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Ein Fall für die Zensur

Igor Krstic20. Januar 2004

Mit dem Film "Ararat" setzt sich Atom Egoyan zum ersten Mal mit dem armenischen Genozid auseinander - und dreht dabei seinen bisher persönlichsten Film.

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Künstler, nicht Sprachrohr: Atom EgoyanBild: AP

"Auf einer Pressekonferenz zu meinem Film ´Das süße Jenseits´ in Cannes fragte mich ein Journalist, ob man den Film nicht als eine Metapher für den armenischen Genozid sehen könnte. Ich war sprachlos. Die Frage war sehr gut und ich wusste nicht wie ich darauf antworten sollte." Atom Egoyan hat geantwortet - mit einem Film. Am Donnerstag (22. Januar 2004) kommt sein Film "Ararat" in die deutschen Kinos, der sich direkt mit dem Völkermord an den Armeniern beschäftigt. Bei dem Massaker, das 1915 im Osmanischen Reich unter der Übergangsregierung der so genannten "Jungtürken" durchgeführt wurde, kamen 1,5 Millionen Armenier ums Leben. Bis heute warten die Armenier auf die Anerkennung des Genozids durch die türkische Regierung.

Bereits vor der Erstaufführung sorgte "Ararat" in der Türkei für Aufruhr. Zuerst wollte die Regierung den Film gänzlich boykottieren. Dann einigte man sich auf eine zensierte Version, in der "offensive" Stellen einfach herausgeschnitten werden sollten. Mittlerweile steht die türkische Erstaufführung (16. Januar 2004) wieder in Gefahr. Die rechtsextreme Partei Ülkü Ocaklari drohte unverhüllt mit Konsequenzen für den Fall, dass "Ararat" gezeigt werden sollte. Außerdem hatten sich einige nationalistische Politiker und Journalisten vehement gegen die Aufführung ausgesprochen. Der türkische Kulturminister Erkan Mumcu etwa nannte den Film "lächerliche Propaganda".

Kein Hass auf die Türken

Ararat von Atom Egoyan
Ararat von Atom EgoyanBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

"Das ist zwar bedauerlich, aber leider überrascht mich das nicht sonderlich", meint Egoyan zu den Ereignissen in der Türkei. Für ihn selbst handelt der Film nicht vom Genozid, sondern dessen Verleugnung und den Konsequenzen, die das für die nachfolgenden Generationen hatte. Insofern kann man "Ararat" als einen sehr persönlichen Film von Atom Egoyan sehen. Vielen Kritikern gelten Egoyans Filme als Exempel dafür, wie ein kollektives Trauma generationenübergreifend als privates Trauma wiederauftaucht und damit die Frage nach der kulturellen Identität aufwirft. "Als meine Eltern nach Kanada auswanderten waren wir die einzige armenische Familie in der Stadt", erzählt Egoyan. "Obwohl ich immer wieder Geschichten gehört habe, was die Türken meinen Großeltern angetan hatten, wuchs ich nicht mit Hass auf. Ich wollte so sein wie die Kids aus meiner Umgebung und versuchte mich zu assimilieren."

Der Sohn armenischer Künstler gilt mit Filmen wie "The Adjuster", "Exotica", "Calendar" und "Das süße Jenseits", als eines der wenigen verbliebenen anspruchsvollen Autorenfilmer Nordamerikas. Bereits im Alter von 13 Jahren begann er Theaterstücke zu schreiben. Während seines Studiums fing er an Filme zu drehen und erntete damit viel Lob und Aufmerksamkeit, bis ihm 1995 mit "Exotica" schließlich der Durchbruch gelang. Der Film gewann den Preis der Internationalen Filmkritik (Bester Film) in Cannes. Der bisherige Höhepunkt in Egoyans Karriere waren die Oscar-Nominierungen (Beste Regie, Bestes adaptiertes Drehbuch) für "Das süße Jenseits".

Das Trauma steht im Zentrum der Filme

Ararat von Atom Egoyan
Ararat von Atom EgoyanBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Schon in seinen bisherigen Filmen wurden die Protagonisten meist mit ihrer Identität konfrontiert. Auslöser waren dabei stets traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit. So suchen in Filmen wie "Exotica" und "Das süße Jenseits" die Protagonisten nach Erlösung von der Trauer um einen Verlust.

Während Egoyan bisher den armenischen Genozid nur metaphorisch verarbeitet hat, behandelt "Ararat" das Thema ganz konkret. Oder besser gesagt: er erzählt vom Versuch das Unmögliche zu erzählen. In "Ararat" dreht ein Filmteam ein historisches Epos über die Geschichte des Massakers im Hollywood-Format. Dabei begegnen sich in den Mitarbeitern des Teams die verschiedensten Lebens- und Familiengeschichten, die alle mit den Ereignissen von 1915 verwoben sind. Ähnlich wie in "Das süße Jenseits“ steht dabei vor allem der Umgang der Überlebenden mit dem Trauma im Zentrum: das Verdrängen, Verleugnen und Wiedererzählen des Horrors.

Auch wenn der armenische Genozid von übergeordnetem historischen und politischen Interesse für viele Menschen ist, bedeutet der Film für Egoyan selbst nur einen weiteren Schritt in einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit kultureller Identität, Familiengeschichte und Verdrängung. "Ich konnte ´Ararat´ nur deshalb drehen, weil es Teil meiner eigenen persönlichen Geschichte ist. Aber es ist unmöglich beides zu sein - ein Künstler und ein politisches Sprachrohr."