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"Ein Scheitern ist keine Option"

Anke Hagedorn, z. Zt. Brüssel18. Juni 2004

Am zweiten Tag des EU-Gipfels in Brüssel dauert der zähe Machtpoker weiter an. Fortschritte sind gemacht. Aber im Streit um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi blieben die Fronten verhärtet.

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Noch ist ein Nachfolger für Prodi nicht in SichtBild: AP


Die Suche nach dem künftigen Kommissionspräsidenten auf dem EU-Gipfel in Brüssel geht weiter. In der Nacht zum Freitag (18.6.) wurden die Debatten nach stundenlangen bilateralen Verhandlungen unterbrochen. Sie sollen an diesem Freitagabend fortgesetzt werden. Von einer Einigung scheinen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bislang weit entfernt, wie auch EU-Ratspräsident Bertie Ahern am Freitagmorgen deutlich machte: "Es hat sich noch kein Kandidat herauskristallisiert. Letzte Nacht waren noch zehn Namen im Rennen. Es ist auch kein Wunder, wenn so viele Kandidaten im Gespräch sind und keiner genug Unterstützung hat."

Zwei Kandidaten im Spiel

Bislang kreisten die Diskussionen vor allem um zwei Namen: Da ist zum einen der liberale belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt, der von Deutschland, Frankreich und Belgien favorisiert wird. Der findet aber keine Unterstützung bei der Europäischen Volkspartei, die die Mehrheit im Parlament hat. Die EVP selber hatte am Donnerstag den konservativen britischen Außenkommissar Chris Patten zu ihrem Kandidaten gekürt. Doch gegen ihn macht vor allem Frankreich Front, weil Großbritannien weder zur Euro-Zone noch zum Schengener System des freien Grenzverkehrs gehört. Hinzu kommt die Tatsache, dass Patten kaum Französisch kann und das ist in den Augen der Franzosen ein großes Manko.

Bundeskanzler Schröder machte vor der Aufnahme weiterer Gespräche nochmals die deutsche Position klar. Deutschland habe keine eigenen personalpolitischen Interessen in dieser Frage. "Ich glaube", so Schröder, "mit Guy Verhoftstadt hätte man einen überzeugten Europäer, der den Job kann, und deswegen bedaure ich, dass man sich nicht hat einigen können, zumindest bis jetzt nicht."


Kompromisse bei dopellter Mehrheit

Bevor die Staats- und Regierungschefs erneut über die Nachfolge Prodis beraten, steht zunächst die künftige EU-Verfassung auf der Tagesordnung. Hier ist ein wenig Bewegung in den Entscheidungsprozess gekommen: In der Frage des Abstimmungsmodus im Ministerrat ist man sich offenbar näher gekommen: Der Kompromissvorschlag der irischen Ratspräsidentschaft zur Anhebung der Schwellenwerte bei der doppelten Mehrheit scheint Konsens zu sein: Demnach sind künftig 55 Prozent der EU-Staaten die gleichzeitig 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, für eine Abstimmung notwendig. Diskutiert wird noch über die Frage der Sperrminoritäten. Hier lautet der irische Vorschlag: Für eine Blockade sind mindestens 4 Staaten notwendig.

Für eine Vereinfachung von Entscheidungen in der Innen- und Justiz-, in der Außenpolitik sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte sich im Vorfeld vor allem Deutschland eingesetzt. Doch dagegen hatten die Briten immer vehement protestiert. Nun sollen künftig auch in diesen Bereichen Mehrheitsentscheidungen möglich sein. Durchsetzen konnte sich Deutschland offenbar auch mit seinen Forderungen hinsichtlich des Stabilitätspakts. Die EU-Finanzminister sollen demnach auch weiterhin Entscheidungen der Kommission in Defizitverfahren mit einer qualifizierten Mehrheit abschmettern können.

Scheitern ausgeschlossen

Bis zum Abend soll die Verfassung unter Dach und Fach sein. Für alle gilt die Parole, die vor dem Beginn des Gipfels von der irischen Ratspräsidentschaft ausgegeben wurde: Ein Scheitern ist keine denkbare Option. Und so betonte der irische Außenminister Brian Cowen: "Ich bin mir sicher, dass der EU-Rat zu seinem Ziel steht: Es ist für uns entscheidend, dass wir die Beratungen über die Verfassung erfolgreich abschließen."

Ein weiteres Thema auf dem Gipfeltreffen war die nächste Runde der EU-Erweiterung. Die 25 Staats- und Regierungschefs haben Kroatien den Status eines Beitrittskandidaten eingeräumt. Verhandlungen über einen Beitritt sollten Anfang 2005 beginnen, erklärte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Kroatien will mit Hilfe schneller Reformen 2007 gemeinsam mit Bulgarien und Rumänien Mitglied der EU werden. Auf einen Termin für Beitrittsverhandlungen muss die Türkei noch warten. Eine Entscheidung soll beim Europäischen Gipfel im Dezember fallen. Die Staats- und Regierungschefs lobten ausdrücklich den Reformprozess in der Türkei.