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Ein Kontinent im Würgegriff

Claus Hecking11. April 2003

AIDS hat Afrika fest in der Hand: Rund 30 Millionen Menschen sind bereits HIV-infiziert, alle 16 Sekunden stirbt ein Afrikaner an der Krankheit. Und die Nicht-Infizierten drohen in einen Teufelskreis zu geraten.

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Tödliche Fracht: HIV-infizierte menschliche T-ZelleBild: AP

Wenn Stephen Lewis an seine jüngste Reise zurückdenkt, steigen in ihm Wut und Verbitterung hoch. Ein Jahr lang ist der UN-Sonderbeauftragte zur Bekämpfung von AIDS in Afrika durch den Kontinent gereist - und das Leid, das er gesehen hat, lässt ihn mitunter verzweifeln. "AIDS reißt das Herz Afrikas entzwei. Wenn wir die Entwicklung nicht stoppen, werden ganze Staaten zugrunde gehen", sagt der 66jährige Kanadier. "Aber die Welt schaut zu, anstatt zu handeln."

Alle 16 Sekunden ein Toter

In Europa ist AIDS aus den Schlagzeilen verschwunden, in Afrika ist die Immunschwächekrankheit mächtiger denn je zuvor: Alle 11 Sekunden infiziert sich hier ein Mensch mit dem HI-Virus, alle 16 Sekunden fordert AIDS ein neues Todesopfer. Rund 30 Millionen der weltweit 42 Millionen Infizierten leben im Afrika südlich der Sahara - und die Zahl der Opfer steigt täglich an. Denn AIDS ist in vielen Staaten der Region zur Volkskrankheit geworden.

In Moçambique, Malawi und Südafrika sind zwischen 15 und 20 Prozent aller Erwachsenen mit dem HI-Virus infiziert, in Simbabwe, Swasiland und Lesotho sogar mehr als 30 Prozent. Doch den traurigen Rekord hält Botswana: Hier tragen 38,8 Prozent aller Erwachsenen das HI-Virus in sich. Im Jahr 2005 werde die durchschnittliche Lebenserwartung nur noch 39 Jahre betragen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation.

Afrika im Teufelskreis

Ein ganzes Ursachenbündel ist dafür verantwortlich, dass sich AIDS in Afrika fast ungehindert ausgebreitet hat. Regionale Traditionen und fehlende Aufklärung verhindern ein monogames Sexualverhalten sowie die Benutzung von Kondomen. Überall fehlt es an Medikamenten, hinzu kommt die Ansteckung durch infizierte Nadeln.

In den letzten Monaten habe sich die Lage dramatisch zugespitzt, sagt Reinhard Schlaginweit, Vorsitzender von UNICEF Deutschland. AIDS habe viele Menschen so geschwächt, dass sie nicht mehr zur Arbeit gingen und ihre Felder brachliegen ließen. Und so gerieten sie einen Teufelskreis aus Hunger, Prostitution und neuen Infektionen mit dem Virus. "Wenn wir nichts tun", sagt Schlaginweit, "stirbt eine ganze Generation."

Tatenlose Fürsprecher

Doch die Weltgemeinschaft droht diesen Wettlauf gegen die Zeit zu verlieren. Zwischen sieben und zehn Milliarden Dollar pro Jahr braucht die UNO nach eigener Einschätzung für den Kampf gegen AIDS. 2002 standen ihr jedoch nur rund zwei Milliarden Dollar zur Verfügung. Dabei mangelt es ihr nicht an prominenten Fürsprechern: Die größte Bedrohung der Menschheit sei nicht der Terrorismus, sondern AIDS, sagte US-Außenminister Colin Powell vor einigen Monaten. Doch diesen großen Worten ließ seine Regierung keine Taten folgen, sondern verpulverte statt dessen Milliarden Dollar im Irak-Krieg.

Für diese Politik hat Stephen Lewis überhaupt kein Verständnis: "Wir könnten Millionen Leben retten, wenn wir die entsprechenden Mittel dazu hätten, aber wir haben sie nicht", sagt der Kanadier. "Ich habe keine Ahnung, warum die Welt die Dringlichkeit nicht erkennt und handelt."