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Dänischer Filmemacher inszeniert Bayreuter "Ring"

18. Oktober 2001

Auch nach 51 Jahren als Chef auf dem Grünen Hügel in Bayreuth ist der vielgescholtene Wolfgang Wagner noch für eine faustdicke Überraschung gut.

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Weiter auf Erfolgskurs: Lars von TrierBild: AP

Wolfgang Wagner hat seine Kritiker wieder einmal Lügen gestraft. Mit der verblüffenden Verpflichtung des dänischen Filmregisseurs Lars von Trier als dem neuen "Ring"- Regisseur für das Jahr 2006 hat der greise Bayreuther Festspielchef einen Coup gelandet, dem ihm wohl kaum jemand zugetraut hätte.

Weltweite Aufmerksamkeit ist der Neuinszenierung gewiss, zumal von Trier damit erstmals ein Werk des Musiktheaters für eine Bühne inszenieren wird.

Mit einem Streich hat Wagner alle Vorwürfe einer "Erstarrung" und "Verkrustung" in Bayreuth vom Tisch gefegt.

Als der 82-jährige Wagner während der Festspiele im Sommer
geheimnisvoll eine baldige "Überraschung" ankündigte, wurde
spekuliert, er werde für die Neuinszenierung des "Parsifal" im Jahr 2004 Patrice Chereau noch einmal nach Bayreuth holen, den Regisseur des legendären Bayreuther "Jahrhundert-Rings" von 1976.

Den 45-jährigen von Trier hatte niemand auf der Rechnung. Seine Berufung nach Bayreuth, wo er von dem isländischen Bühnen- und Kostümbildner Karl Juliusson unterstützt werden soll, ist in ihrer Wirkung sicher vergleichbar mit der von Chereau vor 25 Jahren.

Lars von Trier zählt zu den interessantesten und umstrittensten Filmregisseuren der Gegenwart. Er galt in den 90er Jahren als Hauptvertreter der "Dogma"-Schule, deren Hauptkennzeichen mit der Handkamera aufgenommene Bilder, der Verzicht auf zusätzliches Licht und die Beschränkung auf O-Töne wurden.

Mit "Breaking the waves" schaffte er 1996 den internationalen Durchbruch. Kinogängern am besten in Erinnerung dürfte der beklemmende Musicalfilm "Dancer in the dark" mit der isländischen Sängerin Björk sein, der im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme und den Europäischen Filmpreis erhielt.

Lars von Triers Inszenierung soll die zehnte Bayreuther
Interpretation von Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des
Nibelungen" werden. Besonderen Reiz verspricht die Zusammenarbeit mit Christian Thielemann, der schon länger als Dirigent feststeht.

"Ring"-Geschichte

Noch immer gilt in Bayreuth die 1976er-Inszenierung von Patrice Chereau (Dirigent war Pierre Boulez) als Maß aller Dinge - daran werden sich auch von Trier und Thielemann messen lassen müssen. Alle Bayreuther "Ring"-Inszenierungen danach reichten nicht an die provokanten Bilder des Franzosen heran.

Nach Chereau hatte in Bayreuth zunächst 1983 Peter Hall mit einer unvollendeten Inszenierung (Dirigent Georg Solti) Schiffbruch erlitten.

1988 boten Harry Kupfer und Dirigent Daniel Barenboim eine konsequente Deutung mit viel ungewohnter Action.

Als "Märchen-Ring" ging die Inszenierung von Alfred Kirchner (am Pult James Levine) in die Festspielgeschichte ein, bei der vor allem die bunten Bühnenbilder von Rosalie in Erinnerung blieben.

Die aktuelle Deutung von Jürgen Flimm (Dirigent Adam Fischer), seit vergangenem Jahr auf dem Spielplan, siedelt den "Ring" schließlich in den Machtzentralen der
Wirtschaft an, lässt bei dieser Deutung aber etwas die Konsequenz vermissen.

Hintergrund

Die Fäden zu Lars von Trier hat Wolfgang Wagner offenbar schon seit längerem gesponnen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit weilte der Regisseur im Sommer am "Hügel" und schaute sich die aktuellen Aufführungen an. Mehrfach traf sich Wagner im Laufe des Jahres mit von Trier und ließ sich dessen "auch von seinem Medium Film beeinflussten Weg zum 'Ring'" erklären, wie es in einer Pressemitteilung der Festspiele heißt.

Von Triers "besondere Affinität und künstlerische Beziehung" zum "Ring" haben Wagner offensichtlich überzeugt. Seit wann von Triers Verpflichtung in Bayreuth genau feststand,
ist nicht bekannt.

Pikant ist jedenfalls der Zeitpunkt der Veröffentlichung: Just am Mittwoch ließ Wolfgang Wagner die Katze aus dem Sack, an dem Tag also, als seine Nichte und schärfste Kritikerin Nike Wagner als neue Hamburger Kultursenatorin gehandelt
wurde. Mit ihrer prompt folgenden Absage an die Elbmetropole - wegen ihrer Meinung nach unzureichender Finanzmittel für die Kultur - hält die Urenkelin des Komponisten ihre Bayreuther Thronansprüche zwar weiter aufrecht - Doch der Coup ihres Onkels hat ihren Ambitionen einen herben Dämpfer versetzt.