1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Lern-Ort deutscher Geschichte

8. November 2001

Ein neu eröffnetes Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgelände soll die zahlreichen Fragen zur Geschichte dieses Ortes beantworten helfen.

https://p.dw.com/p/1LAK
Bild: AP

Als eines der "bedeutendsten Museen" zur Nazi-Geschichte würdigte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, bereits beim Richtfest vor einem Jahr das 21,5 Millionen Mark teure Dokumentationszentrum. Und die UNESCO verlieh der Stadt ihren Menschenrechtspreis, um deren offenen Umgang mit ihrer Vergangenheit anzuerkennen. Doch brauchten auch die Nürnberger Stadtväter bis 1996, um für das markanteste Nazi-Symbol im Stadtbild ein Museums-Konzept zu akzeptieren. Am 4. November wurde das ehrgeizige Projekt von Bundespräsident Johannes Rau der Öffentlichkeit übergeben.

Nach den Vorstellungen der Nazi-Planer, die unter der Gesamtleitung des Hitler-Architekten Alfred Speer arbeiteten, sollte die Kongresshalle an das antike Kolosseum in Rom erinnern und so das Weltmachtstreben der Deutschen untermauern. Zu den Parteitagen der NSDAP pilgerten von 1933 bis 1938 jedes Jahr für eine Woche bis zu einer Million Menschen auf das benachbarte Zeppelinfeld. In der Halle, mit deren Bau 1935 begonnen wurde, sollten sie später auch im Winter ihrem Führer zujubeln können. Die gesamte Architektur des Baus war darauf ausgelegt, dass sich die Blicke der Zuschauer auf das Rednerpult Adolf Hitlers konzentrierten.

Die Vorgeschichte

Vor 1933 war das Gelände um die beiden Dutzendteiche ein traditionelles Naherholungs- und Freizeitgebiet der Stadt, mit Badeanstalt, Strandcafé und einer Uferpromenade. 1912 öffnete hier der Tiergarten. Am Luitpoldhain bekannten sich 1923 die SPD und 50.000 demokratisch gesinnte Menschen zur Weimarer Verfassung. Und zur Ehrung der Toten des Ersten Weltkriegs entstand hier 1928/29 ein Kriegerdenkmal.

Zur Bestimmung von Nürnberg als "Stadt der Reichsparteitage" durch die Nationalsozialisten kam es aus verschiedenen Gründen. Nürnberg galt als traditionsreiche Stadt. Die Lage innerhalb Deutschlands war günstig, die Verkehrsanbindung ebenfalls. Nürnberg selbst war eine Industrie- und Arbeiterstadt und eine Hochburg der Sozialdemokratie. Trotzdem konnte die NSDAP aufgrund der Agitation des "Frankenführers" und "Stürmer"-Herausgebers Julius Streicher in Nürnberg früh Wahlerfolge verbuchen. Später instrumentalisierte die NS-Propaganda auch die Rolle Nürnbergs als Handels-, Kunst- und Kulturzentrum des Mittelalters, als Ort kaiserlicher Reichstage und - in vermeintlicher Kontinuität - der Reichsparteitage.

Auch während des Krieges wurde weiter gebaut: Bis 1942 wurden Tausende von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen beim Brechen von Steinen zum Bau der Kongresshalle und des Deutschen Stadions zu Tode geschunden. Nach 1945 diente das Areal vorübergehend als Flüchtlingslager. Später entstand auf dem früheren "Märzfeld" die Trabantenstadt Langwasser. Während andere Teile des Geländes wieder zum Volkspark wurde und die Vergangenheit fast vom Grün zugewachsen, nutzten wiederum Unternehmer der Frankenmetropole die Gebäude pragmatisch als Veranstaltungsorte oder Lagerhallen. Seit 1973 stehen die Nürnberger Bauten als "Kolossalstil des Dritten Reiches" unter Denkmalschutz. 1985 schließlich eröffnete die Stadt in der Zeppelintribüne des Reichsparteitagsgeländes die Ausstellung "Faszination und Gewalt - Nürnberg und der Nationalsozialismus". Sie informierte bis kurz vor der Eröffnung des Dokumentationszentrums über das Thema.

Die Architektur

Das neue Dokumentationszentrum ist in dem in weiten Teilen fertig gestellten und überdachten Nordflügel der Kongresshalle untergebracht. Der Grazer Architekt Günther Domenig "bohrte" als einzige wesentliche bauliche Veränderung einen 150 Meter langen begehbaren Pfahl aus Glas und Stahl durch den Kopf des Gebäudes, um die Monumentalarchitektur der Nazis symbolisch zu zerstören.

Mit diesem dekonstruktivistischen Einbruch in das rechtwinklige System setzt Domenig ein Zeichen zeitgenössischer Architektur und bezieht eine überzeugende Gegenposition. Im angrenzenden Museums-Bereich beließ der Architekt den roten Ziegelsteinbau im Rohzustand, um die "Banalität des nationalsozialistischen Größenwahns" zum Ausdruck bringen.

Die Ausstellung

Um auch inhaltlich den Nazi-Mythos zu entzaubern, bedienten sich die Organisatoren auch der Hilfe der Nürnberger Bevölkerung: Die 490.000 Einwohner waren schon vor Jahren aufgerufen worden, Erinnerungsstücke aus der Zeit der Reichsparteitage zur Verfügung zu stellen. Darunter fanden sich auch zahlreiche Belege dafür, dass die Nazis, die so viel Wert auf eine perfekte Inszenierung legten, in Nürnberg tatsächlich "hausten wie die Schweine", wie ein Museumsmitarbeiter sagt. So mussten nach den Parteitagen regelmäßig die Schulen renoviert werden, in denen NSDAP-Mitglieder übernachteten.

Das Material aus der Nürnberger Bevölkerung findet sich nun zum Teil in der Dauerausstellung "Faszination und Gewalt". Sie befasst sich in ihrem neuen Quartier auf 1.300 Quadratmetern mit Massenmythos, Führerkult und der Propaganda und Wirklichkeit der Reichsparteitage. Pädagogische Betreuung, Vorträge, Seminare und Diskussionsrunden machen den historischen Ort nun zu einem "Lern-Ort deutscher Geschichte".