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Ein Land mit einem Ruf auf der Suche nach einem Namen

Volker Wagener15. Januar 2002

Über Kroatien redet man nicht mehr. Das ist gut so. Die Welt schaut woanders hin. Lange hatte Kroatien nur einen Ruf - jetzt schickt es sich an, einen Namen zu bekommen. Ein Kommentar von Volker Wagener.

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Und an einem solchen ist noch tüchtig zu arbeiten: Zehn Jahre nach der Anerkennung als souveräner Staat ist die Zukunft, die man sich damals zwischen Istrien und Slawonien, der Pannonischen Tiefebene und Dalmatien erhoffte, gerade mal in Ansätzen erkennbar. Die naive Vorstellung, quasi über Nacht Marx gegen Markt einzutauschen, und damit schon die Vorstufe zum Paradies erklommen zu haben, ist der Realität eines jeden Transformations-Kandidaten im Osten Europas gewichen. Nur mit dem Unterschied, dass die kroatische Variante brutaler daher kam.

Ein alter k.u.k.-General brachte das kroatische Schicksal einmal auf den Punkt: Es sei keine Schande Kroate zu sein, meinte er, aber Pech. Hat man die vermeintliche Gemeinheit erst einmal verdaut, wird auch der tiefere Sinn der Aussage auch klar: Kroatien ist weder von seiner Größe, noch von seiner geographischen Lage her geschützt. Lange Grenzen entlang einer Randlage, die schon immer Durchzugsgebiet Stärkerer war, machten die Kroaten Jahrhunderte lang zum Spielball "höherer Mächte". Was ihrem Bild von sich selbst in keiner Weise schadete. Im Gegenteil: Als Kulturvolk wähnte man sich schon immer in der ersten Reihe der Europäer. Im Umkehrschluss führte das in der Geschichte nicht nur einmal zu paranoiden Selbstüberschätzungen.

Das ist auch anderen Nachbarn im Süden und Osten nicht unbekannt. Insofern ist es sicher nicht ganz falsch, wenn kundige Zeitgenossen behaupten, es sei ein Fluch, auf dem Balkan geboren worden zu sein. Vor allem für die Kroaten, die diese in schlechtem Ruf stehende Ecke Europas mit allem möglichen in Verbindung bringen, nur nicht mit sich und ihrem Staat.

Doch die Entscheidung über die Zukunft wird nicht im Geschichtsunterricht getroffen, sondern auf dem Markt. Kroatien leidet derzeit und schon seit langem unter größten Problemen, die die Ära von Ex-Präsident Franjo Tudjman dem Land hinterlassen hat. Nach Jahren der emotionalen Wallungen, in denen der Name Kroatien und die Eigenstaatlichkeit schon ein Wert an und für sich waren, muss nun eine Grundlage her, ohne die die Ziele von einst nichts wert sind. Die Wirtschaft muss in Gang kommen.

In Tudjmans Regentschaft wurde alles dem nationalen Ziel untergeordnet: 20 Prozent aller Arbeitsplätze wurden vernichtet. Die Erwerbslosenquote ist anhaltend hoch. Jeder Fünfte ist ohne Job. Ausländische Investitionen gehen in aller Regel am Land vorbei. Der sozialdemokratischen Regierung mit Ivica Racan an der Spitze, läuft die Zeit weg. Der Kredit der Wähler droht auszulaufen.

Und dennoch: Die Zeit der rüden Schlagzeilen über neu aufwallenden Nationalismus und gewaltsame Aktionen gegen serbische Rückkehrer werden seltener. Das emotional geladene Verhältnis zu Belgrad weicht langsam einem rationalen. Der Handel zwischen den ordnungspolitischen Führungsmächten der Region ist deutlich gestiegen: Serbien liefert Rohstoffe, Kroatien verarbeitet und stellt die Dienstleistung - zum Vorteil Zagrebs übrigens, denn die Gewinnspanne ist am Ende der Produktionskette höher.

Es ist die undankbarere geschichtliche Rolle, die die erste Regierung nach Tudjman übernehmen musste. Und das wird auch noch lange so bleiben. "Heldenstücke" à la Tudjman sind auf dieser schmalen Bühne nicht zu erwarten - aber konkrete Arbeit für Kroatiens Annäherung an Europa.