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Kluges Urteil

27. Juli 2010

Der erste Richterspruch gegen einen Vertreter des Rote-Khmer-Regimes in Kambodscha war auch Thema in den Kommentarspalten der deutschen und europäischen Tageszeitungen. Eine Auswahl:

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Ausliegende deutsche Zeitungen (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die französische katholische Zeitung La Croix begrüßt den Richterspruch gegen den ehemaligen Leiter des Foltergefängnisses Tuol Sleng (S-21), Kaing Guek Eav:

Die Verurteilung von Duch wird zuallererst dazu beitragen, den Opfern ihre Würde zurückzugeben, indem das Ausmaß der begangenen Verbrechen anerkannt wird. Das ist das Wichtigste. Aber auch das Vergessen, das sehr bequem für die Peiniger in Kambodscha wie anderswo ist, wird schwieriger werden. Das Rechtswesen hat diese Macht, wenn es seine Arbeit macht.

Kaing Guek Eav vor Gericht (Foto:ap)
Kaing Guek Eav vor GerichtBild: AP

Die Salzburger Nachrichten dagegen kritisieren, dass mit dem allzu milden Urteil gegen Kaing Guek Eav alias "Duch" eine Chance auf Aussöhnung vertan worden sei:

Das Urteil führt den Kambodschanern - und der Welt - vor Augen, welche Folgen Willkür und übermäßige Machtfülle haben. Das ist eine Lektion, die Kambodschas autokratischem und selbstherrlichen Premierminister Hun Sen nicht willkommen sein kann. Die Opfer sind enttäuscht, wie angesichts des relativ geringen Strafmaßes zu erwarten war. Sie wollen die Milde des Gerichts nicht akzeptieren und werfen ihm vor, der Strategie der Verteidigung auf den Leim gegangen zu sein. Ein härteres Urteil hätte mehr zur Aussöhnung in einem Volk beigetragen, das immer noch tief zerrissen ist und in dem viele trotz aller Hoffnung auf eine rosige wirtschaftliche Zukunft noch immer tiefen Hass für die Roten Khmer empfinden.

Die Berliner Zeitung widerspricht. Im Hinblick auf die noch ausstehenden Verfahren gegen weitere Angehörige der Roten Khmer habe das Tribunal besonnen gehandelt:

Die Überlebenden des Massenmords der Roten Khmer empfinden das Urteil gegen den Foltermeister Duch als milde. Dennoch ist es ein kluges Urteil, denn Duch war zwar überaus brutal, aber doch nur ein Handlanger der Führung des Pol-Pot-Regimes. Das sahen auch die Richter so. Sie brauchen Duchs Aussagebereitschaft im Prozess gegen die vier greisen noch lebenden Architekten des Völkermords. Denn Kambodschas Regierung macht schon jetzt heimlich, still und leise Schwierigkeiten bei der Beweiserhebung.

Die Neue Osnabrücker Zeitung lenkt den Blick auf die noch immer unerträgliche Situation im Land selbst:

Der Richterspruch kann ein erster Schritt zur Versöhnung sein. Kambodscha hätte es bitter nötig: In dem südostasiatischen Staat leben Opfer und Täter oft Tür an Tür. Selbst 30 Jahre nach den abscheulichen Verbrechen ist das Land am Mekong noch immer tief gespalten. In einer Kultur, die vom Buddhismus geprägt ist und in der Gefühle wie Hass und Wut tabuisiert werden, ist es höchste Zeit, den Opfern wieder eine Stimme zu verleihen. Dass sie mit dem Strafmaß gegen Ex-Folterchef Duch nicht zufrieden sind, ist nur allzu verständlich. Wer das Gefängnis S-21 einmal gesehen hat - die engen Zellen, die Folterwerkzeuge und die entsetzten Blicke der Porträt-Bilder, die Duch von den Gefangenen vor deren Tortur machen ließ, ahnt, was er anderen angetan hat. Kambodscha mag ein kleines Land und weit entfernt sein. Wie wichtig dennoch das Sondertribunal ist, zeigt Deutschland mit seiner finanziellen Unterstützung für das Gericht und mit Psychologen, die Opfern helfen. Der Terror der Roten Khmer ist eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Daraus muss man lernen.

Das Tribunal in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh während der Verhandlung gegen den Rote-Khmer-Führer Kaing Guek Eav (Foto:ap)
Das Tribunal in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh während der Verhandlung gegen den Rote-Khmer-Führer Kaing Guek EavBild: AP

Das fordert auch die Lausitzer Rundschau. Sie kritisiert, dass Europa und der Westen jahrzehntelang weggeschaut haben, wenn es um Kambodscha ging:

In all den Ländern, die mit Verantwortung tragen für die Tragödie, die sich damals abspielte, in den USA, in China und in Vietnam gibt es so gut wie keine öffentliche Diskussion. Und auch bei uns herrscht weitgehend Schweigen. Dabei trägt auch die europäische Linke einen Teil der Verantwortung für das Verdrängen und ist nicht bereit, sich ihrer Schuld zu stellen. Der Krieg in Indochina - der oft verkürzt wird auf das Blutbad in Vietnam - wird im Gegenteil bis heute zum Mythos der Befreiung vom US-Imperialismus stilisiert und der Sieg der Kommunisten in Vietnam wie auch in Kambodscha gilt immer noch als ein Akt der Befreiung. Tatsächlich aber folgte auf die Kriegsverbrechen der USA eine neue Zeit des Leids und des Sterbens. (…) Das späte Urteil in dem fernen Land ist sehr wohl auch eine Herausforderung an die Wahrheitsfindung hier bei uns. Es wird Zeit, über die Wahnvorstellungen zu reden, die im freien Westen Europas herrschten und den Blick verstellten auf das Mordregime in Kambodscha.

Zusammengestellt von Thomas Latschan

Redaktion: Miriam Klaussner