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Ein distanzierter Blick auf die Wahl

24. September 2009

19 Wissenschaftler aus 18 Ländern fahren zur Bundestagswahl nach Berlin. Der Weg dorthin führt sie quer durch die Republik - und jeder Wahlbeobachter zieht seine eigene Erkenntnis aus der Reise.

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Makoto Ida und Banjerd Singkaneti an einem Wahlkampfstand der Grünen in Mannheim. Autor: Philipp von Bremen.
Makoto Ida und Banjerd Singkaneti lernen Straßenwahlkampf in Deutschland kennen.Bild: DW

Wahlkampf in Deutschland. Auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Mannheimer Hauptbahnhof steht eine kleine Bühne. Die Jugendorganisation der Gewerkschaft Verdi hat zur Podiumsdiskussion eingeladen. Gekommen sind die Mannheimer Direktkandidaten der Grünen, der SPD und der Linken. Im Publikum sitzen viele junge Wähler.

"Deutsche Politiker arbeiten professioneller"

Auch der Japaner Makoto Ida hat auf einer der wackeligen Bierbänke Platz genommen. Der Professor für Strafrecht und Vize-Präsident der Tokioter Keio Universität verfolgt die Diskussion sehr aufmerksam. Ihm fällt auf, dass deutsche Politiker viel professioneller arbeiten. "Sie denken viel exakter, viel rationaler" sagt Ida. In Japan hingegen werde in der Politik nur eine vereinfachte Diskussion geführt. Dort könnten daher auch Schauspieler, Sänger oder Journalisten in der Politik erfolgreich sein.

Ndidi Nnoli-Edozien und Makato Ida bei einer Podiumsdiskussion vor dem Mannheimer Hauptbahnhof. Autor: Philipp von Bremen
Aufmerksam zuhören: Ndidi Nnoli-Edozien und Makato Ida bei einer Podiumsdiskussion.Bild: DW

Ida reist derzeit quer durch die Republik. Er ist einer von 19 Deutschlandexperten, die auf Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) die Bundestagswahl beobachten. Die Wissenschaftler aus 18 verschiedenen Ländern haben alle bereits in oder über Deutschland geforscht. In dieser Woche führen sie Gespräche mit Wirtschaftsvertretern, analysieren Streitgespräche der Spitzenkandidaten, lassen sich die Wahlkampfstrategien der Parteien erklären und besuchen Medienhäuser.

Die Macht der kleinen Parteien

Marcos Nobre aus Brasilien interessiert sich dafür, wie kleinere Programmparteien zur Öffnung des politischen Systems beitragen können. In Brasilien gebe es seit den neunziger Jahren zwar eine stabile Mitte, die das Land führe. Das politische System, so Nobre, verschließe sich jedoch gegenüber neuen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen. In Deutschland könne man hingegen beobachten, wie soziale Bewegungen und Programmparteien neue Themen in die politische Diskussion einbringen.

Podiumsdiskussion mit den Direktkandidaten der Grünen, der SPD und der Linken vor dem Mannheimer Hauptbahnhof Autor: Philipp von Bremen
Deutsche Diskussionskultur: Mannheimer Direktkandidaten diskutieren über soziale Fragen.Bild: DW

Der brasilianische Philosophieprofessor hofft auf vergleichbare Prozesse in seinem Land. Die grüne Politikerin Marina Silva könne dazu beitragen, glaubt er. Mit einem Umweltschutzprogramm bewirbt sie sich um das brasilianische Präsidentschaftsamt. Dass sie gewinnt, sagt Nobre, sei dabei gar nicht wichtig. Wichtig sei vielmehr, dass durch die Kandidatur neue Probleme in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

Die Wähler für Politik begeistern

Im Gegensatz zu Brasilien gehören die Grünen in Deutschland längst zu den etablierten Parteien. Vor einem Bio-Supermarkt in Mannheim haben sie einen Wahlkampfstand aufgebaut. Der grüne Abgeordneten Gerhard Schick konnte gerade einen jungen Wähler dazu bewegen, seine Stimme für ihn abzugeben. Darüber freut sich auch Ndidi Nnoli Edozien aus Nigeria - nicht, weil sie auch für die Grünen stimmen würde, sondern weil es gelungen ist, einen Wähler für Politik zu interessieren.

Marcos Nobre und Alexander Chepurenko an einem Wahlkampfstand der Grünen in Mannheim. Autor: Philipp von Bremen.
Marcos Nobre und Alexander Chepurenko im Gespräch mit einem grünen Wahlkämpfer.Bild: DW

In Nigeria, so Nnoli-Edozien, seien die Menschen schon sehr interessiert an Politik: "Aber das Gefühl, dass man mit einer Stimme etwas beeinflussen kann, das haben wir in Nigeria noch nicht hingekriegt." Die Präsidentin der Nigerianischen "Growing Business Foundation" interessiert sich besonders für alternative, kreative Wahlkampfformen, die auch ohne großes Budget auskommen. In Deutschland hat sie das bisher aber nicht gefunden. "Wir müssen kreativer werden in unserer Politik", fordert sie - für Nigeria und für Deutschland. Dann könnten auch die Schichten angesprochen werden, die sonst nicht zur Wahl gehen würden. Obama habe das in den USA gezeigt.

Autor: Philipp von Bremen

Redaktion: Dirk Bathe