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Ein später Anfang

10. September 2009

Barack Obama hat sich mit der Durchsetzung seiner Gesundheitsreform zuletzt viel Zeit gelassen, meint Christina Bergmann.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW
Christina Bergmann (Foto: DW)
Christina Bergmann, DW-Studio Washington

Die Ansprache von US-Präsident Barack Obama hat vor allem eines bestätigt: Dass Obama ein guter Redner ist. Er hat umgarnt und gedroht, motiviert und beschwichtigt und sogar auf die Tränendrüse gedrückt. Hätte er so vor Anhängern auf einer seiner Massenveranstaltungen gesprochen, hätten die Fans mit ziemlicher Sicherheit am Ende das mittlerweile schon berühmte "Yes, we can" skandiert und wären begeistert für ihn in den Kampf gegen die bösen profitorientierten Versicherungsunternehmen gezogen.

Doch Obama sprach vor dem Kongress, und da haben die Versicherer nicht nur eine starke Lobby, sondern sind auch die Gräben in der Debatte mittlerweile ganz schön tief. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass der Präsident immer wieder Beifall von allen Abgeordneten bekam.

Pflöcke eingerammt auf sicherem Terrain

Immerhin hat Barack Obama ein paar Pflöcke eingerammt und erklärt, was eine Gesundheitsreform auf jeden Fall leisten muss: Sie darf denen, die versichert sind, diesen Schutz nicht nehmen. Aber sie muss die Versicherungen stärker regulieren: keine Kündigungen oder Leistungskürzungen mehr bei Vorerkrankungen, keine exorbitanten Zuzahlungen durch die Versicherten und eine bezahlbare Krankenversicherung für die Millionen Unversicherten, sofortige staatliche Hilfe bei schweren Krankheiten, solange die Reformpläne noch nicht greifen, Kampf gegen die in den USA inzwischen üblichen enormen Schadensersatzklagen gegen Ärzte.

Bei alldem befand sich Obama auf sicherem Terrain, denn diese Forderungen sind mehr oder weniger unumstritten. Anders sieht es bei der Einführung einer staatlichen Versicherung aus. Obamas Vorschlag eines solchen Schutzes für alle Unversicherten, die sich eine private Versicherung nicht leisten können, ist ein Kompromiss zwischen denen, die auf jeden Fall eine staatliche Versicherung wollen, und jenen, die sie konsequent ablehnen. Zu dieser Gruppe gehören auch dutzende Demokraten, vor allem im Senat. Ihr Motiv: Sie wollen die Staatsverschuldung durch eine solche staatliche Versicherung nicht in die Höhe treiben.

Versprechen an die Skeptiker

Diesen finanzpolitischen Skeptikern versprach der Präsident, er werde keinen Plan unterschreiben, dessen Kosten nicht gedeckt sind. Dabei blieb er vage. 900 Milliarden US-Dollar soll sein Plan in den nächsten zehn Jahren kosten. Dies allein durch Einsparungen bei den bereits bestehenden staatlichen Versicherungen für Bedürftige und Alte und durch Gebühren bei Versicherern zu erwirtschaften, scheint unrealistisch. Nicht umsonst gab es Gelächter, als Obama erklärte, dass einige wichtige Details seines Plans wohl noch erarbeitet werden müssten.

Obamas Rede vor dem Kongress diente mehreren Zwecken: Er wollte deutlich machen, dass er nach Möglichkeit eine überparteiliche Einigung favorisiert. Er wollte aufräumen mit haarsträubenden Geschichten und glatten Lügen über die geplante Reform, die von konservativen Politikern und Medien verbreitet werden. Und er wollte beiden Seiten in der eigenen Partei einen Kompromiss in der umstrittenen Frage der staatlichen Versicherung und der Finanzierung der Reform aufzeigen. Das ist ihm ganz gut gelungen an diesem Abend.

Regierung in der Sommerpause sprachlos

Doch das will nicht viel heißen. Denn viel zu lange hat der Präsident das Feld dem Kongress überlassen. Die Opposition nutzte das weidlich aus. In den letzten Wochen zeichneten republikanische Politiker, rechte Kommentatoren und konservative Medien das Bild eines Präsidenten, der angeblich alten Leuten das Lebensrecht absprechen und das Land in den Sozialismus stürzen will. Die Absurdität des Sommertheaters machte die Regierung sprachlos. Dadurch wurde die Kampagne der Konservativen umso effektiver.

Die Umfragewerte bezüglich der Regierungsarbeit des Präsidenten stürzten ab.

Eine einzige Rede reicht da nicht, um den Trend wieder umzukehren. Wenn Barack Obama die Gesundheitsreform in diesem Jahr durchbringen will, dann muss er weiter die Initiative ergreifen und vor allem die Skeptiker in seiner eigenen Partei überzeugen. Die Arbeit fängt für ihn jetzt erst an. Für Millionen unversicherter Amerikaner ist zu hoffen, dass dieser Anfang nicht zu spät kommt.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Thomas Grimmer