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"Ein echter Boom" - Nach dem Beitritt Polens zur EU geben Besucher aus Deutschland ihr Geld in Polen aus

30. Juli 2004
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Warschau, 26.7.2004 RZECZPOSPOLITA, poln.

Nach der Behandlung veranstalten Zahnärzte für ihre Patienten Golfspiele, Handelszentren senden eigene Werbeclips im deutschen Fernsehen und die Oper wird von ganzen Scharen von Touristen besucht. Das sind Beispiele für Branchen in Szczecin (Stettin), die vom Beitritt Polens zur EU profitieren. In der Hauptstadt der Region Pomorze Zachodnie (Westpommern) gibt es einen echten Boom Deutscher Kunden. (...)

Die Kunden aus Deutschland kommen aus den benachbarten Ortschaften. Sie machen hier ihre Einkäufe, gehen Essen und danach ins Konzert. Sie wollen sich in einer Großstadt aufhalten und bei dieser Gelegenheit auch ihr Geld ausgeben. Szczecin liegt lediglich einige Kilometer von der Grenze entfernt und hat im Umkreis von 100 km praktisch keine größere Konkurrenz, und zwar nicht nur auf der polnischen, sondern auch auf der deutschen Seite.

"Wir sind die natürliche Hauptstadt von Pomorze (Pommern) und gleichzeitig die einzige so große Stadt. Auf der deutschen Seite gibt es zwar Greifswald, die intellektuelle Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt auch Schwerin, die politisch-administrative Hauptstadt, und im Norden gibt es Rostock. Aber alle diese Städte können das Potential von Szczecin nicht erreichen", sagt Arkadiusz Litwinski, der Leiter des Räteklubs der Bürgerplattform (PO). Szczecin hat die Chance, zu einem Kultur- und Handelszentrum in der Region aufzusteigen. Viele Unternehmen haben das bereits eingesehen. Der hohe Kurs des Euro steigert die Chancen noch zusätzlich.

In Szczecin bevorzugen die Deutschen große Handelszentren. Es kommt vor, dass auf dem Parkplatz die Hälfte der Wagen deutsche Kennzeichen haben: "Wir haben mehr Kunden als sonst ,aber nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Dänemark und Schweden", bestätigt Joanna Dybowska, stellvertretende Direktorin für Handel und Promotion im Handelszentrum Galaxy.

Die deutschen Kunden suchen in Polen vor allem nach billigeren Lebensmittel. Sie kaufen Fleisch und Wurst, obwohl sie auch in Juvellier- und Uhrengeschäften einkaufen. Eine große Zukunft hat jedoch der Dienstleistungsbereich, und zwar nicht nur Frisöre, sondern auch andere Fachbereiche, wie z.B. Tierarztpraxen. Einen Zuwachs an deutschen Kunden verzeichnen auch Optiker und Zahnärzte. Besonders die Zahnärzte können auf den deutschen Kunden - und zwar nicht nur aus der Region - zählen: "Die Mehrheit unserer Kunden bilden immer noch Polen, aber die Ausländer bestellen Behandlungen, deren Kosten zwischen 20 000 und 100 000 Zloty (etwa 4 000 bis 25 000 Euro) liegen", sagt Marcin Gaborski, Direktor des Klinikums für Transplantologie und Ortodenthie "Hahs Protodens", einer der größten stomathologischen Einrichtungen in der Region

In dieser Klinik werden ca. 50 000 Ausländer im Monat behandelt. Sie melden sich zu komplizierten Implantat-Behandlungen und protethischen Eingriffen. Nach Meinung von Marcin Gaborski sparen sie auf dieser Weise sehr viel Geld. Eine normale Porzellankrone kostet in Polen etwa 650 Zloty und in Deutschland 260 Euro (...)

"Wir verwenden genau dasselbe Material und dieselbe Technologie wie in Deutschland. Der Kostenunterschied ist auf zwei Gründe zurückzuführen- die niedrigeren Miet- und Arbeitskosten der Ärzte und des medizinischen Personals sowie der Dentaltechniker.

Das Klinikum organisiert für die ausländischen Patienten die Reise, den Aufenthalt im Hotel und sogar die Freizeit zwischen den Behandlungen. Dank der Zahnmedizin verdienen auch andere Branchen " Wir haben ein Netz von Partnern geschaffen, die zusammenarbeiten. Dazu gehören u.a. Hotels, Pensionen, der Jachthafen, der Golfplatz und viele Reisebüros", sagt Marcin Gaborski.

Auf die größten Umsätze können aber vor allem Kultur und Gastronomie hoffen. Die deutschen Gäste hört man in den meisten Restaurants und Pubs der Stadt: "40 Prozent unserer Kundschaft machen die Deutschen aus", sagt Jacek Nowak von dem Trendlokal "Bram Jazz Cafe". (...)

Die Hälfte dr Philharmonie-Besucher in Szczecin sind Deutsche. Immer populärer wird auch die Oper, die die Gewinnung ausländischen Publikums sehr ernst nimmt. Laut Statistiken waren in der Saison 2001/2002 1,57 Prozent des Opern-Publikums Deutsche, in der Saison 2002/2003 bereits 2,19 Prozent.

Auch die Kinos würden gern deutsche Kunden bedienen. Ein Problem stellt jedoch der Mangel an Filmen mit deutschen Untertiteln da.

Auf der deutschen Seite wird der Wettbewerb der Firmen aus Polen in der Werbung immer deutlicher: "Wir werben für uns auch auf der deutschen Seite. Wir haben sogar eine Zusammenarbeit mit einem der Reisebüros in Szczecin begonnen. Wir machen zusammen Werbung in der deutschen Presse und das Reiserbüro bringt ganze Busse von Touristen nach Szczecin, die dann bei uns einkaufen. Wir arbeiten an der Ausstrahlung unseres Werbespots in einer der größten Kabelfernsehstationen in der Grenzregion. "Unsere Werbeinformationen in mehreren Sprachen sind auf den Fähren der Linie "Unity Line" zu finden, und unsere Flugblätter in der deutschen Sprache kann man bei McDonalds in den Grenzregionen sehen", sagt Joanna Dybowska vom Handelszentrum Galaxy.

Eine echte Werbekampagne hat die Oper in Szczecin gestartet. Außer der Versendung von E-Mails an Firmen und Institutionen in Deutschland, werden auch Flugblätter mit dem Spielprogramm der Oper gedrückt. Die Oper in Szczecin arbeitet mit Reiseunternehmen und Informationsbüros sowie mit der Presse zusammen und ist bei den Messen präsent.

Eine interessante Initiative hat die Zeitschrift "Gazeta Szczecinska" gestartet, die zweiwöchentlich erscheint. Vor über sechs Monaten kam der Herausgeber dieser Zeitung, Zbigniew Jagniatkowski, auf die Idee, eine deutsche Ausgabe der Zeitschrift zu veröffentlichen. "Wir sind wahrscheinlich die einzige Zeitschrift, die so etwas macht. Bei uns gibt es Anzeigen der Handelsketten und Geschäfte. Außerdem informieren wir die Deutschen darüber, was in der Stadt Szczecin passiert, auch über kulturelle Veranstaltungen", erklärt Zbigniew Jagniatkowski. (Überschrift von MD) (sta)