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Economy now!

Oliver Samson29. Oktober 2006

Vietnam ist noch immer gezeichnet vom Krieg, in dem über drei Millionen Menschen starben. Der Sieg über die Amerikaner macht aber auch selbstbewusst - und warum soll man damit kein Geld verdienen?

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Vietnamesin im Kriegsmuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt. Früher hieß es Museum der Kriegsverbrechen.
Vietnamesin im Kriegsmuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt. Früher hieß es Museum der Kriegsverbrechen.Bild: AP
Denkmal aus abgeschossenen Flugzeugen in Hanoi. Die Amerikaner verloren über 4000 Flugzeuge über Vietnam
Denkmal aus abgeschossenen Flugzeugen in Hanoi. Die Amerikaner verloren über 4000 Flugzeuge über VietnamBild: DW/Samson

Zur Begrüßung reicht Trang den Armstummel. Er hat bei einem Luftangriff seine Hände, das rechte Bein und das linke Auge verloren. Das ist mehr als 30 Jahre her und Trang war noch ein Kind. Heute arbeitet er im Hof des Kriegsmuseums von Ho-Chi-Minh-Stadt, zwischen rostenden Bombern und Panzern, Trophäen des vietnamesischen Sieges. Wenn Trang Besucher anspricht, sagt er nie "Sir" oder "Madam", was ihn von den Motorradtaxifahrern, Souvenirverkäufern und Touristenfängern unterscheidet. Trang verkauft Bücher. In seinem Bauchladen führt er ausschließlich englische Titel über den Vietnamkrieg, alles Raubkopien. Wenn ein potenzieller Kunde in den Büchern blättert, raucht Trang eine Zigarette. Ob man vielleicht seine Beinprothese anfassen wolle, fragt er mit einem Lächeln. Amerikaner seien die besten Kunden, versichert Trang, junge wie alte. Er verlangt stolze Preise, die meisten zahlen, ohne zu handeln. Nur photographieren, photographieren lässt er sich nicht. Er will kein Ausstellungsstück sein. "Have fun in Vietnam", sagt er zum Abschied.

50 Kilo Sprengstoff pro Kopf

Die Opfer des Vietnamkriegs kann man nur schätzen. Drei Millionen Tote müssen es auf vietnamesischer Seite allein im "amerikanischen Krieg" von 1964 bis 1975 gewesen sein. Die Zahl der Invaliden dürfte leicht das Doppelte betragen. Auf amerikanischer Seite fielen 58.000 GIs. Acht Millionen Tonnen Bomben warfen die Amerikaner auf Vietnam, drei Mal so viel Sprengstoff wie im gesamten Zweiten Weltkrieg. Irgendwer hat einmal ausgerechnet, dass statistisch auf jeden Vietnamesen 50 Kilogramm Sprengstoff abgeworfen wurde. Das Land ist verseucht von den Millionen Tonnen chemischer Kampfstoffe wie dem berüchtigten Dioxin-Killer "Agent Orange" zur Entlaubung des Dschungels. Noch heute werden entsetzlich missgebildete Babys geboren - der Kampftsoff beeinflusst das Erbgut.

Noch heute werden mehr verkrüppelte Babys geboren als andersow auf der Welt: Spätfolgen des chemsischen Kampfstoffes Agent Orange
Noch heute werden mehr verkrüppelte Babys geboren als andersow auf der Welt: Spätfolgen des chemsischen Kampfstoffes Agent OrangeBild: AP

Krieg war gestern

Die Mehrheit der Vietnamesen hat all die Schrecken des Kriegs nicht mehr selbst erlebt. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt. Sie kennen den Krieg vornehmlich aus Erzählungen, aus der Schule. Noch immer bezieht die Kommunistische Partei Vietnams Legitimation für die Ein-Parteien-Herrschaft auch aus den Siegen gegen die Franzosen und Amerikaner, doch der Krieg und die alten Feindbilder wollen einfach nicht in die Zeit passen. Die Regierung in Hanoi hat es sich bisher sogar verkniffen, den Krieg im Irak zu verurteilen.

Vietnamesische Veteranen am Rande einer Parade
Vietnamesische Veteranen am Rande einer ParadeBild: AP

"Der Krieg ist doch längst vorbei. Das interessiert uns junge Leute nicht", sagt Linh in Hanoi. Die 24-jährige arbeitet an 28 Tagen im Monat, um es sich leisten zu können, abends ihren Master in Ökonomie zu machen. Sie will unbedingt einen Job in einer großen ausländischen Firma. In einer amerikanischen? "Kein Problem", sagt Linh. Economy now.

Marke Krieg

Natürlich ist der Krieg noch gegenwärtig in Vietnam: als Folie, Topos, Rückblende – und Marketing-Element. Den drei Millionen Kriegstoten stehen inzwischen mehr als drei Millionen Touristen pro Jahr gegenüber, von denen viele nicht zuletzt wegen des Krieges kommen. Und diese Kundschaft wird mit dem den Vietnamesen eigenen Pragmatismus bedient: Eine populäre Restaurant-Kette heißt "Good Morning Vietnam", Einheimische und Ausländern amüsieren sich in Ho-Chi-Minh-Stadt in der Bar "Apocalypse Now!", unlängst wurde eine Filiale in Hanoi eröffnet. Auf Märkten gibt es noch immer alle möglichen Militaria aus Beständen der US-Army zu kaufen, von der Gasmaske bis zum Fußpilzpulver. Erkennungsmarken angeblich gefallener GIs werden in solchen Massen angeboten, dass sie wohl irgendwo nachproduziert werden – erlaubt ist, was verkauft.

Touristenspaß am Ort des Kriegshorrors: "One shot, one Dollar" in Cu Chi
Touristenspaß am Ort des Kriegshorrors: "One shot, one Dollar" in Cu ChiBild: AP

Als absolute Pflichtveranstaltung für Touristen gelten die Tunnel von Cu Chi. Etwa 60 Kilometer außerhalb von Saigon lieferten sich die US-Armee und die kommunistische Guerilla über Jahre einen erbitterten Kampf. Über der Erde und am Tage herrschten die Amerikaner, darunter und in der Dunkelheit die Vietcong in einem 250 Kilometer langen, zum Teil dreistöckigen Tunnelnetz. Cu Chi erinnert heute längst mehr an einen Rummelplatz als an einen Ort, an dem vor kaum drei Jahrzehnten zehntausende Menschen getötet wurden. Die Tunnel sind ausgebaggert worden, damit auch beleibtere Touristen durchkommen. Vietnamesische Besucher gibt es hier selten. Es gibt Souvenirstände, Cafeterias – und einen Schießstand. One shot, one Dollar, wahlweise mit der AK 47 oder dem amerikanischen Pendant M 16. Ab fünf Schuss gibt es Rabatt.