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Ein Jahr nach dem Friedensnobelpreis

6. Oktober 2011

Vor einem Jahr erhielt der chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo als erster Chinese den Friedensnobelpreis, sehr zum Ärger Pekings. Der Preis hat Liu, seiner Familie und Chinas Gesellschaft wenig gebracht.

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Portrait Liu Xiaobo (Foto: AP)
Der chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo konnte den Preis nicht selbst entgegennehmenBild: AP

Die Bekanntgabe von Lius Auszeichnung sorgte vor einem Jahr für Empörung seitens der chinesischen Regierung. Denn Liu befand sich im Gefängnis. Er war wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Der Grund: Er hatte als Mitverfasser der sogenannten Charta 08 tiefgreifende politische Reformen in China gefordert.

Die Entscheidung des norwegischen Nobelkomitees war in den Augen des Pekinger Regimes eine klare Provokation, ein Angriff gegen das chinesische Rechtssystem und eine Verletzung der Gefühle des chinesischen Volkes. Seitdem wird Liu Xiaobos Haft äußerst strikt gehandhabt.

Familie Liu unter Druck

Ein chinesischer Polizist sperrt die Straße ab(Foto:AP)
Ein chinesischer Polizist riegelt die Straße ab, in der Lius Ehefrau unter Hausarrest stehtBild: AP

Nur vier Mal durfte ihn seine Familie seither besuchen. Dass Liu im vergangenen September das Gefängnis kurz verlassen und an der Beisetzung seines verstorbenen Vaters teilnehmen konnte, war eine Ausnahme. Sein Bruder Liu Xiaoxuan bestätigte der französischen Nachrichtenagentur AFP telefonisch den Hafturlaub seines Bruders, wollte sich jedoch nicht zu Einzelheiten äußern. Die ganze Familie Liu Xiaobos tritt in der Öffentlichkeit äußerst vorsichtig auf. Seine Ehefrau, Liu Xia, wurde unmittelbar nach der Bekanntgabe des Friedensnobelpreises unter Hausarrest gestellt. Es gibt bis heute kaum Informationen über ihr Schicksal.

Dr. Yang Jianli, Forschungsbeauftragter an der Harvard University, der den Friedensnobelpreis 2010 stellvertretend für Liu Xiaobo entgegennahm, äußert sich gegenüber DW-WORLD.DE besorgt: "Die Familie Liu steht offenbar unter enormem Druck. Die letzte bestätigte Nachricht in Form einer Online-SMS von Liu Xia liegt bereits sieben Monate zurück." Yang Jianli sieht keine Verbesserung der Menschenrechtssituation durch die Verleihung des Friedensnobelpreises. Im Gegenteil: "Es tut uns als Freunden sehr weh, mit anzusehen, wie sehr Liu Xiaobo und seine Frau leiden müssen."

Yang Jianli hat in den USA die chinesische Menschenrechtsorganisation Citizen Power gegründet. Im Januar dieses Jahres stellte er zwei Anträge an eine Menschenrechts-Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen. Darin appellierte er an die Vereinten Nationen, China aufzufordern, Liu Xiaobo freizulassen und Liu Xias Hausarrest zu beenden. Er wies darauf hin, dass China das einzige Land auf der Welt ist, das einen Friedensnobelpreisträger einsperrt. Dies widerspreche universalen Wertvorstellungen.

Repressionen und Zensur

Ai Weiwei im schwarzen Anzug (Foto: AP)
Der chinesische Künstler Ai Weiwei war drei Monate in China im GefängnisBild: AP

Seit Liu Xiaobos Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis und insbesondere seit dem Aufkommen von Demokratiebewegungen in vielen arabischen Ländern hat Peking die Repressionen gegen Andersdenkende verschärft. Zahlreiche Bürgerrechtler, Anwälte und Intellektuelle beklagen verstärkte Überwachung. Einige von ihnen wurden brutal verprügelt, sind spurlos verschwunden oder wurden unbegründet gefangengehalten. Prominentester Fall war die Festnahme von Ai Weiwei. Selbst der international bekannte Künstler, der einst kein Blatt vor den Mund nahm und das Pekinger Regime aufs Schärfste verurteilte, gibt sich heute, nach seiner Inhaftierung, öffentlich eher wortkarg.

Albert Ho, Vorsitzender der Democratic Party Hongkong und Mitglied von Hongkongs Legislativrat, bedauert, dass sich die Menschenrechtssituation in China verschlechtert hat: "Die Regierung sollte wissen, dass sie weder die Unterstützung der Bevölkerung noch ein gesundes politisches System hat, das ihrer Macht Halt gibt. Nur tiefgreifende politische Reformen und die Gewährleistung universeller Werte führen zur wirklichen Stabilität." Albert Ho fügt hinzu, dass Liu Xiaobo genau diese universellen Werte in der Charta 08 vertreten und gefordert habe. China solle den Menschen erlauben, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Der Direktor des Friedensnobelpreis-Instituts, Geir Lundestad, teilte DW-WORLD.DE schriftlich mit, er verfüge über keine Informationen zur aktuellen Situation von Liu Xiaobo. Das Preisgeld, umgerechnet etwa eine Million Euro, werde zurzeit von der Nobelpreisstiftung verwaltet.

Autorin: Xiegong Fischer

Redaktion: Ana Lehmann