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Jahresrückblick Fukushima

28. Dezember 2011

Ein Erdbeben löste im März 2011 einen Tsunami und Japans schwerste zivile Nuklearkatastrophe aus. Nach dem Ausfall von Kühlungssystemen schmolzen vier Reaktoren und Wasserstoffexplosionen zerstörten die Reaktorgebäude.

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Symbolbild Radioaktivität (Foto: fotalia)
Bild: fotolia/Wamsler

Als am 11.03.2011 vor der japanischen Küste die Erde bebte, begann eine Kette von Katastrophen, unter deren Folgen Japan noch in Jahrzehnten leiden wird. Das Beben schlug mit einer Stärke von 9,3 zu - mit der Wucht mehrerer hunderttausender Hiroshima-Atombomben.

Die Riesenwelle, die daraufhin auf das japanische Festland zurollte, begrub mehr als 470 Quadratkilometer Land unter einer Lawine von Wasser, Schutt und Geröll. Mehr als 19.000 Menschen starben in den Fluten oder gelten noch als vermisst. Die Welle erreichte eine Höhe von bis zu 16 Metern – das ist etwa so hoch wie ein vierstöckiges Wohnhaus.

Eine Aufnahme der Tsunami-Welle in dem Moment, wo sie auf das Kraftwerk Fukushima Daiichi trifft (Foto: AP Photo/Tokyo Electric Power Co.)
Die Tsunami-Welle trifft auf das KraftwerkBild: AP

Dem war Fukushima Daiichi nicht gewachsen. Diese Atomanlage besteht aus sechs Reaktorblöcken und ist einer der größten Kraftwerkskomplexe Japans. Die Schutzmauern des Kraftwerks, das direkt am Pazifischen Ozean liegt, waren nur für Tsunamis bis zu einer Höhe von 5,70 Meter angelegt. Als dann eine 13 Meter hohe Welle über die Anlage hinwegrollte, wurde der gesamte Kraftwerkskomplex überflutet.

Kernspaltung nach Kühlungsausfall

Trotz einer Schnellabschaltung der Reaktorblöcke ließ sich die Katastrophe nicht mehr aufhalten: Weil die Notstromaggregate ebenfalls überflutet und Meerwasserpumpen zerstört worden waren, fiel die Kühlung der Reaktoren und der Abklingbecken aus. In der chaotischen Situation nach dem Erdbeben gelang es den Betreibern nicht, die Stromversorgung für die Kühlung wieder herzustellen. Straßen waren unpassierbar und Helfer konnten die benötigte Ausrüstung nicht schnell genug nach Fukushima schaffen.

Am schlimmsten waren die Kraftwerksblöcke eins bis vier betroffen, die bis zu fünf Meter hoch überschwemmt worden waren. In den Blöcken fünf und sechs stand das Wasser nur einen Meter hoch. Hier befand sich auch der einzige Generator, der den Tsunami überstanden hatte. Deshalb konnten die Kraftwerkstechniker die Stromversorgung rechtzeitig wieder aufnehmen, bevor es zu einer Kernschmelze kam.

Aufnahme eines Feuers in einem Gebäude des Reaktorblocks 4 (Foto:Tokyo Electric Power Co./AP/dapd)
Feuer, Explosionen und KernschmelzeBild: Tokyo Electric Power Co./AP/dapd

In den ersten drei Blöcken, die tiefer lagen, überhitzten nach dem Ausfall der Kühlung die Reaktorkerne. Die Kraftwerksbetreiber mussten dort Druckentlastungen durchführen, indem sie Ventile öffneten. Hier traten erste radioaktive Wolken aus. In den ersten vier Tagen nach dem Tsunami kam es zu Kernschmelzen in den Reaktorkernen und zu Wasserstoffexplosionen, bei denen die Reaktorgebäude zerstört wurden.

Der vierte Block war zum Zeitpunkt des Bebens zwar außer Betrieb, aber die Brennelemente befanden sich in einem Abklingbecken. Nachdem das Wasser daraus mangels Kühlung verdampft war, lagen sie zum Teil frei. Durch die enorme Hitze brach ein Feuer aus; auch hier kam es zu einer Wasserstoffexplosion.

Da die Techniker Neutronenstrahlung messen konnten, fürchteten sie, dass in einigen Reaktoren kritische Kernspaltungsreaktionen eingesetzt hatten. Deshalb pumpten die Einsatzkräfte Borsäure in die Reaktorkerne. Das darin enthaltene 10-Bor Isotop ist in der Lage, Neutronen einzufangen und die weitere Kernspaltung zu unterbinden. Zur Unterstützung lieferten Südkorea und Frankreich zusammen 150 Tonnen Bor nach Fukushima. Dadurch konnte diese Gefahr gebannt werden.

