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Ein Katalysator für die Menschenrechte

Andrej Smodis 24. Mai 2003

Anfangs glaubten nur Wenige an einen Erfolg des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. Doch trotz aller Probleme in den vergangenen zehn Jahren gilt die Institution heute als Meilenstein internationaler Rechtsprechung.

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Ärgerlich, lächerlich, unzureichend - das waren so ungefähr die unschönen Worte, mit denen der Gerichtshof zu seiner Einführung von Vielen begrüßt wurde. Der Balkan befand sich mitten im Bosnien-Krieg, und gerade dort waren viele Menschen verärgert, denn sie befürchteten, die internationale Staatengemeinschaft wolle sich um ein direktes Eingreifen herumdrücken und die Verantwortung auf den Gerichtshof abwälzen. Andere wiederum fanden die Aussicht, mit ein paar schwarzen Roben von den Niederlanden aus gegen die Grausamkeiten des Krieges anzugehen, einfach nur lächerlich. Und diejenigen, die ernsthaft an mehr Gerechtigkeit interessiert waren, hielten ein Gericht ohne Gesetze - und vor allem ohne eigene Polizei - schlichtweg für unzureichend.

An allen diesen Vorwürfen der ersten Stunde ist etwas dran - auch heute noch. Aber trotz aller Unzulänglichkeiten ist dieser Gerichtshof ein Leuchtfeuer im Nebel des internationalen Rechts geworden. Er hat es sehr viel wahrscheinlicher gemacht, dass Kriegsverbrecher nicht straflos ausgehen. Er hat klargemacht, dass nicht nur der Vergewaltiger im Lager bestraft werden kann, sondern auch der Befehlshaber hundert Kilometer vom Lager entfernt. Dabei wird nicht mehr unterschieden, ob es sich um einen selbst ernannten Milizen-Führer handelt oder um den Offizier einer regulären Truppe. Und auch der politische Führer im Hintergrund ist nicht immun, selbst ein Staatschef wie Serbiens Ex-Präsident Slobodan Milosevic wird zur Rechenschaft gezogen.

All diese Dinge waren im internationalen Recht noch vor wenigen Jahren undenkbar. Ähnliche Verfahren waren nur als so genannte Siegerjustiz möglich - so geschehen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber die Arbeit des Gerichtshof hat noch viel weiter abgestrahlt als nur auf den Kreis der möglichen Angeklagten: Nach dem Vorbild des Jugoslawien-Tribunals wurde der Gerichtshof für Ruanda geschaffen. Es gab plötzlich staatsanwaltliche Untersuchungen gegen Regierungsmitglieder in aller Welt. Es sind neuerdings Auslieferungsbegehren gegen frühere Staatschefs denkbar, wie in den Fällen von Chiles Augusto Pinochet und Serbiens Milosevic. Und die internationale Staatengemeinschaft hat sich dazu durchgerungen, in Den Haag einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof einzurichten.

Es ist nun aber Tatsache, dass das Jugoslawien-Tribunal politisch missbraucht wird. Die Staatengemeinschaft hat sich davor gedrückt, die Balkan-Kriege politisch klar zu bewerten. Die Verfahren in Den Haag werden immer wieder zur Zuordnung der politischen Kriegsschuld benutzt. Einige Urteile sind unverständlich, viele Kriegsverbrecher sind auf freiem Fuß.

Aber spricht das wirklich gegen das Gericht? Wir sollten uns die Frage stellen: Wäre der Balkan, Europa, die Welt, wären die Kriegsopfer in Bosnien und anderswo besser dran, wenn es diesen Gerichtshof nicht gäbe? Die Antwort ist eindeutig. Wir alle wissen: Es gibt keine absolute Gerechtigkeit. Aber der Gerichtshof in Den Haag hat Gerechtigkeit in Form von Gewissheit, Genugtuung und Sühne ein großes Stück weit möglicher gemacht.