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Anatolischer Schwabe

Nina Werkhäuser15. November 2008

Die Grünen wählen eine neue Führung: Die bisherige Vorsitzende Claudia Roth kandidiert erneut. Um den zweiten Part der Doppelspitze bewirbt sich Cem Özdemir, ein Deutscher mit türkischem Hintergrund.

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Hat noch zu lachen: Cem ÖzdemirBild: picture-alliance/ dpa

Die Grünen sind bekannt dafür, dass sie zuweilen sehr ruppig mit ihrem Spitzenpersonal umgehen. Das musste Cem Özdemir am eigenen Leib erfahren, als er vor wenigen Wochen von seinem Landesverband Baden-Württemberg eine Abfuhr bekam. Der designierte Parteivorsitzende bewarb sich dort um einen sicheren Listenplatz für einen Sitz im Bundestag bei der Wahl 2009 – und scheiterte. Ein schmerzlicher Dämpfer für den 42-jährigen Kandidaten, aber keine Schwächung, sagt Noch-Parteichef Reinhard Bütikofer. "Er wäre geschwächt, wenn er sich von so etwas aus der Bahn werfen ließe. Dadurch, dass er das nicht tut, zeigt er, aus welchem Holz er geschnitzt ist, und das ist Holz, das für die Führung geeignet ist."

Die ruppige Partei

Oktoberfest München 2008 Claudia Roth
Die Partnerin: Claudia Roth auf dem Oktoberfest 2008Bild: picture-alliance/dpa

Cem Özdemir war irritiert, zog seine Kandidatur für den Parteivorsitz aber nicht zurück. Schließlich ist er seit über 25 Jahren Mitglied der Grünen und kennt die Ecken und Kanten der Partei genau. Zu den Charakteristika der Grünen gehört, dass ihnen die Trennung von Amt und Mandat wichtig ist. Parteiämter, etwa der Parteivorsitz, und Mandate in Landtagen oder im Bundestag sollen nur in Ausnahmefällen in einer Hand sein, damit niemand zu viele Ämter und zu viel Macht kumuliert. Trotzdem könnte die Parteibasis dem Führungspersonal zuweilen etwas mehr Anerkennung schenken, findet Özdemir. "Was man predigt muss man auch praktizieren. Dazu gehören auch die Umgangsformen, auch mit dem eigenen Spitzenpersonal. Ich will nicht, dass man die in Watte packt - aber, dass man die nötigen Umgangsformen hat."

Beinahe hätten sich die Grünen also selbst um den einzigen Kandidaten gebracht, der sich um die Nachfolge von Reinhard Bütikofer bewirbt. Alle anderen möglichen Kandidaten hatten längst abgewunken – ein Hinweis darauf, wie wenig attraktiv der Posten in der mit Geld und Personal nicht gerade üppig ausgestatteten Berliner Parteizentrale der Grünen ist.

Cem Özdemir und Reinhard Bütikofer 2003
Cem Özdemir (l) und Reinhard Bütikofer (2003)Bild: AP

Nun aber steht der Wahl Özdemirs nichts mehr im Wege, der dann der erste türkischstämmige Politiker und Muslim an der Spitze einer deutschen Partei wäre. Özdemirs Eltern sind in den 1960er Jahren aus der Türkei ins schwäbische Bad Urach gezogen; er selbst bezeichnet sich gerne als "anatolischen Schwaben". 1994 zog der gelernte Erzieher und Sozialpädagoge als erster deutscher Abgeordneter türkischer Herkunft in den Bundestag ein. Dort engagierte sich Özdemir vor allem auf den Gebieten Migration und Integration und erwarb sich Ansehen weit über die Parteigrenzen hinweg. 2002 trat er zurück, unter anderem, weil er dienstlich erworbene Gutschriften auf privaten Flügen genutzt hatte. Heute sitzt er für die Grünen im Europaparlament.

Das Eis der Kanzlerin schmilzt

Die erste große Herausforderung für den neuen Vorsitzenden wird der Bundestagswahlkampf 2009 werden. Keine leichte Aufgabe für die kleinste Oppositionspartei: Sie will mit Themen punkten, die schon lange nicht mehr "originär grün" sind, etwa mit der Ablehnung der Atomkraft oder dem Klimaschutz. "Die Kanzlerin profiliert sich in Deutschland als Klimakanzlerin. Wenn man es von Brüssel aus betrachtet, bleibt da nicht so schrecklich viel übrig. Da schmilzt das Image der Kanzlerin schneller noch als das Eis in Grönland."

Cem Özdemir, der innerhalb der Grünen den sogenannten "Realos" angehört (dem Flügel, der sich mehr an der Realpolitik als an der Partei-Ideologie orientiert), wird damit leben müssen, dass er wie sein Vorgänger Reinhard Bütikofer ein Vorsitzender ohne Parlamentssitz sein wird, was seinen Einfluss begrenzt. Den Vorsitz wird er mit der beliebten Partei-Linken Claudia Roth teilen, und auch im Bundestagswahlkampf wird er nicht Spitzenkandidat sein, denn dafür sind Renate Künast und Jürgen Trittin vorgesehen. Wie viel Rückhalt Özdemir in der Partei hat, wird sich am Samstag (15.11.2008) in Erfurt zeigen, wenn auf dem Parteitag sein Wahlergebnis bekannt gegeben wird.