Eine Pumpe des Betonpumpenherstellers Putzmeister wird auf dem Flughafen in Stuttgart in ein Transportflugzeug vom Typ Antonov 124 der Volga-Dnepr Airlines verladen (Foto: Marijan Murat dpa - Bildfunk)
Riesige Betonpumpen zur Kühlung der ReaktorkerneBild: picture alliance/dpa

Günstiger Wind, aber verseuchtes Wasser

Weil der Wind in den ersten Tagen nach der Explosion vor allem in Richtung See wehte, trug er den größten Teil der anfänglichen radioaktiven Wolke hinaus aufs Meer. Hätte er von Nord-Westen geweht, wären die dichtbesiedelten Ballungsgebiete um Tokio gefährdet gewesen. Trotz dieser glücklichen Wetterlage wurden weite Gebiete um Fukushima radioaktiv verseucht.

Denn in den folgenden Wochen und Monaten trat Radioaktivität sowohl als Rauch und Dampf, als auch als Wasser aus den Kraftwerksblöcken aus. So sahen sich die Betreiber gezwungen, nach dem Ausfall aller Kühlungssysteme die betroffenenen Reaktorkerne mit Meerwasser zu kühlen. Dazu bedienten sie sich Wasserwerfer und leistungsfähiger Betonpumpen, die mit ihren Kränen Wasser nahe an die Reaktorkerne heranbringen konnten.

Das dabei entstehende radioaktive Abwasser sammelte sich im Turbinengebäude. Bis Anfang April hatten sich so 60.000 Tonnen hochkontaminiertes Wasser angesammelt, so dass sich die Betreibergesellschaft Tepco (Tokyo Electric Power Company) gezwungen sah, mehr als 10.000 Tonnen ins Meer abzulassen. Im Juni gelang es den Ingenieuren, mehrere Wasser-Dekontaminationsanlagen in Betrieb zu nehmen, die täglich etwa 1000 Tonnen Wasser reinigen können. Der dabei entstehende hochradioaktive Klärschlamm wird derzeit auf dem Gebiet des Kraftwerks gelagert.

Auffangtanks für kontaminiertes Wasser (Foto: Japanisches Verteidigungsministerium/ dpa - Bildfunk)
Verseuchtes Wasser wurde in den Pazifik geleitetBild: picture-alliance/dpa

Im November führte Tepco die erste Journalistengruppe in das Kraftwerk, um zu demonstrieren, dass die Lage mittlerweile "stabilisiert" sei. Die Arbeitsbedingungen hätten sich deutlich verbessert. Das Kühlsystem des Kraftwerks sei wieder intakt und die Reaktoren könnten auf einem konstant niedrigen Niveau gehalten werden. Dennoch konnten Journalisten an bestimmten Stellen des Kraftwerks mit Dosimetern etwa 50 Mikrosivert Strahlendosis pro Stunde messen. Als Grenzwert für eine Evakuierung von Einwohnern gilt in Japan ein Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr.

200.000 Menschen direkt betroffen

Aufgrund der radioaktiven Belastung evakuierten die Behörden einen Bereich von dreißig Kilometern um das Kraftwerk. Davon waren anfangs bis zu 200.000 Menschen betroffen. Im Herbst wurde die Evakuierungszone auf 20 Kilometer um das Kraftwerk begrenzt, aber noch immer können etwa 100.000 Menschen nicht dauerhaft an ihre Heimatorte zurückkehren.

Ein Evakuierter wird auf Radioaktive Strahlung überprüft (Foto: AP Photo/Kyodo News)
100.000 Menschen haben ihre Heimat verlorenBild: AP

Die Aufsichtsbehörden verhängten zeitweise ein Verkaufsverbot für Gemüse, Fleisch und Milchprodukte aus fünf Präfekturen in der Region um das Kraftwerk. Seit dem Sommer beschränkt sich das Verkaufsverbot auf Produkte, die innerhalb des 20 Kilometer-Radius um das Kraftwerk erzeugt wurden.

Obwohl manche Arbeiter sehr hoher Radioaktivität ausgesetzt waren, ist bisher keiner von ihnen durch die Strahlenbelastung gestorben. Die Reparaturarbeiten am Kraftwerk sollen noch mindestens dreißig Jahre dauern.

Die japanische Atomaufsichtsbehörde schätzt die Menge freigesetzter Radioaktivität in allen vier betroffenen Reaktoren auf ein Fünftel bis Zehntel der Menge ein, die 1986 durch die Atomkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl freigesetzt wurde. Dennoch hat die Internationale Atomenergiebehörde den Vorfall in dieselbe schwerste Störfallkategorie 7 als katastrophaler Unfall eingeordnet.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Judith Hartl