1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

DW-Initiative zu Georgien - Erfolgreiches Konzert - Funkbrücke nach Tiflis - Lob von Präsident Schewardnadse

1. Oktober 2003

Wie das Orchester des Staatlichen Musikkonservatoriums Tiflis zum Bonner Beethovenfest kam - Georgien, ein Land der Musik - Verbindungen nach Deutschland und Europa

https://p.dw.com/p/1yu8
Beethovenbüste in Bonn

Glückliches Georgien! Hier sind die Götter zu Hause, auch wenn sie in der wechselvollen Geschichte des Landes nicht immer ihre schützende Hand über die Menschen hielten. Prometheus wurde an einen georgischen Felsen gekettet und die Argonauten zogen aus in den wilden Kaukasus, um sich das Goldene Flies zu holen. Im Land der Mythen müssen sich aber auch die Musen, die reizenden Göttinnen der Künste, heimisch gefühlt haben. Denn die Georgier sind zurecht stolz auf eine reiche kulturelle Tradition, die immer wieder befruchtet wurde vom Austausch mit den kaukasischen Anrainern, dem russischen Nachbarn und den Ländern Europas. Zu Deutschland bestehen besonders enge und herzliche Beziehungen. Präsident Schewardnadses Anteil an der deutschen Wiedervereinigung bleibt unvergessen. Die Deutschen waren die ersten, die Georgien nach der Unabhängigkeit 1991 offiziell anerkannten und im Jahr darauf ihre Botschaft eröffneten. Die Zuneigung für Georgien drückt sich aber auch in Fernsehproduktionen wie Fritz Pleitgens viel beachteter Reportagereihe "Durch den wilden Kaukasus" aus, die uns mit Menschen, Landschaften und kulturellen Traditionen aus dieser geologisch wie politisch zerklüfteten Region bekannt machte. Deutsch ist in Georgien nach Englisch die meistgesprochene Fremdsprache. Eng ist der kulturelle Austausch, der Künstler wie den Komponisten Gija Kancheli oder das Georgische Kammerorchester nach Deutschland führte, in das Land Bachs und Beethovens, zu dem sich die Georgier bis heute stark hingezogen fühlen. Gleichwohl war die eigenständige Kunst- und Kulturentwicklung in diesem Land am Scheitelpunkt zwischen Ost und West bis in die jüngste Geschichte hinein stark gefährdet durch fremde Besatzer, Eroberer und übermächtige Nachbarn.

Wie durch ein Wunder hat sich insbesondere die georgische Musik ihre Unverwechselbarkeit bewahrt, zuletzt auch in den Jahrzehnten zwischen 1922 und 1991, als das Land Teil der Sowjetunion war. Von seinem "größten musikalischen Eindruck" schwärmte Igor Strawinsky, nachdem er georgische Volksmusik gehört hatte. Und der griechische Geschichtsschreiber Strabon pries die Georgier als ein "singendes Volk". Damit ist auch schon eine der großen Errungenschaften der georgischen Musikkultur genannt. Wer einmal einen georgischen Männerchor gehört hat, weiß, was Strabon meinte. Den machtvollen, beinahe körperhaften Klang, der aus den Männerkehlen herausdringt und den Raum erfüllt, vergißt man nicht so leicht.

Verschiedenste Formen von Mehrstimmigkeit, bevorzugt der dreistimmige Gesang, prägen die Volksmusik. Wissenschaftler ziehen Parallelen zur mittelalterlichen Musik Mitteleuropas. Die enge Verflechtung heimischer und fremder Musikstile führte sogar zur Ausbildung eines eigenen Genres, des "Tbilisier Liedes". Als frühe Protagonisten professionellen Musizierens zogen seit dem Mittelalter fahrende Sänger, "mgosani" genannt, übers Land. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich neben der Volks- und Kirchenmusik dann eine neue Sparte: die klassische, an europäischen Vorbildern geschulte Kunstmusik. Anton Rubinstein war es, der 1891 mit den Spenden seines Wohltätigkeitskonzertes in Tbilissi die finanzielle Basis schuf für das zukünftige Musikkonservatorium, an dem später neben russischen und einheimischen Kräften auch Schüler von Franz Liszt und Ignaz Moscheles unterrichteten.

