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"Ehemalige jugoslawische Teilrepubliken brauchen klare EU-Perspektive"

24. April 2008

Die Deutsche Welle sprach mit Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, über die wirtschaftlichen Perspektiven des Westbalkans und die Grundvoraussetzungen für eine EU-Aufnahme.

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Norbert Walter zufolge hat der Balkan der EU etwas zu bietenBild: DW/F. Craesmeyer

Deutsche Welle: Fast zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien haben die früheren Teilrepubliken ganz unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen genommen. Musterland Slowenien ist schon längst Vollmitglied in der Europäischen Union, andere Länder, wie zum Beispiel Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, stagnieren eher im wirtschaftlichen Bereich. Sollte sich Ihrer Meinung nach die Europäische Union dennoch auf das Abenteuer einlassen, die Staaten des westlichen Balkan in naher Zukunft als Vollmitglied aufzunehmen in der EU?

Norbert Walter: Ich bin sicher, dass die schrittweise Aufnahme, die jetzt eher angedacht ist, fast wie eine Verweigerungshaltung in bestimmten Teilen des früheren Jugoslawiens empfunden wird. Die sollte man schnell überwinden. Das heißt natürlich auch, dass die Europäische Union richtig hart arbeiten muss, dass sie viele Hausaufgaben selber machen muss, dass es aber auch zum Teil Zumutungen für die ehemaligen Teilrepubliken geben wird. Aber ich glaube, es ist ganz, ganz wichtig, eine Perspektive zu haben. Der Raum wird nur dann politisch stabil und nur dann ökonomisch zügig vorankommen, wenn die natürliche Integration dieses Raumes und die Einbindung in die anderen Teile Europas zügiger voran schreitet, als das in den letzten Jahren zumindest für Teile der Fall war.

Welche Vorteile hat die Europäische Union von dieser Aufgabe? Was haben diese Länder der EU zu bieten?

Diese Länder haben der EU zu bieten, dass sie Transitländer mitten in Europa sind. Das ist das eine. Das andere ist, es handelt sich dort um Menschen, wie beispielsweise die Serben, die zum Teil sehr unternehmerisch sind, die zum Teil schon immer strategische Vorstellungen entwickelt haben. Wir sollten die verschiedenen Fähigkeiten dieser Teile Europas ernsthaft wahrnehmen und integrieren. Aber wir sollten auch wahrnehmen, dass sich diese Länder natürlich viel zügiger und rascher entwickeln würden, wenn die Investoren der Welt die Rückversicherung hätten, dass dieser Teil Europas sich demnächst nach EU-Regeln sich entwickeln wird.

Zu dieser Rückversicherung gehört natürlich auch immer die Frage: Inwieweit besteht Rechtssicherheit in diesen Ländern für ausländische Investoren? Damit sind wir bei dem Stichwort 'Hausaufgaben'. Was sind aus Ihrer Sicht die Hindernisse für die wirtschaftliche Annäherung an die europäischen Standards?

Ich glaube, dass es am Ende eher nicht die wirtschaftlichen Standards sind. Am Ende ist es die Skepsis, dass dieses politische Minenfeld immer wieder erneut aufbricht und die Spannungen dann innerhalb Europas liegen werden. Ich glaube aber, es gibt keine Alternative, als den gordischen Knoten durchzuschlagen. Ich glaube auch, dass es niemand besser und entschlossener tun kann als eine funktionierende, engagierte Europäische Union. Wir sollten diesen Ländern nicht nur etwas anbieten, sondern von ihnen auch erwarten, dass sie dabei mithelfen, die noch vorhandenen Schwierigkeiten zu überwinden. Also die Toleranz zwischen den ethnischen Gruppen, zwischen den religiösen Gruppen muss eine Conditio sine qua non sein. Ganz offenkundig muss man auch dazu beitragen, dass die wirtschaftlichen Unterschiede, die in bestimmten Teilen wie Kosovo oder Albanien noch immer existieren, durch Öffnung der Grenzen überwunden werden, dass man von außen und innerhalb dieser Regionen über die jetzigen Grenzen hinweg investieren kann.

Grenzübergreifend in einem ganz anderen Sinne engagiert sich Russland seit einigen Jahren sehr intensiv in den Ländern des westlichen Balkan. Erwirbt sich Russland jetzt einen strategischen Vorteil gegenüber der EU? Verschläft die Europäische Union hier eine echte Präsenz? Oder ist Russland gar nicht als Konkurrent im eigentlichen Sinn zu sehen?

Zuerst einmal gibt es historische Bezüge. Diese historischen Bezüge sind bei bestimmten Gruppen in Serbien ganz offenkundig und ausgeprägt. Das sollte man anerkennen. Es ist für alle in Westeuropa ohnehin klar, dass wir, was Rohstoffe und Energie anbelangt, von Russland eine nennenswerte Abhängigkeit haben und behalten werden. Worauf es ankäme ist, dass Europa mit möglichst gemeinsamer Stimme spricht. Es geht nicht darum, Serbien nunmehr an die Europäische Union zu binden, um es in Frontstellung gegenüber Russland zu bringen. Wir alle brauchen Russland. Wir sollten Russland gegenüber als Partner auftreten. Wir sollten aber begreifen, dass es sehr viel mehr Sinn macht, Pipelines nach Westeuropa zu legen, als Pipelines nach Serbien zu legen.

Nun haben wir ja Erfahrungen gesammelt mit den jüngsten Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien, die durchaus unterschiedlich sind. Wie betrachten Sie die Entwicklung dieser beiden Länder? Haben sie Vorbildfunktion gegenüber dem westlichen Balkan, oder gibt es da auch Dinge, die falsch gemacht worden sind von Seiten der EU?

Bulgarien und Rumänien sind zum Teil, was die Infrastruktur anbelangt, nicht vergleichbar mit Slowenien oder Kroatien. Es ist offenkundig, dass das Ausbildungsniveau unterschiedlich ist. Insofern sind Bulgarien und Rumänien nicht in jeder Hinsicht Vorbilder und in mancher Hinsicht sogar eher ein Fall, den man nicht nachahmen sollte. Ich glaube, die Europäische Union tut gut daran, sehr entschlossen zu sagen: ‚Korruption geht nicht, wir sind eine Region ohne Korruption’. Wir sollten darauf achten, dass dieser Teil des Acquis communautaire sehr deutlich kommuniziert wird und nicht noch einmal so schlampig gehandhabt wird, wie das zum Teil mit Rumänien und Bulgarien der Fall war. Es tut übrigens auch Bulgarien und Rumänien gut, wenn an dieser Stelle eine andere Sichtweise und eine andere Handlungsweise der Europäischen Union um sich greift.

Das Interview führte Verica Spasovska