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Ein Stückweit

15. Januar 2010

Man kocht einen Eintopf. Und während man kocht, überlegt man sich, für wen man kocht...

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Deutschland Schriftsteller Burkhard Spinnen. Foto privat
Burkhard SpinnenBild: privat

...Für die Kinder? Dann bitte nicht so viele Gewürze. Für die Männer? Dann kräftig Pfeffer und vielleicht sogar ein wenig Chili.
Ähnlich ist es beim Reden in der Öffentlichkeit. Rede ich im kleinen Kreis, dann kann ich kräftig würzen. Spreche ich aber zu einer Menge, also zu vielen, die ich gar nicht kenne und um deren empfindliche Stellen ich nicht weiß, dann lasse ich die Gewürze weg. Und um ganz sicherzugehen, streue ich sogar ein paar Kräutlein in meine Rede, um sie für möglichst alle Zuhörer bekömmlich zu machen. So sage ich zum Beispiel nicht: Wir müssen umdenken!, sondern: Wir müssen ein Stückweit umdenken!

Rhetorische Weichmacher

Solche rhetorischen Weichmacher, Abschwächungspartikel, Besänftigungs- und Beschwichtigungswörtchen mögen, genau betrachtet, albern oder lästig sein, aber sie erfüllen einen wichtigen Zweck. Mit ihnen sendet der Redner ein permanentes Hintergrundsignal, das von Toleranz, Verständnis und Kompromissbereitschaft kündet. Durch die Verwendung von "ein Stückweit" fordere ich nichts Absolutes, sondern etwas Partielles, nicht gleich das Ganze, sondern zunächst einmal einen Teil. Ich vermittle damit, dass ich die Weisheit zwar nicht gepachtet habe, aber immerhin die Richtung kenne.

Des Guten zuviel

Teller mit Steckrübeneintopf
...ein Stückweit scharfBild: picture-alliance / dpa / Stockfood

Doch der Umgang mit Gewürzen ist so einfach nicht, in der Küche ebenso wie beim Sprechen. Und die Gefahr besteht, dass Koch wie Redner panisch ins Gewürzregal greifen, um die Pampe, die sie angerührt haben, irgendwie schmackhafter zu machen. Da behauptet einer, der Papst sei "ein Stückweit evangelisch", ein anderer hat "ein Stückweit Lust, die Dinge anzupacken", man ist "ein Stückweit sehr traurig" oder ein "großes Stückweit betroffen". Ich zitiere nicht weiter; die Suchmaschinen im Internet liefern Zehntausende von Beispielen eines solch unschönen bis schlichtweg falschen Gebrauchs. Tatsächlich hat sich "ein Stückweit" mittlerweile zu einer der meistverwendeten Anbiederungsvokabeln entwickelt. Millionenfach wird es nur verwendet, um die rhetorische Lautstärke zu dimmen.

Doch meine Bedenken gehen noch weiter. Wenn ich jemanden "ein Stückweit" sagen höre, spüre ich immer öfter eine reservatio mentalis, das heißt: einen inneren Vorbehalt des Sprechers. Wer "ein Stückweit" sagt, der verschwindet allmählich "ein Stückweit" hinter all den Freundlichkeiten und Verbindlichkeiten.

Er stückelt die Verantwortung für das, was er sagt, um sie dann Stück für Stück abzulegen. Hat er nur Stückwerk formuliert, dann möchte er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Am Ende waren es vielleicht sogar nur Kunststückchen. Kunststück, die Zeiten sind hart, und dauernd fallen einem die Leute ins Wort und in den Arm. Da lehnt man sich besser "ein Stückweit" zurück und bringt sich aus der Gefahrenzone. Ich hoffe, Sie können das ein Stückweit nachvollziehen.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf