Abebe im Sendestudio in Bonn
Redakteurin Lidet Abebe im Sendestudio in BonnBild: DW

In zwei Wochen, sagt Solomon noch am Telefon, wollen er und seine Frau ein Schlepperboot Richtung Italien besteigen. Er hoffe, die Odyssee zu überleben - und schon bald der DW in Bonn einen Besuch abzustatten.