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Ein fauler Kompromiss

Karl Zawadzky12. Februar 2002

Deutschland ist ein "Blauen Brief" aus Brüssel erspart geblieben. Dabei wäre es ein verdienter Rüffel gewesen - und sei es nur als Aufforderung zu Reformen. Ein Kommentar von Karl Zawadzky.

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Trotz der hohen Staatsschulden ist Deutschland noch einmal um einen mahnenden Hinweis der Europäischen Union herum gekommen. Die Finanzminister – erst die der Euro-Mitgliedsländer, dann die aller EU-Staaten – sind der Frühwarnung der EU-Kommission an Deutschland und Portugal nicht gefolgt. In der kurzfristigen innenpolitischen Perspektive ist das ein Erfolg der Bundesregierung. Sie hat sich eine Rüge erspart und der Opposition Wind aus den Segeln genommen. Denn natürlich hätte die Opposition den "blauen Brief" aus Brüssel in Wahlkampfmunition verwandelt. Bundesfinanzminister Hans Eichel hat die Frühwarnung der EU durch einen so genannten konstruktiven Kompromiss abgebogen. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass der Kompromiss nicht wirklich konstruktiv, sondern faul ist. Denn nun ist ein Präzedenzfall geschaffen worden, auf den sich andere Euro-Länder berufen werden, wenn ihnen der Staatshaushalt aus dem Ruder zu laufen droht.

Bundesfinanzminister Hans Eichel hat die Warnung aus Brüssel durch drei Zusagen abwenden können. Danach wird die Bundesregierung das gesamtstaatliche Defizit unterhalb der in der Europäischen Währungsunion geltenden Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes halten. Mehreinnahmen beim Steueraufkommen, etwa in der Folge eines konjunkturellen Aufschwungs, wird die Bundesregierung nicht zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben, sondern zum Abbau der Staatsverschuldung nutzen. Und, dies die wichtigste Zusage, bereits im Jahr 2004 soll es hier zu Lande einen ausgeglichenen Staatshaushalt geben. Bislang hatte Eichel geplant, für das Jahr 2006 ohne Neuverschuldung auszukommen.

Im laufenden Jahr kommt das gesamtstaatliche Defizit Deutschlands mit 2,7 Prozent der Obergrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gefährlich nahe. Eine Verringerung des Defizits ist dann möglich, wenn noch konsequenter als bislang gespart wird oder wenn die Konjunktur anspringt. Eichel geht davon aus, dass beides eintritt. Er will nach der Bundestagswahl seinen Sparkurs verschärfen; gleichzeitig erwartet er vom Frühjahr an eine deutliche Zunahme sowie eine Verstetigung des Wirtschaftswachstums. Mittelfristig soll es bei 2,5 bis drei Prozent liegen. Tritt das so ein, gibt es keine Probleme, die in Brüssel gemachten Zusagen einzuhalten. Wird das Wachstumsziel verfehlt, kommt es zur Neuauflage des Streits der letzten Tage und Wochen.

Eichel hat sich in Brüssel durchgesetzt. Er hat die für die Bundesregierung peinliche Abmahnung verhindert und kann sich bei seiner weiteren Haushaltsführung auf Unterstützung der EU-Kommission berufen. Denn die hat ja in der Tat kein anderes Konzept für die Finanz- und Haushaltspolitik empfohlen, sondern ausdrücklich Eichels Sparkurs für richtig befunden. Insofern sieht Eichel sich überhaupt nicht kritisiert, sondern vielmehr in seiner Politik bestärkt. Auf die muss er nun wirkungsvoller, als ihm das in den letzten beiden Jahren gelungen ist, auch die Bundesländer und Gemeinden verpflichten.

Das heißt: Der europäische Stabilitätspakt bedarf der Ergänzung durch ein deutsches Stabilitäts- und Wachstumsprogramm. Zwar gibt es einen nationalen Stabilitätspakt, doch der wird für die Länder und Gemeinden erst im Jahr 2005 wirksam. Diese Frist ist vorzuziehen. Mehr noch: Es bedarf hier zu Lande einer Reform der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund, den Ländern, den Gemeinden und den Sozialversicherungen, damit nicht länger die eine staatliche Ebene versucht, sich zu Lasten anderer Ebenen zu sanieren. Das hat nämlich dazu geführt, dass der Bund trotz der Konjunkturschwäche seine Haushaltskonsolidierung durchzieht, während vor allem bei den Städten und Gemeinden die Neuverschuldung stark steigt. Insofern hätte Eichel den blauen Brief an die Länderfinanzminister sowie an die Stadtkämmerer und Bürgermeister durchreichen können.

Das wäre natürlich keine Lösung des Problems gewesen. Vielmehr und unverändert geht es darum, über eine konsequente Haushaltskonsolidierung die Grundlagen für beständiges Wirtschaftswachstum zu stärken. Der von Eichel längst eingeschlagene Kurs ist ohne Alternative. Insofern hätte der blaue Brief Deutschland nicht geschadet, sondern Eichels Sanierungspolitik unterstützt. Aus innenpolitischen Gründen hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass die von der EU-Kommission formulierte Frühwarnung im Kreis der EU-Finanzminister stecken geblieben ist. Andere werden sich darauf berufen. Der faule Kompromiss wird Folgen haben.