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Ein Stück deutsche Geschichte

16. November 2001

Jeder Tag ein Jahrestag. Am 15. November wurde Wolf Biermanns 65. Geburtstag gefeiert, und am Freitag jährt sich zum 25. Mal seine Ausbürgerung aus der DDR.

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Der Liedermacher Wolf Biermann

25 Jahre ist es her: Wolf Biermann, in der DDR (Deutsche Demokratische Republik) mit Auftrittsverbot belegt, gibt am 13. November 1976 ein begeistert aufgenommenes Konzert vor mehr als 7.000 Zuhörern in Köln. Dieser Auftritt wird drei Tage später von der DDR-Regierung als Vorwand benutzt, dem Liedermacher das Recht auf Aufenthalt und damit die Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Der "kleine Wolf" wurde am 15.11.1936 in Hamburg geboren und siedelte 1953 mit seiner Mutter in die DDR über. Heute lebt der Vater von zehn Kindern wieder in der Hansestadt – mit seiner zweiten Frau Pamela und den gemeinsamen Söhnen Lukas und David. In den 50er Jahren in Berlin begann er auch zu schreiben und zu komponieren.

Der Querkopf

Biermann und seine Texte wurden von den DDR-Machthabern von Beginn an argwöhnisch beobachtet. Ein erstes Auftrittsverbot in der DDR dauerte bis Juni 1963 - im gleichen Jahr wurde er auch aus der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) ausgeschlossen. 1964 reiste der Liedermacher noch durch die Bundesrepublik, doch als 1965 im West-Berliner Wagenbach Verlag Biermanns Gedichtband "Die Drahtharfe" erschien, erhielt der Autor von den DDR-Behörden Auftritts-, Publikations- und Ausreiseverbot. Damit begann die "Untergrund-Karriere" des Schriftstellers, dessen Wohnung in der Chausseestraße 131 zu einem konspirativen Dissidenten-Treff in der DDR unter den Augen der Stasi wurde.

Mehr als 200 inoffizielle Mitarbeiter der Stasi und 180 "Hauptamtliche" waren in der DDR auf den kritischen Künstler angesetzt. Damit, so räumt die befreundete Marianne Birthler (heute Stasi-Unterlagenbeauftragte) ein, habe Biermann gute Chancen auf einen "Spitzenplatz" unter den Bespitzelten.

Das Konzert in Köln

Wolf Biemann, Gitarre
Wolf Biermann in seinem Element
Erst elf Jahre später durfte Biermann wieder mit einem offiziellen Visum aus der DDR in die Bundesrepublik reisen. Er gab am 13. November 1976 in Köln sein erstes Konzert. Drei Tage danach "reagiert" die Staatsmacht im Osten. Biermann wurde "das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen." Er habe mit seinem feindseligen Auftreten "sich selbst den Boden für die weitere Gewährung der DDR-Staatsbürgerschaft entzogen", hieß es. Damit begann ein neues Kapitel im Leben Wolf Biermanns - und in der Geschichte der DDR, in der fortan die Zeiteinteilung "vor Biermann" und "nach Biermann" galt.

Ein Troubadour seiner Zeit

Für manche könnten seine Werke ein genauerer Zeitspiegel des zerrissenen 20. Jahrhunderts sein als historische Analysen. Er gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart, auch wenn das seine politischen Feinde bestreiten würden. Er schreibt meisterliche Gedichte, gibt seinen Empfindungen einfühlsamen Ausdruck und schlägt dann auch wieder kämpferische Töne auf der Klampfe an, wenn es seiner Meinung nach gilt, das "Maul aufzureißen" oder die Finger in eine Wunde zu legen.

Mit Trauer, Wut und beißender Ironie brachte er die Vergangenheit zur Sprache, rechnete mit dem Unterdrückungsapparat der DDR ab und bekundete doch nimmermüde seine sozialistische Einstellung.

Biermann erhielt für seine Werke etliche Auszeichnungen, darunter den Büchner-Preis, den Fontane-Preis, den Hölderlin-Preis und sogar den Deutschen Nationalpreis.

Eher Ostmensch als Westmensch

Die Ausbürgerung, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen sind das zentrale Thema in Biermanns Leben. "Was damals passierte, trifft mich immer noch dermaßen ins Mark, dass ich es nur mit ironischer Attitüde aushalte", schreibt er in seinem neu veröffentlichten Buch. Und in einem Interview sagte der Liedermacher: "Ich bin im allerbesten Sinne und im allertraurigsten Sinne eher ein Ostmensch als ein Westmensch." Nebenbei sei er aber auch ein "Weltkind" geworden, "dank der Partei, weil sie mich 13 Jahre vor den anderen entlassen hat - in die Demokratie".

Über das Ausmaß des Protestes nach seiner Ausbürgerung ist Biermann, der seit vergangenem Jahr "Chef-Kulturkorrespondent" der Tageszeitung "Die Welt" ist, noch immer erstaunt: "Nie im Leben hätte ich das geglaubt. Das war ja das eigentliche Wunder." Es zeige aber auch, dass viele Menschen sich damals endgültig von der Vorstellung verabschiedet hatten, die DDR - und damit der Sozialismus - sei von innen heraus zu reformieren. (pf)