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Ein Brasilianer in Berlin

Astrid Prange7. November 2014

Seine Vorliebe für Gemälde aus dem Untergrund machte ihn zu einem der größten Sammler ostdeutscher Kunst. Wie der brasilianische Diplomat Francisco Chagas Freitas in Ostberlin den Mauerfall erlebte.

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Kunst - A Arte que Permanece (Bild: Henrique Luiz)
Bild: Henrique Luiz (Ausschnitt)

Leipziger Straße 65, Berlin-Mitte, 1985: Im Apartment des brasilianischen Kulturattachés Francisco Chagas Freitas stapeln sich großflächige Gemälde ostdeutscher Künstler. Der brasilianische Diplomat besorgt für sie Acrylfarben aus dem Westen und kauft ihre Werke. Ausgerechnet in der geräumigen Vorzeigewohnung des Plattenbaus entsteht so eine Welt jenseits des sozialistischen Realismus.

Die wertvollen Gemälde der ostdeutschen Künstler befinden sich mittlerweile in Brasilien. Sie gehören zu der Sammlung des brasilianischen Diplomaten Chagas Freitas, der von 1984 bis 1991 in der Kulturabteilung der brasilianischen Botschaft in Ostberlin arbeitete. Die Kollektion umfasst über 1000 Werke und gehört damit zu den größten Arsenalen von Kunst aus der ehemaligen DDR weltweit.

Psychologische Kriegsführung

Die Verstrickung von Kunst und Politik bestimmte den Blick des Brasilianers auf die letzten Tage der DDR. Kurz vor dem Zusammenbruch gerieten nicht nur seine Künstlerfreunde aus Dresden und Leipzig, sondern auch er selbst ins Visier der Staatssicherheit. "Die Stasi bedrohte mich am Telefon und drang nachts in mein Apartment ein, wenn ich nicht zuhause war. Sie stellten alle Bilder auf den Kopf, nur um zu zeigen, dass sie da waren."

Ein Brasilianer in Berlin: Francisco Chagas Freitas fühlte sich magisch angezogen von der Schaffenskraft der Untergrundkünstler. Sein erstes Bild, ein Ölgemälde von Max Uhlig aus dem Jahr 1979, das Eindrücke einer Landschaft in Mecklenburg Vorpommern zeigt, erwarb er 1984 in der Galerie Rotunde im Alten Museum in Ostberlin. Danach ließen ihn "seine" Künstler nicht mehr los.

Kunst - A Arte que Permanece (Bild: Luiz Henrique)
Das erste Bild der Kunstsammlung von Chagas Freitas war das Gemälde "Landschaft" von Max UhligBild: Henrique Luiz (Ausschnitt)

Und die Stasi ihn nicht. So sah sich der damalige brasilianische Botschafter in der DDR, Mario Calábria, gezwungen, den Kulturattaché für zwei Monate außer Landes zu bringen. Er verordnete ihm kurzerhand einen Sprachkurs in London. Inzwischen überschlugen sich auf dem Kontinent die Ereignisse. Gebannt verfolgte der Kunstsammler Chagas Freitas von London aus die Montagsdemonstrationen und die Massenflucht in den Westen.

Angst vor der Stasi

"Als ich Ende September 1989 aus London zurückkam, hatte die Stasi keine Zeit mehr, sich mit mir zu beschäftigen. Sie waren besorgt, dass der ganze Staat zusammenbrechen könnte", erinnert sich Chagas Freitas. "Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte ich vielleicht gar nicht überlebt, wer weiß, vielleicht hätte die Stasi irgendwie zugeschlagen."

Nach mehreren diplomatischen Einsätzen im Ausland, zuletzt im Kongo, kehrte Chagas Freitas 2013 nach Brasilia zurück. In seiner Wohnung zieren dicht gedrängt die Bilder "seiner" Künstler die Wände. Seine Freunde sind mittlerweile in der Kunstwelt international anerkannt und vielfach ausgezeichnet worden, darunter Max Uhlig, Neo Rauch, Wolfgang H. Scholz und Helge Leiberg.

25 Jahre nach dem Mauerfall wurden in Brasilien der Mut und die Schaffenskraft der ostdeutschen Untergrundkünstler mit einer Sonderausstellung unter dem Titel "Die Kunst, die bleibt", gefeiert. Doch die Unterstützung für die Ausstellung in den Rio und Brasilia kam nicht von der deutschen, sondern von der brasilianischen Regierung.

Brasilien Kunst Fransisco Chagas Freitas in Brasilia (Bild: Henrique Luiz)
Ostberliner Erinnerungen: Kunstsammler Chagas Freitas inmitten von Gemälden in seiner Wohnung in BrasiliaBild: Henrique Luz

Kritik an Berlin

"Die Ausstellung wurde im Rahmen des Deutschlandjahres in Brasilien (Mai 2013 bis Mai 2014) gezeigt, aber sie hat keinerlei Unterstützung durch die deutsche Regierung erfahren", kritisiert Chagas Freitas. Lediglich durch den persönlichen Einsatz des ehemaligen deutschen Botschafters in Brasilien, Wilfried Grolig, und die Zuschüsse des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) sei es gelungen, die Gemälde in Brasilien zu zeigen und einige Künstler einzufliegen.

Dass eine der größten Sammlungen von Künstlern aus der ehemaligen DDR ausgerechnet dem deutschen Publikum vorenthalten bleibt, betrübt den Hüter des Kunstschatzes. "Es wäre sehr interessant, die Ausstellung auch in Deutschland zu zeigen, aber was soll ich tun, wenn die deutsche Regierung keinerlei Interesse an diesen deutschen Künstlern zeigt?", fragt er.

Der Diplomat vermutet dahinter - ganz undiplomatisch - politische Gründe. Denn nach seiner Einschätzung ist auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer der Kampf um die Deutungshoheit des historischen Ereignisses noch nicht abgeschlossen. Chagas Freitas: "Es gibt in Deutschland die Sorge, dass die DDR nachträglich als normaler Staat legitimiert wird."