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Eber in der Geruchsfalle

Elmar Stephan dpa
29. Dezember 2016

Männliche Ferkel werden kurz nach der Geburt kastriert, damit das Fleisch später nicht stinkt. Die Praxis ist inhuman. Deswegen streichen einige Händler ab 2017 das Fleisch von kastrierten Schweinen aus dem Sortiment.

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Bauernhof & Landwirtschaft
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist der kleine Unterschied, der männlichen Schweinen schon kurz nach der Geburt zum Verhängnis wird. Es besteht die Möglichkeit, dass wegen eines Hormons ihr Fleisch beim Erhitzen für einige Menschen unangenehm riecht. Um auf Nummer sicher zu gehen, werden den Ferkeln schon wenige Tage nach der Geburt die Hoden abgeschnitten.

"Die Entfernung der Hoden ist die beste Methode, um den Ebergeruch zu vermeiden", sagt Tiermediziner Thomas Blaha, der bis 2015 die Außenstelle für Epidemiologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Bakum bei Vechta leitete und Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz ist. Das Problem: Die Hoden wurden bislang meist ohne vorhergehende Betäubung entfernt. Diese Praxis sei Jahrhunderte alt, sagt Blaha. Mit modernen Vorstellungen von Tierschutz ist dies allerdings nicht zu vereinbaren. Und daher verbietet der Gesetzgeber in Deutschland ab 2019, dass Ferkel ohne Betäubung kastriert werden dürfen.

Einige wollen jetzt handeln

Einige Lebensmittelhändler sind vorgeprescht. Beispiel: Aldi Nord und Aldi Süd wollen ab 2017 kein Fleisch von kastrierten Schweinen mehr verkaufen. Rewe will von Januar an unter den Eigenmarken kein Frischfleisch verkaufen, das von betäubungslos kastrierten Schweinen stammt. Landwirte und Schlachthöfe müssen also reagieren. Diskutiert werden Alternativen zur betäubungslosen Kastration seit 2008. Das Landwirtschaftsministerium in Berlin hält drei Alternativen für erlaubt: Die Betäubung vor der Kastration, die Mast unkastrierter Jungeber und die Impfung mit einem Antikörper, der die Hormonproduktion und damit Geruchsauffälligkeiten unterbinden soll, die so genannte Immunokastration.

Deutschland Agrarlandschaft Schweine auf der Wiese
So gut haben es die wenigsten SchweineBild: picture-alliance/Bildagentur-online/Theissen

All dies bedeutet Veränderungen für die Landwirte. Die Betäubung ist aufwendig und mit Mehrkosten verbunden. Bei der Jungebermast werden die männlichen Schweine von den Säuen getrennt gehalten. Eber seien aber lebhafter als Säue, erklärt Blaha. "Sie prügeln sich, es gibt Rangkämpfe mit der Auswirkung, dass insbesondere die schwächeren Tiere von den ranghöheren gnadenlos malträtiert werden." Die Landwirte müssen sich also auf die Eber einstellen, ihnen mehr Beschäftigung geben und die Tiere vor allem besser beobachten. Bei Rangkämpfen verletzte Tiere müssen aus der Gruppe herausgenommen werden. Einige Landwirte schaffen das, aber, so befürchtet Blaha, viele Bauern dürften überfordert sein. Er sieht die Gefahr, dass der Anteil verletzter Tiere bei der Ebermast steigt.

Tierschützer, Verbraucher und Händler - verworrene Interessen

Blaha und die deutsche Tierärzteschaft sehen die Immunokastration als besten Weg. Es sei das Verfahren, das das Tier am wenigsten verletze und auch den geringsten Gefahren aussetze, sagt der Wissenschaftler und verweist auf Erfahrungen etwa in Australien oder Belgien. Das Problem ist nur: Die Branche sieht die Immunokastration kritisch. Einer Studie des Qualitätssicherungssystems QS zufolge glaubt die Mehrheit der Verbraucher nicht, dass der Einsatz ohne Rückstände vonstatten geht, sie haben Qualitätsbedenken oder vermuten sogar eine Verschwörung der Fleisch- und Pharmaindustrie. Der Schlachtkonzern Vion habe Abnehmer für das Fleisch von betäubt kastrierten Schweinen und von Jungebern, aber keinen Kunden, der die Immunokastration wolle, sagt Heinz Schweer, Direktor Landwirtschaft bei dem Schlachtunternehmen. Auch der mittelständische Schlachthof Böseler Goldschmaus aus dem oldenburgischen Garrel bestätigt dies: "Wir müssen uns danach richten, was unsere Kunden haben wollen", sagt Sprecher Gerald Otto.

Aber auch die Vermarktung von nicht geimpften Ebern ist schwierig. Derzeit nehmen nur die großen Schlachtkonzerne Tönnies, Vion und Westfleisch Jungeber ab. Kleinere und mittelgroße Schlachter wollen das Fleisch nicht, weil Eber bei der Schlachtung mehr Aufwand bedeuten. Bis zu fünf Prozent der Eber können geruchsauffällig sein. Um diese herauszufiltern, müssen geschulte Mitarbeiter mit feinen Näschen an der Schlachtlinie stehen und die "Stinker" erkennen. Im Moment ist die Lage für Landwirte und Schlachter unübersichtlich, auch weil Handel und Weiterverarbeiter uneins sind, wie mit den Ebern verfahren werden soll: Aldi will nur noch Eberfleisch - einzige Ausnahme ist Bio-Fleisch. Viele Wursthersteller und Metzger hingegen wollen kein Eberfleisch. Auch für den Export ist Eberfleisch eher schlecht: In Südeuropa und Asien reagierten die Kunden sensibel auf die "Stinker", sagen Schweer und Otto. Andererseits werden in Großbritannien traditionell nur Eber gemästet. Tiermediziner Blaha kritisiert Landwirte, Schlachter und Handel. Die Branche habe eine Chance vertan, Einigkeit zu zeigen und Ängsten von Verbrauchern entgegenzuwirken: "Alle scheinbaren Schwierigkeiten haben nichts mit dem Tierschutz und nichts mit der Lebensmittelsicherheit zu tun, sondern nur damit, dass einzelne Interessengruppen Ängste schüren, damit sie nichts ändern müssen - das Tier spielt bei diesem ganzen Gezerre um Interessen keine Rolle."