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Ein Cavaliere im Zwielicht

Claus Hecking20. Juni 2003

Manche nennen ihn Erneuerer, andere einen Betrüger: Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi spaltet die Gemüter. Nun hat er im Parlament ein Gesetz verabschieden lassen, das ihm strafrechtliche Immunität garantiert.

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Blütenweißes Hemd: Der künftige EU-Ratspräsident vor GerichtBild: AP

Seinen Traum vom Wochenendhäuschen in der Toskana hat Silvio Berlusconi erst einmal begraben. Als Italiens Regierungschef vor einigen Wochen die 20 Millionen Euro teure Burg Castello di Verano besichtigen wollte, empfingen ihn einige Bewohner des nahe gelegenen Städtchens Montalcino mit Schimpfwörtern und vulgären Gesten.

In seiner Heimat ist der 66-Jährige heute umstrittener denn je: Erst am vergangenen Freitag (13.6.2003) haben die Staatsanwälte mal wieder ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet – und so höhnen viele Italiener mittlerweile, Berlusconi solle doch nach einem Domizil in Gerichtsnähe Ausschau halten.

Ungeeignet für die EU-Präsidentschaft?

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dürften solche Witze nicht zum Lachen bringen. Schließlich überschattet die Prozessflut gegen Berlusconi schon jetzt die am 1. Juli beginnende EU-Präsidentschaft Italiens: Korruption, Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung wirft die Justiz dem designierten Ratsvorsitzenden vor – was Berlusconi veranlasste, die Richter als "Krebsgeschwür" und "Rote Roben" zu titulieren.

Weil das nichts half, hat der leidenschaftliche Anti-Kommunist sich nun durch eine Verfassungsänderung vollständige Immunität gesichert. Das britische Wirtschaftsmagazin "The Economist" bezeichnet ihn daher als "ungeeignet" für die EU-Ratspräsidentschaft: Berlusconi habe weder politischen Weitblick noch die erforderliche moralische Autorität für so ein hohes Amt.

Vom Staubsaugervertreter zum Millionär

Allen Kontroversen zum Trotz musste Berlusconis Partei "Forza Italia" bei den Kommunalwahlen im Mai nur geringe Stimmverluste hinnehmen. Noch immer scheint seine eindrucksvolle Vita viele Italiener zu faszinieren. Schon das Jurastudium finanzierte der Sohn eines Mailänder Bankangestellten im Alleingang als Staubsaugervertreter. Mit 23 war er Geschäftsführer eines Bauunternehmens, mit 25 selbstständig, mit 30 ließ er eine Satellitenstadt für 4000 Bewohner bauen.

Als Italien 1976 das Privatfernsehen einführte, baute Berlusconi innerhalb weniger Jahre ein TV-Imperium auf. Zehn Jahre später übernahm der Multimillionär den dahinsiechenden Traditionsverein AC Milan und machte diesen binnen Kürze zum führenden Fußballklub Europas. Im Herbst 1993 schließlich begann er seine politische Karriere – um schon im darauf folgenden Mai als Ministerpräsident in den Palazzo Chigi einzuziehen.

Rücktritt nach nur sieben Monaten

Dem rasanten Aufstieg folgte ebenso schnell der politische Fall. Nach nur sieben Monaten musste Berlusconi zähneknirschend seinen Rücktritt einreichen. Zu groß waren die Streitigkeiten innerhalb seines Mitte-Rechts-Bündnisses mit der separatistischen "Lega Nord" und den Postfaschisten der "Alleanza Nazionale". Als sich der Mann mit der Hinterkopfglatze wenig später einer Krebsoperation unterziehen musste, schien das Ende seiner politischen Karriere gekommen.

Das Comeback des Silvio B.

Doch Berlusconi wäre nicht Berlusconi, würde er sich unterkriegen lassen. Unterstützt von seinem Medienimperium "Mediaset" gelang es ihm, sich als potentieller Erneuerer des verkrusteten politischen Systems zu profilieren. Die Parlamentswahlen 2001 wurden für ihn zum Triumph. Seither besitzt Berlusconi in Italien eine Machtfülle wie kein anderer westlicher Regierungschef. Er ist der bedeutendste Wirtschaftsführer, besitzt einen Großteil der kommerziellen Medien, leitet die Exekutive, kontrolliert die Gesetzgebung und übt darüber hinaus Einfluss auf die Rechtsprechung aus: Mit der Gewaltenteilung ist es nicht mehr weit her im heutigen Italien.

Ein Dorn im Auge der Eurokraten

In Brüssel wird der künftige Ratspräsident mit Argwohn betrachtet – denn auf europäischem Parkett machte Berlusconi bisher vor allem als Unruhestifter von sich reden. Monatelang stemmte sich der "Cavaliere" gegen den neuen EU-Haftbefehl, mit dem die Union Terrorismus und organisierte Kriminalität bekämpfen will. Auch der EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung stimmte er erst zu, als den italienischen Bauern dafür Hunderte Millionen Euro Bußgelder für überschrittene Milchquoten erlassen wurden.

Seinen Lieblingsgegner, EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, bezichtigte Berlusconi kürzlich indirekt der Korruption. Die Kommission selbst wollte er schon mal ganz abschaffen – und dafür Russland in die EU aufnehmen. Solche Vorschläge werden der italienischen Ratspräsidentschaft gewiss nicht zum Erfolg verhelfen. Doch sie festigen Berlusconis Ruf als großer Polarisierer.