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Ein Appell an die Freundschaft

Kay-Alexander Scholz18. Januar 2002

"Dogma 95" heißt der erfolgreiche Exportartikel dänischer Filmemacher. "Italienisch für Anfänger" zeigt erneut, warum das so ist.

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Szenenfoto mit Olympia, Andreas und KarenBild: AP

Der erste Teil von "Italienisch für Anfänger" ist heftig. Handlungsort ist eine triste Vorstadt Kopenhagens mit ständig wolkenverhangenem Himmel. Protagonisten sind drei Männer und drei Frauen in den Mitdreißigern, die vom Schicksal nicht gerade verwöhnt sind.

Da ist die Friseurin Karen, die in einem megakleinen Friseurgeschäft arbeitet, mit spießigen Gardinen an der Eingangstür und dunkelbraunen Brettern von vor 20 Jahren an den Wänden. Ihr Los ist ihre Mutter, die immer wieder, völlig heruntergekommen und vom Alkohol gekennzeichnet, weinend im Laden auftaucht, um sich Geld zu borgen oder ins Krankenhaus einliefern zu lassen.

Der Verkäuferin Olympia geht es nicht besser. Tagsüber macht sie den Verkauf in einer Bäckerei, abends betreut sie ihren kranken Vater, der vor der Glotze sitzt, sie ständig beschimpft und von der Rabenmutter spricht, die sie als Windelkind verlassen hat. Olympia und Karen sind sozial isoliert. Beide haben keine Kollegen, und ihre kranken Elternteile lassen kein Privatleben zu.

Der Hotel-Portier Jørgen ist ein liebenswerter "Trottel", dem man einen schlechteren Job als Gewinn verkaufen kann und der seit vier Jahren keinen Sex mehr hatte, weil er sich für impotent hält. Dem Ex-Fußballer Hal-Finn blieb von seiner Sportler-Karriere nur noch der Job des Chefs einer Sportler-Klause. Das ödet ihn an, deshalb beschimpft er seine Gäste gern nach Strich und Faden, was schließlich zu seinem Rausschmiss führt.

Alle sind Single, auch Giulia, eine junge Italienerin, die bei Hal-Finn gearbeitet hat und der Pastor und schon Witwer Andreas, der einen vom Dienst suspendierten aber dennoch ständig dazwischenfunkenden Pfarrer vertritt.

Typisch für einen Dogma-Film zeigt die Kamera das Leben ungeschminkt, mit vielen Naheinstellungen, ohne zusätzliches Licht und durch die wackelnde Handkamera und dem Prinzip Lieber-einen-Schwenk-als-einen-Schnitt dem "natürlichen" Sehen sehr nahe. Diese Machart erzeugt bei "Italienisch für Anfänger" das Gefühl von Eingesperrtsein und Tristesse.

Der erste Dogma-Film "Das Fest" (Regie: Thomas Vinterberg) zeigte das Herausschreien der Wahrheit - dass der Vater seine Kinder missbraucht hat. In "Idioten" (Regie: Lars von Trier) wurde kleinbürgerlicher Beschränktheit durch die Konfrontation mit "abnormalen" Nachbarn der Kampf angesagt. In "Italienisch für Anfänger" geht es um das Befreien von eigenen Ängsten und/oder sozialen Misslagen. Der Film von Lone Scherfig ist - typisch Dogma-Film - mit einer gehörigen Portion Mission verbunden. Er ist btw. der 12. von inzwischen 25 Dogma-Filmen.

"Italienisch für Anfänger" endet voller Optimismus. Die Kraft dazu finden die Sechs in der Gruppe, nämlich in einem Volkshochschulkurs für Italienisch. Hier sind die nicht mehr ganz jungen Leute unter sich - und wie sollte es anders sein, sie verlieben sich ineinander und schließen Freundschaften. Gemeinsam sind wir stark, könnte der Untertitel des Films heißen.

Die alkoholkranke Mutter stirbt, der nörgelnde Vater auch. Andreas geigt dem Altpfaffen ordentlich seine Meinung und gewinnt das Herz der Gemeinde. Jørgen verliebt sich in Giulia – und sie auch in ihn. Hal-Finn entdeckt Karen und Olympia Andreas ... Und so verstricken sich die Lebenswege der Hobby-Italiener immer mehr ineinander.

Am Ende fahren sie gemeinsam nach Venedig, wo es zum Glück regnet - Ein strahleblauer Himmel wäre ein wenig zu viel Happyend gewesen.

Die besten Stellen im Film sind die zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, das realistische Ausspielen von Konflikten, das Freilegen der Vielschichtigkeit von Gefühlen. Die Protagonisten sind keine Oberschicht-Beauties oder Szene-Typen, die ihr durchgeknalltes Leben genießen. Nein, sie sind normal und zwar so normal, dass man am liebsten gar nicht hinschauen möchte ... was man natürlich trotzdem gerne tut.