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Ein Bayer in Bombay

Anne Herrberg22. Januar 2004

Dass Indiens Filmproduktion die größte der Welt ist, hat sich herumgesprochen. Aber dass ein Deutscher zu den Gründervätern des boomenden Bollywood gehört, ist kaum bekannt.

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Bollywood - heute schrill, bunt und poppig

Im Jahr 1924 kommt der indische Cineast Himansu Rai nach Deutschland. Er will den damals noch in den Kinderschuhen stehenden indischen Film vorantreiben - mit Hilfe des technischen und künstlerischen Know-hows aus dem westlichen Ausland. Sein Projekt: die großen Weltreligionen verfilmen, angefangen mit dem Christentum. Das sieht er in den Oberammergauer Passionsfestspiele in Bayern repräsentativ dargestellt - Himansu Rai sucht nach Kooperationspartnern bei den Emelka-Studios der Gebrüder Ostermayer in München.

goldener Buddha
Buddha-StatueBild: dpa

Als studierter Anwalt hat Himansu Rai Übung in Überzeugungsarbeit - schließlich einigt man sich, nicht auf das christliche Passionsspiel, dafür auf einen Film über die Urlegende von Gautama Buddha.

Exotik ist chic

Für Emelka zwar ein finanzielles Wagnis: doch um die Produktionskosten will sich Rai kümmern. Außerdem hatte Joe Mays Erfolgsfilm "Das indische Grabmal" von 1921 gezeigt: exotische Schauplätze und Themen sind gefragt. Im Nachkriegs-Deutschland dürstet es die Menschen nach geheimnisvollen und fremden Welten à la 1001 Nacht. In Kunst, Musik, Theater - selbst auf Kulturveranstaltungen wie Maskenbällen - Exotik ist "en vogue".

Nun bietet sich die Chance, einen Film an Originalschauplätzen und mit 'echten Indern' drehen zu können, "cinema verité" ohne billige Kulissen und braun angemalte Schauspieler - den UFA-Konkurrenten Emelka treibt vor allem das geschäftliche Interesse.

Elefanten, Edelsteine und Elendsviertel

Der Regisseur Franz Osten, mittlerer der drei Ostermayer-Brüder, begibt sich samt Kamerateam auf "Abenteuerexpedition" nach Indien. Osten, ehemaliger Frontberichterstatter, gilt als einer, der Risiken nicht scheut, der weiß, wie man sich durchsetzt. Regelmäßig liefert er Berichte über die Film-Front an die heimische Presse.

Elefanten Festival in Indien
Prozession mit ElefantenBild: AP

Indien ist nicht Deutschland: Zusammen mit 30 Elefanten (bereitgestellt vom kooperationsfreudigen Maharadscha von Jaipur) - geschmückt in Gold und Edelsteinen im Wert von rund 450.000 Goldmark (etwa 100.000 US Dollar) filmt man sich fünf Monate lang durch die wichtigsten Stätten und Paläste von Indien. Es ist heiß, Filmmaterial und Crew drohen unter der Sonne von Rajasthan zu schmilzen. Die fast tausend Statisten werden mit Hilfe der Polizei auf Set geknüppelt, weil sie lieber im Schatten lümmeln als in den monumentalen Kostümen zu schwitzen.

Versprochen, morgen sterbe ich!

Einmal bittet Franz Osten seinen Hilfsregisseur, ihm für eine Szene einen kranken Mann zu besorgen, der in dem Film einen Sterbenden spielen soll. Der bringt ihn zu einem alten Mann im "schlecht duftenden" Elendsviertel von Bombay und sagt, dass er mit ihm gesprochen hätte, der Mann würde am nächsten Tag sterben. Und der Alte nickt, mit "leuchtenden schwarzen Augen" versichert auch er, unbedingt in Kürze zu sterben.

Zwei Kulturen crashen da aufeinander: aber der "poltrige Erzbayer" Osten (so Dokumentarfilmer und Osten-Kenner Gerald Koll), hat Erfahrung mit Großproduktionen. Seinem organisatorischen Talent ist es zu verdanken, dass "Die Leuchte Asiens" , zumindest in Deutschland, ein großer Erfolg wird - sogar der britische König schaut sich den Film an.

Nachhilfe von Marlene Dietrich

Logo der UFA
Universal Filmstudios Berlin

Die Zusammenarbeit wird fortgeführt, es folgen weitere Filme mit Himansu Rai und dessen Frau, der Schauspielerin Devika Rani. Bei einem gemeinsamen Aufenhalt in Berlin bekommt diese sogar Schauspiel-Nachhilfe von deutschen Film-Ikonen wie Fritz Lang, Marlene Dietrich und G.W. Pabst. Devika Rani wird die Filmdiva im Indien der 1930er Jahre.

Als Himasu Rai 1934 seinen großen Traum verwirklicht und eine eigene Produktionsfirma, die 'Bombay Talkies" gründet, ist auch Osten wieder dabei. Deutsche Kameramänner und Techniker schulen ihre indischen Kollegen, vermitteln ihnen technisches und ästhetisches Know-how - "eine Art Großfamilie war das", sagt Koll.

Wiege der indischen Filmindustrie

In vier Jahren entstehen 16 Filme unter der Regie von Osten. "Er war der Hauptansprechpartner, hatte die Funktion eines Lehrmeisters, fast eines Gurus", sagt Gerald Koll, "vor allem lernten die Inder von ihm, Handlungsabläufe flüssiger zu gestalten". Osten, der in Deutschland immer nur in der Zweiten Regisseurs-Liga spielte, weil er eher Heimat- statt Kunstfilme drehte, konnte sich in Indien ausleben. Zusammen mit Rai, der durch sein Studium in Europa auch den Reformbestrebungen indischer Intellektueller wie Ghandi oder Tagore zugetan war, wurde der Unterhaltungsfilm auch für sozialkritische Inhalte wie Korruption, Kastentabus oder Zwangsheirat genutzt.

Mother India Plakat
Filmplakat des indischen Nationalepos "Mother India"

Viele indische Film-Berühmtheiten, wie der Schauspieler und Regisseur Raj Kapoor oder Dilip Kumar haben bei den "Bombay Talkies" angefangen, die schließlich zu einem der bedeutendsten Produktionsstudios wurden. Sicher nicht ohne die Starthilfe des "poltrigen" Franz Osten, wie man in der indischen Filmliteratur nachlesen kann.

Krieg contra kulturelles Schaffen

Im August 1939, mitten während der Dreharbeiten zum Film "Kangan", werden Franz Osten und sein Kameramann Josef Wirsching von den britischen Kolonialherren verhaftet und des Landes verwiesen. Die Nazis hatten inzwischen London bombardiert, "Kangan" musste ohne die beiden Deutschen zu Ende gedreht werden.

Franz Osten, inzwischen 64 Jahre alt, kehrt nach München zurück. Emelka ist mittlerweile zu den Bavaria Studios geworden. 1956 stirbt Franz Osten. In Deutschland ist sein Name kaum bekannt, in Indien jedoch hat er seine Spuren als einer der Gründerväter des heutigen Bollywoods hinterlassen.