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"Ein gesunder Teil der Wirtschaft"

16. April 2002

- Ausländische Einwanderer demonstrieren in Polen einen verblüffenden Unternehmergeist

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Posen; 14.04.2002 WPROST, poln.

Ein Vietnamese, der zu den zehn reichsten Polen gehört? Ein Chinese, der die Parlamentswahlen gewinnt ? Dies ist in absehbaren Zeit sogar wahrscheinlich. Schon jetzt hat der dunkelhäutige Henry Ubaka, der aus Nigeria stammt, in der Uniform polnischer Polizisten an der Friedensmission im Kosovo teilgenommen und arbeitet jetzt in der Kriminalabteilung der Warschauer Polizei. Emanuel Olisadebe, der ebenfalls aus Nigeria stammt, war der beste polnische Fußballspieler bei den Qualifikationen zur Weltmeisterschaft in Korea und Japan (...). Der aus dem Kongo stammende Kalondji–Kabengele gehört zum Kreisrat von Staszow in der Woiwodschaft Swietokrzyskie, und Ravi Pareek aus Indien hält sich für einen echten Masuren und möchte auch Gemeinderat sein.

Bereits über 100 000 Ankömmlinge aus Vietnam, China, Laos, Nigeria, Syrien oder der Türkei sind zu Unternehmern in Polen geworden, und die anderen sparen Kapital, um eigene Firmen zu gründen. Die Mehrheit von ihnen zahlt Steuern, bei vielen sind Polen beschäftigt und ihre Kinder gehen in polnische Schulen. Manche bauen eigene Häuser und nehmen am Leben der örtlichen Bevölkerung teil. Von vielen von ihnen können wir Fleiß, Kreativität, Aufrichtigkeit und Verläßlichkeit bei Geschäften lernen (....)

Nach fünf Jahren Arbeit in Polen erzielt ein Vietnamese im Durchschnitt sieben Mal höhere Jahreseinkünfte als ein durchschnittlicher arbeitender Pole. Dies geht aus Untersuchungen des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten hervor. (...)

"Ein Ankömmling beginnt seinen Aufenthalt mit der Arbeit bei einem Bekannten oder bei der Familie oder handelt einfach auf dem Markt. Bei seiner Ankunft hat er oft überhaupt kein Geld dabei. Am Anfang nimmt er einen Kredit bei den hier ansässigen Vietnamesen auf, kauft Waren auf Kredit und verkauft sie überall. Erst nach einigen Jahren harter Arbeit kann er es sich leisten, ein eigenes Geschäft zu gründen", sagt Ngueyn Van Hao, der Generalsekretär des Verbandes der Vietnamesen in Polen "Solidarität und Freundschaft".

Die Ankömmlinge aus Mittelasien, dem Nahen und Fernen Osten könnten in der III Republik Polen eine ähnliche Rolle spielen wie die Holländer, Schotten, Deutschen oder die Franzosen in der I und der II Republik Polen. Schon jetzt sind viele der Einwanderer, was Arbeitsamkeit und Aufrichtigkeit betrifft, besser als unsere Landsleute: "Uns fallen langsam die Augen zu, sie aber möchten gewinnen. Wenn wir zehn Stunden am Tag arbeiten, arbeiten sie zwölf, arbeiten wir zwölf Stunden, arbeiten sie vierzehn. Armut und Ehrgeiz sind eine hoch explosive Mischung", sagt Marvin Harold, ein Milliardär aus Bevery Hills über die Einwanderer.

"Die Vietnamesen haben den festen Ruf, aufrichtige Menschen zu sein. Sie schätzen ihre Kunden und bei Verhandlungen gibt es mit ihnen keine Schwierigkeiten" behauptet Tersa Halik vom Institut für Orientalistik an der Universität in Warschau, die sich seit Jahren mit Untersuchungen der vietnamesischen Minderheit in Polen beschäftigt. Sie betont, dass die Vietnamesen das Recht des Landes respektieren, in dem sie sich niederlassen. Das Recht ist die einzige universelle Sprache, die sie mit den anderen Bürgern und mit den Institutionen dieses Landes verbindet. Aus den Statistiken der Polizei geht hervor, dass gerade die Vietnamesen eine nationale Gruppe bilden, die am seltensten die polnische Gesetze verletzt, und zwar sechzig Mal weniger als die Polen! Es gibt natürlich auch Verbrecher aus Vietnam in Polen, die versuchen, Schutzgelder von eigenen Landsleuten zu erpressen und die mit internationalen Verbrechergruppen zusammenarbeiten. (...)

Die Einwanderer sind keine Gruppe, die fordert. Sie streiken nicht, sie stehen nicht Schlange nach Sozialhilfe, sie fordern keine kürzere Arbeitswoche, keinen längeren Urlaub und berufen sich nicht auf das Arbeitsrecht. Wenn sie eigene Firmen gründen, nutzen sie oft Marktlücken und übernehmen Arbeiten, die Polen abgelehnt haben und arbeiten mehr als zehn Stunden pro Tag. Aus den Untersuchungen des Zentralen Büros für öffentliche Meinungsforschung (CBOS) geht hervor, dass 49 Prozent der Polen nicht einverstanden wären, ihre Arbeit bis spät Abends zu verrichten. 60 Prozent haben etwas gegen häufige Geschäftsreisen. 62 Prozent möchten nicht aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt umziehen und 63 Prozent sind nicht bereit, sich aus dienstlichen Gründen einige Tage in der Woche außer Haus aufzuhalten. 70 Prozent der Befragten würden keine Arbeit annehmen, die eine längere Anfahrtszeit erfordert (...)

