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Ein Gipfel, der keiner ist

Alexander Kudascheff13. Dezember 2006

Stell Dir vor: es ist Gipfel in Brüssel - aber niemand interessiert sich dafür. Und der Grund? Ganz einfach: das einzig wichtige Thema wurde bereits von den Außenministern gelöst.

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Gelöst? Na, sagen wir besser: in einen hübschen Formelkompromiss gepackt, mit dem alle leben können. Also: der einzig stritte Knackpunkt erledigt - und andere Themen, schon gar nicht Aufreger, gibt es nicht. Also: ein Gipfel, der am besten nicht stattfinden würde - Geld, Arbeit und anderes gespart. Aber so denkt man nicht in der Politik. Und in Brüssel, der Hauptstadt der Konferenzen, schon gar nicht. Warum aber ist es so? Ein Rückblick.

Eigentlich sollte auf diesem Wintergipfel die leidige Türkeifrage besprochen werden. Wie geht es weiter mit der Türkei, wenn, ja wenn Ankara nicht endlich Zypern anerkennt (und die Inselgriechen sich vielleicht auch mal ein bisschen kompromissbereit zeigen). Doch dann sagte der finnische Ratspräsident Vanhanen klipp und klar, er wolle keinen Türkeigipfel. Das Problem müsse vorher erledigt werden. Wahrscheinlich dachte Vanhanen an zumindest zwei EU-Gipfel (einer davon in Helsinki), bei der über die Türkei jeweils eine ganze Nacht lang gesprochen wurde. Und er wollte so kurz vor Weihnachten - fürsorglich, fürsorglich - seinen Amtskollegen und -kolleginnen keine schlaflose Nacht mehr bereiten. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Kein Aufreger-Thema nach der Türkei

Also machten sich - skeptisch bis pessimistisch - die Außenminister auf den Weg - und lösten zur Überraschung aller - ihrer selbst, der Journalisten, wahrscheinlich sogar der Türken - das Problem. Sie zeigten Ankara die gelbe Karte, aber nicht die rote. Sie zeigten einen klaren Weg für die Türkei auf, die Zyprer Kompromissbereitschaft - und der Gipfel hatte kein Thema mehr.

Umfrage bei den Finnen und den Deutschen danach. Worüber wird denn nun eigentlich (noch) gesprochen? Gute Frage, so die Antwort, wir rufen zurück. Und es kamen - neben den üblichen Themen wie Energie- und Klimapolitik . so aufregende Reißer auf die Tagesordnung wie Einwanderung und Innere Sicherheit. Standard- und Dauerbrenner, keine Frage - aber eben auch nicht mehr. Mit anderen Worten: man könnte sich den Gipfel sparen - und kurz vor Weihnachten würde bereits adventliche Feierstimmung in Brüssel einziehen. Aber das gönnten die Finnen den anderen Europäern leider nicht. Leider. So wird der Gipfel zum inhalts- und themenleeren Ritual. Same procedure as every year.

Bleibt nur noch der Klatsch

Aber einen Sinn hat der Gipfel denn doch. Er bietet sich als Marktplatz der Gerüchte und des Klatsches. Wie lange, beispielsweise, wird sich Günter Verheugen noch hetzen lassen? Wie lange dauert es, bis die Nacktfotos doch veröffentlicht werden - wobei - pardon, in Sachen Verheugen, es keine Nacktphotos des "ganzen Günters" sind, schließlich trug er am litauischen Strand eine (weiße?) Badekappe. (Nebenbei-Erkenntnis: die Ankündigung, es gebe diese Fotos, reicht inzwischen schon, um einen Skandal auszulösen) Wann entwickelt der Skandal eine solche Eigendynamik, dass er Verheugen wegfegt - und man sich danach fragt, warum eigentlich?

Vielleicht hilft ja die friedliche Adventszeit, die Gemüter zu beruhigen (ein bisschen Winterkälte täte da übrigens auch das ihrige zu) und den Blick auf eine ganz andere Frage zu richten: warum hat man das geteilte Zypern in die EU aufgenommen und gleichzeitig Verhandlungen mit der Türkei angefangen? Ein diplomatischer Teufelskreis, ohne Frage. Aber vielleicht reden ja die Großen Europas - wenn sie sich über ihre Wünsche und Geschenke ausgetauscht haben - in geselliger Runde genau darüber. Wahrscheinlich ist es aber nicht. Also gilt: stell Dir vor, es ist Gipfel ...