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Politik

Ehe? Nein danke! Marokkanerinnen fordern Unabhängigkeit

Meriem Marghich kk
10. Mai 2018

Unverheiratete Frauen haben in der marokkanischen Gesellschaft keinen guten Ruf. Nach wie vor gilt die Ehe als wichtigstes Ziel im Leben einer Frau. Doch immer mehr Marokkanerinnen nehmen ihr Leben selbst in die Hand.

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Protestierende Frauen in Rabat
Bild: DW/A. Errimi

"Bayreh" lautet der etwas abschätzige Begriff für unverheiratete Frauen in Marokko. In anderen arabischen Gesellschaften heißen sie "Anisa". Eines ist beiden Bezeichnungen gemeinsam: Sie spiegeln die weit verbreitete Überzeugung vieler Menschen wider, dass Frauen nur dann als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt werden, wenn sie verheiratet sind.

Doch diese konservativen Vorstellungen werden in Marokko zunehmend in Frage gestellt - insbesondere in den sozialen Medien. Jüngster Auslöser war ein Beitrag im populären zweiten Programm des staatlichen Fernsehens. In der Dokumentation hieß es, über acht Millionen Marokkanerinnen seien nicht verheiratet. Das seien 60 Prozent aller Frauen im "heiratsfähigen Alter" - also von Frauen, die das 18. Lebensjahr erreicht haben.

Der Anfang Mai ausgestrahlte Beitrag basierte auf Zahlen, die ein britisches, auf Familien- und Eheforschung spezialisiertes Forschungsinstitut erhoben hatte. Das Institut präsentierte weitere Daten: So sei die Zahl der unverheirateten Frauen um rund viereinhalb Prozent gestiegen. Auch heirateten die Frauen in Marokko heutzutage deutlich später als in früheren Zeiten.

"Eine reaktionäre Logik"

Die Botschaft dieser Sendung sorgt bei marokkanischen Feministinnen für Kritik. "Die Logik, Frauen danach zu beurteilen, ob sie verheiratet sind oder nicht, ist reaktionär", sagt Khadija Ryadi, die ehemalige Präsidentin der marokkanischen Gesellschaft für Frauenrechte, im Gespräch mit der DW.

Marokko Religiöse Minderheiten Khadija Ryadi
"Frauen entscheiden selbstständig": Frauenrechtlerin Khadija RyadiBild: Getty Images/AFP/F. Senna

Ob eine Frau heiraten wolle oder nicht, sei ganz allein ihre eigene Angelegenheit. Anstatt die bloße Zahl unverheirateter Frauen zu präsentieren, hätte der Beitrag eher danach fragen sollen, warum Frauen und Männer sich erst in höherem Alter für die Ehe entscheiden, so Riyadi.

Auch andere Frauen sind über den Beitrag empört. "Warum hat man nicht auch die Zahl der unverheirateten Männer ermittelt?", fragt die Bloggerin und Autorin Asma Belrabi im Gespräch mit der DW. Sie steht für viele marokkanische Frauen, die sich über den "einseitigen Charakter" der Statistik geärgert haben.

"Auch Frauen sind menschliche Wesen"

Kaum war die Sendung zu Ende, wurde sie in den sozialen Netzwerken des Landes heftig diskutiert. Rasch machten einige Hashtags die Runde. "Masmitish Anas", hieß einer von ihnen - "Ich heiße nicht Anas ("Unverheiratete Frau")". Ein anderer lautet: "Auch Frauen sind menschliche Wesen."

Rasch meldeten sich in der Diskussion auch konservative Stimmen zu Wort. Sie tadelten die Frauen etwa dafür, dass sie vermehrt auf Marokkos Arbeitsmarkt drängten. Auf diese Weise zögerten sie nur ihre Heirat hinaus, hieß es mahnend.

Es überwogen aber die Stimmen jener, die für die Befreiung der Frauen von der Vormundschaft der Männer plädieren. Deutlich zeigte sich der emanzipatorische Anspruch vieler Marokkanerinnen. So sagen sie dem ideologischen Bild des "Traumprinzen" Adieu, von dem sie, sollten sie ihn heiraten, ihr Leben lang abhängig wären.

Protestierende Frauen in Rabat
Frauen demonstrieren in Marokkos Hauptstadt Rabat für mehr Rechte Bild: DW/A. Errimi

Viele Marokkanerinnen sehen es inzwischen als Ausdruck persönlicher Stärke an, wenn sie sich gegen die Ehe entscheiden oder sie später schließen als frühere Generationen. Stattdessen ziehen sie es vor, ledig zu bleiben und sich die typischen Probleme und Verantwortlichkeiten, die eine konservative Gesellschaft ihnen auferlegt, vom Hals zu halten.

"Auch die Frau darf Bedingungen stellen"

"Wie der Mann bei der Suche nach einer Ehepartnerin gewisse Vorstellungen hat, kann natürlich auch die Frau diese haben und entsprechende Bedingungen an ihren Lebenspartner stellen", sagt Asma Belrabi. Außerdem, sagt sie, bemesse sich der Grad der Anerkennung einer marokkanischen Frau nicht allein daran, ob sie heirate oder nicht.

Einige der in den sozialen Netzwerken diskutierenden Marokkanerinnen sind darum mit der Sendung aus ganz grundlegenden Gründen nicht einverstanden. Andere erklären, warum sie nicht heiraten. Etwa weil sich die Summe des Brautgeldes erhöht hat. Oder weil sie es vorziehen, alleine für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Wieder andere Frauen, sagt Khadija Riyadi, schreckten vor der Verantwortung zurück, die mit einer Ehe einhergehe - etwa ein eigenes Haus zu suchen oder Kinder zu erziehen. All diese Umstände tragen dazu bei, dass immer mehr junge Menschen es vorziehen, nicht zu heiraten. Innerhalb der arabischen Welt gehört Marokko - zusammen mit dem Libanon, Syrien, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten - zu den Ländern, in denen der Anteil unverheirateter Menschen am höchsten ist. Am anderen Ende der Skala stehen die palästinensischen Autonomiegebiete. Dort haben die meisten heiratsfähigen Menschen eine Ehe geschlossen.

Aquarium (Theatergruppe aus Marokko)
Für Selbstbestimmung: Szene aus einem Theaterstück der marokkanischen Gruppe AquariumBild: DW/A. Errimi

Weiteres Engagement nötig

"Wenn der marokkanische Staat sich den Schutz der Frauenrechte zu eigen macht, sich für den Schutz ihrer Würde einsetzt und die Gesellschaft modernisiert - so behauptet er es ja von sich, und mit diesem Anspruch präsentiert er sich in der Öffentlichkeit -, dann muss er diesen Zielen auch ernsthaft verpflichtet sein", sagt Khadija Ryadi. Im Vordergrund müssten die Rechte der Frauen und ihre Anerkennung als Menschen gehen. Auch sollten Frauen nicht nach Maßgaben ihres sozialen Status beurteilt werden, so die Frauenrechtlerin.

Die Situation heiratsfähiger Singles, sagt Riyadi, sei ein wichtiges gesellschaftliches Thema. "Der Staat muss darum dem schlechten Ruf der unverheirateten Frauen entgegentreten, indem er auf die säkularen und religiösen Institutionen einwirkt. Allein so lässt sich die Achtung gegenüber Frauen und ihren Rechten langfristig durchsetzen."