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Lösegeldzahlung

Nina Haase15. Juni 2013

Die Staaten der G8 sollen künftig kein Lösegeld mehr zahlen, um Kidnappern den Anreiz zu nehmen, Ausländer zu verschleppen. Konfliktforscher Hans-Georg Ehrhart glaubt nicht, dass die Initiative etwas ändert.

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Hans-Georg Ehrhart (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Großbritanniens Premierminister David Cameron fordert, dass kein Lösegeld mehr an Entführer gezahlt werden soll. Er schlägt vor, dass die G8-Staaten sich zu einer gemeinsamen Erklärung entschließen sollen. Wie muss man das einschätzen? Wird er damit Erfolg haben?

Hans-Georg Ehrhart: Er könnte damit Erfolg haben, weil auch andere G8-Staaten diese Strategie schon seit längerer Zeit verfolgen – wie die USA. Frankreich hat vor wenigen Wochen einen entsprechenden Entschluss gefasst, keine Lösegeldzahlungen mehr zu tätigen – vor dem Hintergrund der Erfahrung der Geiselnahme in Mali. Vielleicht spielen innenpolitische Gründe für Cameron eine Rolle. In der Realität ist es ja so, dass selbst Staaten wie die USA – die ja offiziell keine Lösegeldzahlungen leisten – natürlich nicht verhindern können, dass andere das Lösegeld bezahlen, also nicht-staatliche Akteure. Man fragt sich also: Was soll diese ganze Initiative? Ich könnte mir schon vorstellen, dass er eine Prinzipienerklärung zustande bringt. Das wird er dann zu Hause als Erfolg verkaufen. Aber groß etwas ändern wird die Initiative nicht.

Wie ist die Rechtslage in Europa? Hat die EU eine Regelung? Oder macht jeder Staat, was er für richtig hält?

Das macht jeder Staat wie er es für richtig hält - mit sehr widerstreitenden Begründungen und Interessen. Es gibt die humanitäre Verpflichtung zum einen, etwas für den oder die entführten Menschen zu tun. Daneben steht die staatliche Verpflichtung, für die Sicherheit der eigenen Staatsbürger zu sorgen, was in manchen Fällen dann dafür spricht, eben doch Lösegeld zu zahlen. Es gibt auch das Sicherheitsinteresse, das darin besteht, das Entführungsgeschäft nicht dadurch zu befördern, dass man immer wieder Lösegeld zu bezahlen hat. In Deutschland ist es in der Regel so, dass darüber nicht gesprochen wird, dass aber unter der Hand doch Lösegeld gezahlt wird. In Frankreich war das früher auch so, mittlerweile unter dem Präsidenten Francois Hollande soll das nicht mehr gemacht werden. Jetzt hat Großbritannien die gleiche Richtlinie ausgegeben durch Premier Cameron. Man muss abwarten, wie die anderen Staaten reagieren. Im Grunde ist es ein Codex. Wenn man sich drauf einigen würde, würde dadurch nichts gelöst werden. Denn wenn sich alle daran halten, schlösse das ja nicht aus, dass andere, also nichtstaatliche Akteure, diese Aufgabe übernehmen.

Würde aber ein umfassenderer Ansatz funktionieren, bei dem nicht nur Forderungen an Staaten, sondern auch an Unternehmen eingeschlossen sind?

Dann müsste man sozusagen den Unternehmen verbieten, für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter einzutreten, u.a. durch Zahlung von Lösegeld. Das wird, glaube ich, auf den Widerstand von Unternehmen stoßen. Wenn dem nicht so sein sollte, werden die Unternehmen Probleme haben, in Krisenregionen aktiv zu werden.

Ist das ein Druckmittel, das die Unternehmen in der Hand haben, um auf die Politiker einzuwirken, dass sie sagen, dann fahren wir eben nicht in die Gewässer von Somalia, zum Beispiel?

Dort ist es ja meistens nicht mehr so problematisch, denn die meisten haben ja Sicherheitspersonal mit an Bord - zumindest die, die sich das leisten können. Problematischer ist es an Land, zum Beispiel in Nigeria, wo ein großer deutscher Bauunternehmer seine Mitarbeiter verpflichtet, das Compound nicht zu verlassen oder nur in Gruppen unter Bewachung von stark bewaffneten Sicherheitskräften zu verlassen – und auch nur bei Ankündigung. Die versuchen sich schon selbst zu schützen. Ich denke, die Variante, nicht mehr in das Gebiet zu gehen und kein Geschäft dort mehr zu machen, ist für Privatunternehmen, die ja existieren, um Geschäfte zu machen, nicht sehr verlockend. Die werden also, fürchte ich, die Dinge so handhaben wie bisher: Die regeln das also privat.

Pirat in Somalia (Foto: Farah Abdi Warsameh)
Teil einer Industrie: Pirat in SomaliaBild: AP Photo/Farah Abdi Warsameh

Zahlen britischer Sicherheitsbehörden sagen: seit 2008 sind 150 Ausländer verschiedener Herkunft in verschiedenen Staaten von islamistischen Terrorgruppen gekidnappt worden – 50 davon alleine im letzten Jahr, doppelt so viele wie 2011. Wie kommt das?

Das kommt meines Erachtens daher, dass es eine sich immer weiter auflösende Trennlinie zwischen dem Bereich organisierte Kriminalität und dem Bereich politisch motivierte Entführungen gibt. Das ist gar nicht mehr so einfach zuzuordnen, weil die verschiedensten Gruppen miteinander kooperieren, wenn es um das Entführungsgeschäft geht. Das ist insbesondere der Fall in der Sahel-Zone, wo viele unterschiedliche Netzwerke tätig sind. Die einen sind eher hinter dem Geld her, die anderen sind eher von der Ideologie getrieben. Das kann sich gegenseitig befruchten: Die einen brauchen Geld, um aufzurüsten, die anderen wollen noch reicher werden.

In den Gewässern von Somalia ist die Zahl der Entführungen zurückgegangen – auch durch die konzertierte Aktion der Europäer, die mit der Atalanta-Mission gegen Piratie vorgehen. Kann man daraus nicht schließen, dass es einen einen umfassenderen Ansatz braucht als nur zu sagen: Wir zahlen kein Lösegeld mehr?

Sobald es in Ostafrika runterging, ging es ja im Golf von Bengalen im Indischen Ozean rauf. Da sind also auch Nachahmerprozesse im Gange. Aber natürlich - im Prinzip bräuchte man einen noch breiteren Ansatz: Warum machen die Leute das? Was steckt dahinter? Dann werden immer die berühmten "root causes", die Ursachen also, zitiert. Das sind ja langwierige politische und gesellschaftliche Prozesse, die nötig sind. Es wird in der Praxis gar nicht angewendet, dass man die soziopolitischen Ursachen dieser Prozesse wirklich langfristig angeht. Das ist ja meistens nur eine kurzfristige Aktion, die ein paar Jahre läuft, und dann geht man zum nächsten Konfliktfall über, bis dann wieder was ähnliches passiert. Langfristige Entwicklungspolitik ist das, was in der Herangehensweise der Staaten fehlt.

Hans-Georg Ehrhart ist Konfliktforscher am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolik an der Universität Hamburg.

Das Gespräch führte Nina Haase