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Ein Samstag im Advent

28. November 2015

Der Advent ist die Zeit der Vorbereitung: alles soll perfekt sein zu Weihnachten. Für die evangelische Kirche zeigt Gerhard Richter, dass man sich auf die besonderen Momente im Leben nicht vorbereiten kann.

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Adventskranz
Bild: picture-alliance/dpa/K.-J. Hildenbrand

Unverhoffter Besuch
„Ach, du bist ja schon da!“ Meine beste Freundin steht vor der Tür. Eigentlich hatte ich sie erst am Nachmittag erwartet. „Das tut mir aber Leid,“ entschuldige ich mich. Die Küche wollte ich noch wischen. Im Flur hängen noch Spinnweben in den Ecken. Auf der Toilette fehlt das frische Toilettenpapier.

Jetzt schneit diese unberechenbare Frau zur Tür herein und bei mir sieht es aus, als wäre ich mitten im Umzug.
„Aber das macht doch nichts,“ sagt sie. Sie schiebt mich zur Seite: „Hast du einen Kaffee?“ Mit diesen wegweisenden Worten geht sie zielstrebig auf die Küche zu. „Um Himmels Willen,“ denke ich, „jetzt ist alles aus. Da sieht es aus wie in einem Warenlager.“

Ungeachtet der Unordnung setzt sie sich an den Küchentisch. „Schön, dass du schon früher Zeit gefunden hast,“ sage ich mit gebremster Freude. Ich stelle den Wasserkocher an und fülle die Kanne mit duftendem Kaffeepulver. Ich brühe den Kaffee gern türkisch.
„Eigentlich wollte ich alles schön geschmückt haben, wenn du kommst.“ Ich versuche eine zweite Verteidigung.

„Aber nun lass' doch mal gut sein,“ sagt sie beschwichtigend. „Jetzt haben wir Zeit und die nehmen wir uns. Auf das Drumherum kommt es doch nicht an. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und Heute Abend muss ich wieder zurück. Lass uns sitzen und quatschen wie in alten Zeiten.“ Das haben wir dann auch getan. Einfach alles liegen gelassen und in unseren Erinnerungen geschwelgt.

Zeit haben füreinander im Advent
Im Radio hören wir dazu Adventslieder: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“
Richtig, denke ich dabei. Wir bereiten uns im Advent auf das Weihnachtsfest vor. Aber wir achten so sehr auf die äußeren Dinge. Den Schmuck in der Wohnung, die Beleuchtung, Plätzchen und Glitter – das alles ist uns wichtig. Der Besuch meiner besten Freundin hat mir deutlich gezeigt, dass das gar nicht wichtig ist.

Sicher wäre eine geputzte Wohnung schön gewesen. Stimmungsvolle Beleuchtung und der aromatische Duft von Räucherkerzen. Aber es hat uns nicht gefehlt. Wir saßen und sprachen miteinander. Der Kaffee war heiß und frisch. Die Zeit verging wie im Flug. Zum Mittag gab es ein paar Eierkuchen. Nach dem Essen waren wir eine Weile im Park spazieren.
Wir haben uns lange Zeit nicht gesehen. Trotzdem verstehen wir uns sofort wieder. Es war einfach ein spannender Tag.
Es war ein Samstag im Advent.

Macht die Tore weit für den Anderen
Die Tage im Advent haben ja ihren Namen vom Warten auf einen Besucher, von dem wir nicht wissen, wann er kommt. Und wenn wir miteinander singen: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...“ dann erfüllen wir das bestimmt nicht am Besten, indem wir unsere Häuser putzen und schmücken.

Es geht darum, dass wir bereit sind, die Herzenstür zu öffnen. Es geht darum, dass wir uns Zeit für einander nehmen. Es geht darum, dass wir unsere Gemeinsamkeiten finden.
Und Fremde? Gilt das auch für fremde Menschen? - sicher doch: gerade für die. Sie spüren mehr als jeder andere, wenn wir ihnen warmherzig und offen begegnen.
Ich meine, wenn Jesus sehen könnte, dass wir unsere Zeit füreinander verschwenden, es wäre ihm eine helle Freude.
Er hat doch gesagt: „Was ihr einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“

„O, jetzt muss ich aber wieder los,“ sagt meine beste Freundin ganz unvermittelt. Sie sieht auf die Uhr und dann zum Fenster. Draußen ist es dunkel geworden.
„Schön, dass du dir die Zeit genommen hast.“
„Wann sehen wir uns wieder?“ frage ich sie an der Tür. „Ach das ergibt sich sicher. Ich rufe dich an.“
Damit verschwindet sie im dunklen Winterabend.
Das war ein Adventstag! Voller Überraschungen, spannend und wunderbar.

Pfarrer Gerhard Richter
Pfarrer Gerhard RichterBild: GEP

Zum Autor: Gerhard Richter (Jahrgang 1957) ist seit November 2004 Gemeindepfarrer im Dörfchen Bibra im Süden Thüringens, das zur Gemeinde Grabfeld gehört. 2011 wurde er zum 2. Stellvertreter der Superintendentin des Kirchenkreises Meiningen gewählt. Als gelernter Tiefbauer studierte er zuerst Bauwesen, ehe er zur evangelischen Theologie fand. Später war er neben dem Pfarrdienst Landessynodaler in Thüringen und Mitglied im Theologischen Ausschuss der Vereinigten Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD).1997 entsandte ihn das Evangelisch-Lutherische Missionswerk Leipzig für sieben Jahre in den Distrikt Nordmassai der Arusha-Diözese in der Evangelisch Lutherischen Kirche in Tansania als Missionar. Wie man Menschen neu für den Glauben gewinnen kann, ist allerdings für ihn nicht erst in Afrika zum Thema geworden. Für MDR, Deutschlandradio und Deutsche Welle gestaltet er seit 1993 verschiedene Formate.

Kirchliche Verantwortung: Pfarrer Christian Engels