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Ein Mädchen namens Osama

Tobias Grote-Beverborg29. Januar 2004

Ein Land ohne Bilder wollten die Taliban aus Afghanistan machen. Zwei Jahre nach ihrem Sturz erobern afghanische Filme verlorenes Terrain zurück und stoßen auf großes nationales und internationales Interesse.

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In "Osama" spielt ein Mädchen von der Straße die HauptrolleBild: Presse

"Osama" ist die erste afghanische Spielfilmproduktion nach dem Sturz der Taliban. International hat der Film bereits großes Aufsehen erregt. So wurde er inzwischen mehrfach ausgezeichnet: Zum Beispiel bei den Filmfestspielen in Cannes und Montreal. Auch einen Golden Globe als bester ausländischer Film bekam der Film verliehen.

In dem Film geht es nicht, wie der Titel vermuten lässt, um den Al-Kaida-Führer Osama Bin Laden, sondern um das Schicksal eines jungen Mädchens während der Taliban-Herrschaft. Die Idee zum Film sei ihm ganz zufällig gekommen, erzählt Regisseur Siddiq Barmak. "Als ich 2000 als Flüchtling in Pakistan lebte, suchte ich nach möglichen Themen für einen Kurzfilm. Eines Tages las ich in einer afghanischen Zeitung die Geschichte von einem jungen Mädchen, die während der Herrschaft der Taliban zur Schule gehen wollte."

Osama - Filmszene
Filmszene aus OsamaBild: Presse

Unter den Taliban war das ein Ding der Unmöglichkeit. Also verkleidete sie sich als Junge, schnitt ihre Haare ab und ging zur Schule. Nach kurzer Zeit wurde sie jedoch von den Taliban entdeckt und zusammen mit dem Leiter und Direktor der Schule verhaftet. "Diese Geschichte ging mir unglaublich nahe! Warum in aller Welt nahm sie das alles auf sich? Diese Frage war sehr wichtig für mich und ich fasste den Entschluss, daraus einen Film zu machen."

Galionsfigur des Neubeginns

Der afghanische Regisseur Siddiq Barmak gilt als Galionsfigur des Neubeginns des afghanischen Filmschaffens. Der 41-Jährige studierte an der Moskauer Filmhochschule und leitete bis zum Beginn der Taliban-Herrschaft die staatliche afghanische Film- und Fernsehproduktion "Afghan Film". Als die Taliban 1996 Kabul einnahmen, floh er ins pakistanische Exil. Nach dem Sturz der Taliban kehrt Barmak in seine alte Position als Leiter von "Afghan Film" zurück. Hier machte er sich unverzüglich an die Verwirklichung seiner Filmidee.

Filmen unter erschwerten Bedingungen

Die Umstände für die Produktion eines Spielfilms in Afghanistan waren denkbar schlecht: "Es gab kaum Leute, die diesen Film machen wollten, außerdem fehlte es an technischer Ausrüstung und Personal, es zu bedienen. Also holten wir uns Unterstützung aus dem Iran, einfach weil wir kein Equipment hatten, weder eine Kamera noch die Tonausrüstung. Und als wir mit den Dreharbeiten anfingen, unterstützte uns auch das Goethe-Institut", erzählt Barmak.

Weitere Schwierigkeiten kamen, laut Siddiq Barmak dadurch, dass die Taliban jegliche filmische Infrastruktur zerstört hatten. Zudem besitzt die eigenständige Filmproduktion in Afghanistan kaum Tradition. Die gesamte afghanische Filmgeschichte umfasst gerade einmal 45 eigene Spielfilme - dies entspricht in etwa der jährlichen Spielfilmproduktion in Deutschland. Nach der Machtübernahme durch die Taliban wurden die letzten existierenden Kinos und Videotheken geschlossen, nahezu alle Filme vernichtet und ein generelles Bildverbot verhangen, selbst das afghanische Fernsehen stellte seinen Sendebetrieb ein.

Schauspieler von der Straße

So ist es kaum verwunderlich, dass es zum Ende der Taliban-Herrschaft kaum noch ausgebildete Schauspieler in Afghanistan gab. Siddiq Barmak musste seinen Film allein mit Laiendarstellern realisieren. Bei der Auswahl seiner Schauspieler blieb vieles dem Zufall überlassen.

Bester ausländischer Film "Osama" aus Afghanistan ausgezeichnet mit dem Golden Globe
Schauspielerin: Marina GolhahariBild: Presse

So fand Siddiq Barmak auch die Hauptdarstellerin seines Films auf der Straße: "Es war mitten in der Nacht in der Nähe eines Restaurants im Zentrum von Kabul. Ich hörte, wie eine Mädchenstimme mich um Almosen anbettelte und dann sah ich sie: Marina. Sie lebte auf der Straße und hatte so faszinierende Augen und ein sehr ausdruckstarkes und wunderschönes Gesicht."

Vergangenheitsbewältigung und Demokratisierung

Das Thema des Films ist die Unterdrückung der Frau während der Herrschaft der Taliban in Afghanistan. Mit "Osama" will Sidddiq Barmak den physischen und psychischen Terror zeigen, dem die afghanischen Frauen unter dem Taliban-Regime ausgesetzt waren. Der Film soll aber auch zur Aufarbeitung und Bewältigung der jüngsten afghanischen Geschichte beitragen. Auch wenn sich nach Auffassung von Siddiq Barmak bereits schon vieles zum Positiven verändert hat:

Schule nach vier Jahren Zwangspause
Afghanische SchülerinnenBild: AP

"Wenn Sie heute die Situation mit der vor zwei Jahren vergleichen, hat sie sich total verändert. Mädchen haben das Recht die Schule oder die Universität zu besuchen. Sie haben ihre eigenen Organisationen, Publikationen und eine eigene Presse. Sie können bereits große Fortschritte bei der Umsetzung von Frauenrechten in Kabul sehen. Aber immer häufiger erkenne ich: Kabul ist nicht Afghanistan!"

Filmische Botschaften in den Provinzen

Außerhalb Kabuls meint Barmak müsse man auch die Menschen erreichen, "nicht mit extremen Ideen, sondern mit vorsichtigen Reformen durch die Presse, durch die Medien. Dabei müssen wir traditionelle Wege finden, der Bevölkerung zu sagen: Ändert euch, eurer Zukunft zuliebe, ändert euch, einer offenen Gesellschaft zuliebe!" Dabei sollen mobile Kinos helfen, auch in den entlegensten Provinzen Filme zu zeigen. Ein gutes Mittel zur Aufklärung und Demokratisierung angesichts der über 80 Prozent Analphabeten in der afghanischen Bevölkerung.

Siddiq Barmak sieht bereits die ersten Früchte seiner Arbeit: "Es ist interessant zu beobachten, wie bemüht die Menschen sind, ihre Töchter in die Schule zu schicken. Sie nehmen sogar selbst die Initiative in die Hand, um Schulen für Mädchen zu errichten. Das ist in unserer Gesellschaft ein riesengroßer Schritt. Ich bin sehr optimistisch, wirklich optimistisch."