Damals soll Rubinstein Beethoven gespielt haben. Mehr als 120 Jahre später spielt das 80-köpfige Orchester des Konservatoriums wiederum Beethoven, diesmal in der Bonner Beethovenhalle. Anlass dieser Aufführung ist die Initiative der Deutschen Welle, ein herausragendes Nachwuchsorchester aus einer ausgewählten Weltregion zum Beethovenfest einzuladen. Nach der Ukraine und der Türkei ist in diesem Jahr Georgien das Partnerland. Neben einem Konzert in der Beethovenhalle ermöglichten Beethovenfest und Deutsche Welle einen einwöchigen Orchestercampus, in dem die Dirigenten Jan Krenz und Peter Gülke mit den jungen Musikern Werke des klassisch-abendländischen Repertoires erarbeitet haben. Gleichzeitig erteilte die Deutsche Welle einen Kompositionsauftrag an den georgischen Komponisten Teimuraz Bakuradze.

Sein Werk "Hoher Gesang der Jünglinge und der Vögel" ist in Bonn im Rahmen des georgischen Gastspiels erfolgreich uraufgeführt worden. In Gegenwart von Gija Kancheli, dem wohl berühmtesten lebenden georgischen Komponisten, erklang zuvor dessen fünfte Sinfonie, vom Orchester des Musikkonservatoriums unter der Leitung von Giorgi Tchitchinadse mit großer Eindringlichkeit dargeboten. Angesichts der eindrucksvoll agierenden Bläserformation fühlte sich ein Kritiker gar an die Posaunen von Jericho erinnert.

Solistin bei Beethovens zweitem Klavierkonzert war die erst 11-jährige Sofio Simsive. Das Mädchen, das bescheiden in weißer Bluse und schwarzem Rock auf die Bühne kam, besitzt zweifellos ein großes Talent. Technische und intellektuelle Souveränität ist ihrem makellosen, gesanglichen Spiel zu bescheinigen. Allenfalls fehlt ihr noch hier und da die körperliche Kraft.

Das Orchester glänzte durch temperamentvolles Aufspielen und zeigte eine hohe Spielkultur. Dies ist die Frucht der monatelangen intensiven Arbeit des jungen georgischen Dirigenten Georgi Tchitchinadse, der gleichfalls bereits über einige internationale Erfahrung verfügt. Er ist eine Lichtgestalt und führt die Musiker zwischen 16 und 24 energisch. Aber auch die kontinuierliche Ausbildungsarbeit des Konservatoriums spielt eine wichtige Rolle. Eines Konservatoriums, das die traditionellen Ausbildungsgänge und Studienfächer anbietet.

Neben Komposition, Musikethnologie und Musikgeschichte werden am Konservatorium die Orchesterinstrumente, Dirigieren, Klavier, und Gesang unterrichtet. Lehrer und Studenten arbeiten angesichts des desolaten wirtschaftlichen Umfeldes unter schwierigsten Bedingungen. Bewundernswert sind Kraft und Umsicht, mit denen die agile Rektorin Manana Doidjashvili, eine über Georgien hinaus bekannte Pianistin, das Konservatorium führt und es nach dem bürgerkriegsbedingten Niedergang wie Phönix aus der Asche auferstehen lässt. Den frisch renovierten Räumen und Gängen entspricht der "innere" Wiederaufbau, mit dem die Rektorin Unterricht und Ausbildung für immerhin 300 Studenten sicher stellt. Manana kommt von Manna und heißt soviel wie Himmelsbrot. Mag sein, dass manchem Studenten die Rektorin und ihre Stellvertreterin gleichen Vornamens wie vom Himmel gesandt erscheinen. Aber auch sie können kaum etwa daran ändern, dass die Berufsaussichten des musikalischen Nachwuches miserabel sind. Neben dem Opernhaus, dem Staatlichen Georgischen Sinfonieorchester, einigen kleineren Ensembles und dem Konservatorium bieten sich kaum Arbeitgeber an.

Die beiden "Mananas" haben das gesamte Ausbildungsjahr 2003 auf das Bonner Engagement ausgerichtet, Semester und Semesterferien also flexibel gestaltet, um sich auf die große Herausforderung möglichst umfassend vorzubereiten. Immerhin ist nicht nur das Konzertprogramm vorzubereiten, sondern weitere Werke für die beiden Workshops des Orchestercampus. Die intensive Vorarbeit hat sich gelohnt.

Politisch hat das ambitionierte Projekt höchste Beachtung gefunden: Der georgische Präsident Eduard Schewardnadse und Bundespräsident Johannes Rau übernahmen die Schirmherrschaft.

Bei einem Treffen mit den Intendanten Erik Bettermann und Franz Willnauer in Tbilisi äußerte sich Schewardnadse schon im Vorfeld anerkennend: "Wir freuen uns sehr, dass die Deutsche Welle unseren jungen georgischen Künstlern die Chance gibt, ihr Können beim Beethovenfest unter Beweis zu stellen".

Genauso ist es gekommen. Schewardnadse lag richtig.

Gero Schließ