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Politik

"Ein Polexit ist unmöglich"

12. Dezember 2017

Die Konfrontation zwischen der polnischen Regierung und der EU nimmt zu. Sogar von einem Ausstieg des Landes aus der EU ist schon die Rede. Doch das wird nicht passieren, glaubt der Osteuropaexperte Milan Nic.

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Symbolbild EU Polen
Bild: picture alliance/NurPhoto/B. Zawrzel

DW: Herr Nic, wie ernst ist die politische Lage in Polen? Steht das Land kurz davor, die Demokratie abzuschaffen?

Nic: Ich warne vor einer Dramatisierung und vor Hysterie. Die Gesamtsituation in Polen ist zwar tatsächlich ernst, denn was im Moment passiert, ist Teil einer größeren Verschiebung in Richtung einer autoritäreren Regierungsform. Aber es sind bei manchen Kritikern auch eine Menge Klischees und Oberflächlichkeiten bei der Analyse der Situation im Spiel, die auf einen Mangel an Wissen und auch Mangel an Interesse zurückzuführen sind.

Die EU droht damit, Polen Stimmrechte zu entziehen und Finanzmittel zu blockieren. Ist das kontraproduktiv?

Erst einmal glaube ich, dass das nicht passieren wird. So wie der Artikel 7 (mit dem eine Verletzung der Grundwerte der EU durch einen Mitgliedsstaaten sanktioniert werden kann, d. Red.) funktioniert, ist das sehr unwahrscheinlich. Außerdem hat Ungarn bereits angekündigt, dass es dagegen sein Veto einlegen würde, sollte das Verfahren im Rat diese Stufe erreichen. Was wir stattdessen sehen könnten, ist eine gelbe Karte statt der "nuklearen Option" einer Aussetzung der Stimmrechte. Ich denke, dass wir hier eine künstliche Debatte führen, weil ich glaube, dass es nicht viele Mitgliedsstaaten gibt, die das Ganze bis zum Ende durchziehen würden - bisher jedenfalls.

Schon jetzt wird in Polen über einen Austritt aus der EU gesprochen. Glauben Sie, dass ein Polexit möglich wäre?

Nein, das halte ich für unmöglich.

Warum?

Milan Nic Osteuropaexperte
Nic: Die Polen sind eines der europafreundlichsten Völker EuropasBild: A. Schnuer-Wala

Die polnische Bevölkerung ist eine der europafreundlichsten in der gesamten Europäischen Union. Polen hat auch mehr als jedes andere Land von den Kohäsionsfonds der EU profitiert. Und Polen hat im laufenden mehrjährigen Finanzrahmen bis 2020 ein Recht auf diese Mittel. Das Paradoxe ist, dass die Auseinandersetzungen mit der Europäischen Kommission der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hilft, Polen zu spalten. Mehr als 40 Prozent der Polen stehen hinter der PiS, und viele ihrer Anhänger sind gleichzeitig EU-begeistert. Heute profitieren Parteien und Politiker, die Polen polarisieren, wenn sie Druck von außen spüren. Genau das passiert gerade. Herr Kaczynski hat diesen Druck instrumentalisiert, um Polen als Opfer einer angeblichen Doppelmoral darzustellen. PiS-Politiker im Europaparlament haben das Verhalten der EU kürzlich als "koloniale Gewohnheiten" und "politische Jagd" auf Polen bezeichnet, was aber auch zeigt, wie politisch schwach und isoliert Polen auf der europäischen Ebene geworden ist.

Wirkt sich der Brexit auf Polen aus, sei es, dass manche Polen finden, ein Ausstieg aus der EU sei auch etwas für sie, sei es als abschreckendes Beispiel?

Ein Ausstieg wäre für Polen alles andere als attraktiv. Aber der Brexit hat gleichwohl starke Auswirkungen. Erstens ist Polen seit der Brexit-Entscheidung noch isolierter. Denn die Abgeordneten der PiS im Europaparlament gehören zur selben Parteienfamilie wie die britischen Konservativen. Die PiS hat auch in mancher Hinsicht eine ähnliche Haltung zur EU wie die britischen Tories. Außerdem gab es bis zur Brexit-Entscheidung gute politische Kontakte zwischen London und Warschau. Die zweite Auswirkung ist, dass die restlichen 27 EU-Mitglieder jetzt sehr die Einigkeit betonen. Vor allem Berlin betreibt das. Und dieses Streben nach Gemeinsamkeit verhindert, im Rat der Mitgliedsstaaten bei einer Bestrafung Polens zu weit zu gehen.

Milan Nic ist Osteuropaexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik