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Ein Sommermärchen

5. Oktober 2006

Drei Monate liegt es nun zurück - das größte Sportereignis des Jahres - die Fußball-Weltmeisterschaft. Auf der Leinwand kann man die WM jetzt noch einmal erleben. Mit dem Film 'Deutschland. Ein Sommermärchen'.

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Der Regisseur bei der Arbeit
Der Regisseur bei der ArbeitBild: picture-alliance/dpa

Ein Haufen schmutziger Trikots, der kleine Philipp Lahm sitzt mit hängendem Kopf auf der Massagebank, hart gesottene Profis haben verweinte Augen, es herrscht Totenstille - Deutschland ist gerade im Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Italien ausgeschieden. Mit diesen Szenen aus der deutschen Umkleidekabine beginnt Sönke Wortmanns WM-Film "Deutschland. Ein Sommermärchen".

Auch Kanzlerin Merkel kam zur Premiere am 3. Oktober, dem deutschen Nationalfeiertag
Auch Kanzlerin Merkel kam zur Premiere am 3. Oktober, dem deutschen NationalfeiertagBild: AP

Unter dramaturgischen Gesichtspunkten war die Niederlage gegen Italien Gold wert, wie Wortmann in einem Interview mit dem Fußball-Magazin "11 Freunde" kürzlich selbst einräumte. Denn so "bekommt der Film die entscheidende Portion Tragik, die ein guter Kinofilm braucht", sagte der Regisseur. Es bleibt das kleine Happy End, das allerdings vorher keiner erwartet hatte. Umgekehrt hätte Wortmann es schwerer gehabt, denn: Wäre Deutschland Weltmeister geworden, wäre der Film wohl eine unerträgliche Jubelarie geworden.

Wie "Big Brother"

Während der Vorbereitung und des Turniers selbst hat Wortmann, der bereits mit dem "Wunder von Bern" einen bemerkenswerten und erfolgreichen Fußball-Kino-Film gemacht hat, das deutsche Team rund um die Uhr begleitet, durfte im Quartier und sogar während der Mannschaftsbesprechungen und in der Kabine drehen. Böse Stimmen behaupten, der Ex-Fußballer Wortmann habe den Film gemacht, damit er persönlich bei der Nationalmannschaft dabei sein kann - schließlich hat es bei ihm nur (oder doch immerhin) für die Zweite Liga gereicht.

Sönke Wortmann stellt WM-Film vor
Wortmann bei der Präsentation seines Films am 15. September 2006 in BerlinBild: AP

Aber die Zuschauer profitieren von Wortmanns Einblicken, die Journalisten oder anderen Filmemachern sonst verwehrt bleiben. Wenn die Spieler aus den Stadion-Katakomben das Spielfeld betreten, ist die Handkamera mit dabei und vermittelt das Gefühl, als liefe man selbst mit den Nationalspielern auf. Wenn Jürgen Klinsmann dem Team die Taktik erklärt, sieht man das aus der gleichen Perspektive wie Michael Ballack oder Lukas Podolski. Und wenn die Mannschaft abstimmt, ob man nach dem Spiel um Platz drei von Stuttgart lieber nach Hause fährt oder sich in Berlin doch noch einmal richtig von den Fans verabschiedet, möchte man am liebsten selbst die Hand heben.

Gegen Miesepetrigkeit

Die Stärke von Wortmanns Film ist: Er vermittelt Nähe, Atmosphäre, Authentizität. Ein freundlicher, wohlwollender Blick auf das deutsche Team mit viel Humor in den Details - ein Höhepunkt sicher die Grimasse des damaligen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Gerhard Mayer-Vorfelder, nachdem er sich nach der Niederlage gegen Italien wortlos an Angela Merkel vorbei durch die Kabinentür gedrängt hatte.

Mittelfeldspieler Lukas Podolski (links) und David Odonkor (rechts) auf dem Weg zur Kinopremiere
Lukas Podolski und David Odonkor auf dem Weg zur KinopremiereBild: AP

Freilich kann der Film keine andere Geschichte der WM erzählen. Die Fakten sind bekannt und unabänderlich. Selbst über den ominösen Zettel von Jens Lehmann beim Elfmeterschießen gegen Argentinien weiß man mittlerweile mehr, als die unscharfen Wackelbilder Wortmanns enthüllen. Wenn man also unbedingt nach Schwächen in dem Film suchen will, dann findet man sie am ehesten in den fehlenden Überraschungsmomenten, dem - abgesehen vom Einstieg - bieder-chronologischen Aufbau und den eher wenig inspirierten Spielszenen.

Doch damit würde man genau wieder in jene deutsche Untugend der Miesepetrigkeit verfallen, die Klinsmann, sein Team und die Millionen feiernden Menschen in Deutschland während des Turniers vergessen ließen. Die WM war eine Riesen-Party. Diese Stimmung lässt der Film wieder aufleben - 108 Minuten lang und gefühlsecht. Die Party ist noch nicht vorbei. (kas)