Für die in unserem Land arbeitenden Ausländer hingegen gibt es kein "Es lohnt sich nicht". Das unter vielen Polen verbreitete Klischee, es gebe einige Arbeiten, die man nicht annehmen sollte, teilen sie nicht, weil das der gesellschaftlichen Stellung schade. Die Ankömmlinge fordern keine Steuervergünstigungen, versuchen nicht ihre Unternehmen in die gewinnbringend besteuerten "Unternehmen mit Schutz der Arbeit" umzuformen und bemühen sich nicht um Zollvergünstigungen. Die Unternehmen, die den Ausländern gehören, bilden den gesunden Teil der Wirtschaft Polens, der den Normen des freien Marktes voll entspricht.

Trotz der Tatsache, dass die Mehrheit der Ankömmlinge ihren beruflichen Werdegang mit Schwarzarbeit begann, zahlen jetzt die meisten von ihnen ehrlich Steuern. (Tao Ngoc, der Inhaber der Firma Tan Viet) in Legowo bei Gdansk hat z.B. sechs Millionen an Steuern im Jahr 2001 bezahlt). Die Ausländer beschäftigen polnische Arbeitskräfte, und zwar sind mindestens 50 000 Polen bei ihnen tätig. Mit den Firmen der Ausländer arbeiten in verschiedener Form insgesamt etwa 500 000 Polen zusammen.

"Ich habe schon bei verschiedenen Arbeitgebern gearbeitet, aber solch eine Motivation, um Ziele zu erreichen, und solch eine Identifizierung mit der eigenen Firma habe ich noch nicht gesehen. Diese Identifizierung erfolgt so einfachen Mitteln wie dem Aufräumen des Firmenhauptsitzes gemeinsam mit dem Chef", erzählt Ryszard Szatkowski, Direktor für Handel und Marketing, der seit acht Jahren bei Tan Viet arbeitet.(...)

Sogar 25 Prozent der Ankömmlinge aus dem Fernen Osten geben ihr in Polen verdientes Geld für Bildung aus. Das geht aus Untersuchungen hervor, die vom Komitee für wissenschaftliche Untersuchungen finanziert wurden.

"Die Vietnamesen kommen meistens nach Polen, um zu studieren. Viele von ihnen verbinden Studium und Arbeit", erzählt Nguyen Van Hao und fügt hinzu: "Wenn sie etwas im Geschäftsleben erreichen, dann investieren sie in die Ausbildung ihrer Kinder". Lilii, seine 19-jährige Tochter, besucht das Mikolaj Kopernik-Lyzeum in Warschau. Sie wird in diesem Jahr ein internationales Abitur machen. Sie möchte dann in den USA oder in Großbritannien Wirtschaft, Medizin und internationale Beziehungen studieren.

Urszula Lewandowska, Lehrerin an der Grundschule in der Jan Pawel II Straße in Warschau, die 30 Kinder aus Vietnam besuchen, betont, dass sie zu den besten Schülern gehören: "Fast alle Kinder vietnamesischer Abstammung sprechen perfekt polnisch, sind sehr fleißig und wissen, was sie wollen", fügt Andrzej Wyrozebski, Direktor eines Privatgymnasiums an der Twardastraße in Warschau hinzu. (...)

Obwohl in unserem Land über 100 000 Ausländer arbeiten, besitzen nur etwa 1 000 die polnische Staatsangehörigkeit. Die Mehrheit von ihnen möchte in Polen über längere Zeit bleiben oder sich hier für immer niederlassen. In der Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2001 haben sich 66 811 Vietnamesen um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Polen bemüht. Sie wurde aber lediglich 5 369 Personen gewährt.

Aus den Untersuchungen von Professorin Ewa Nowicka, einer Soziologin an der Universität Warschau, geht hervor, dass nur 0,8 Prozent der Polen gegenüber den in Polen lebenden und arbeitenden Vietnamesen negativ eingestellt sind, aber 3,5 Prozent gegenüber den Chinesen.

Die Emigranten bilden in Polen keine Ghettos. Es gibt eigentlich nur ein Ballungsgebiet der Vietnamesen, an der Grzybowskastraße in Warschau, das als polnische Viettown bezeichnet wird, und wo fast zwei hundert vietnamesische Familien wohnen.

Die Vietnamesen, Chinesen, Armenier, Türken, Syrer oder Palästinenser haben sich in verschiedenen Stadtteilen in Warschau, Lodz, Gdansk (Danzig - MD), Gdynia (Gdingen - MD), Sopot (Zoppot - MD), Poznan (Posen - MD), Wroclaw (Breslau - MD), Elblag (Elbing - MD) und Bialystok niedergelassen. Die meisten Ankömmlinge gibt es in den Woiwodschaften Mazowieckie (Masovien - MD), Pomorskie (Pommern - MD), Lodzkie (Lodz - MD), Dolnoslaskie (Niederschlesien - MD), Slaskie (Schlesien - MD), Zachodniopomorskie (Westpommern - MD), Podkarpackie, Swietokrzyskie und Malopolskie (Kleinpolen - MD).

"Wir alle waren, sind oder werden Einwanderer. Wir sollten uns daran erinnern, wenn neue Ankömmlinge in unserer Umgebung auftauchen. Wir sollten aber auch daran denken, was aus unserem Land geworden wäre, wenn wir uns und ihnen die Chance versagt hätten", sagte 1998 Bill Clinton, damaliger Präsident der USA, während eines Treffens mit Vertretern nationaler Minderheiten im Weißen Haus. (Sta)